Das Kinojahr 2011

Kinojahr 2010 Logo

 
(Vorwort und Kommentare zu dieser Übersicht hier.)

 
5 Sterne »También la lluvia« (Icíar Bollaín) Kurz vor Jahresende erschien dieser feine Film endlich auch bei uns, sein Thema steht im Kinojahr ziemlich einzig da und wirkt auf den ersten Blick recht speziell: Ein spanisches Filmteam, das nach Südamerika reist, um einen revisionistischen Film über die Entdeckung der Neuen Welt durch Christoph Kolumbus zu drehen, gerät in die Wirren des bolivianischen Wasserkrieges. Steckt da ein Film drin? Aber ja, sogar drei: Neben den zwei Hauptsträngen um die Produktion und die Wasserproteste erleben wir nämlich den historischen Film stückchenweise als Film im Film. Das Konzept ist komplex, die Umsetzung ziemlich perfekt. Und die Faszination steigert sich noch, wenn man sich vorstellt, dass das Team um Bollaín ja tatsächlich nach Bolivien gereist ist, um einen Film über Filmemacher zu drehen, die einen Film drehen wollen, diesen Film gleich mit dreht und seinerseits mit riesigem logistischen Aufwand, 4000 Statisten und 70 verschiedenen Drehorten im Dschungel zurechtzukommen hatte. Das erinnert freilich an Werner Herzog und die Protagonisten seiner Urwaldfilme, und Gael García Bernals Figur des Regisseurs ist auch ein Mann von jenem getriebenen Gemüt, der seine Vision gegen jedwede Widrigkeiten durchsetzen muss. Zur wichtigeren Figur des Films wird allerdings Produzent Costa (ausdrucksstark: Luis Tosar), der über seine schwierige Beziehung zum idealistischen Indio-Aktivisten Daniel in Zugzwang gerät, seine Prioritäten zu überdenken. Irgendwann eskalieren nämlich die Unruhen, Menschen geraten in Gefahr. Da beginnt der Film, hohe emotionale Wellen zu schlagen, die den Zuschauer mühelos mitreißen. Er bringt universale Probleme auf ein individuelles Level, verhandelt sie an drei verschiedenen Konflikten und entwirft ein Gespinst von Querverbindungen, ohne jedoch zu grüblerisch zu werden – die dichte Inszenierung balanciert bravourös prächtige Bilder und bewegte Action auf der einen, gehaltvolle Dialoge und darstellerische Nuancen auf der anderen Seite. Das ist einfach mal großes Kino. Wenn die Wogen sich glätten, bleibt die ernüchternde Einsicht, dass sich in 500 Jahren nicht viel verändert hat: Ob das Objekt der Begierde nun Gold oder Wasser ist (oder ein Film) – der Mensch wird den Schwächeren übervorteilen, ausbeuten, unterdrücken. Vielleicht wussten wir das ja schon; an der Relevanz der Aussage ändert das nichts. Best Bit: Daniels Geschenk: »Yaku.«

5 Sterne »True Grit« (Ethan & Joel Coen) Kein Remake, sondern eine Re-Adaption, und letztlich eine, die Henry Hathaways John-Wayne-Vehikel von 1969 ziemlich schlecht aussehen lässt. Der »True Grit« der Coens ist eine fabelhafte Literaturverfilmung, für die Joel und Ethan ihre Steckenpferde weitgehend im Zaum halten – obwohl sie mit den archaischen Mundarten und einigen farbigen Charakteren sicher viel Spaß hatten. Ansonsten überlassen sie die Zügel der Geschichte, schenken Western-Konventionen nur beiläufig Beachtung, unterstützen ansonsten unzeremoniell und mit sicherer Hand. Der Film trabt durch ungemütliches Terrain und graues Wetter, Stammkameramann Deakins komponiert die Tristesse dennoch in Bildern von ausgesuchter Klasse, während Carter Burwells Score feinfühlig eine Hymne des 19. Jahrhunderts variiert, das wunderbare Stück »Leaning on the Everlasting Arms«. Der Film geht völlig in seinem Sujet auf, trägt den historischen Bedingungen im damaligen ›Indian Territory‹ genauso Rechnung wie den Widrigkeiten des Lebens schlechthin – er endet als eher freudloser Abgesang, die Protagonistin verhärmt, verstümmelt und verbittert, ihr Retter und Rächer verstorben nach einem Dasein als abgehalfterter Tramp. Ihr gemeinsames Abenteuer aber bleibt uns in Erinnerung, nicht zuletzt durch die fantastischen Leistungen von Jeff Bridges als knarzigem Haudegen Cogburn sowie der jungen Hailee Steinfeld als Mattie, die mit ihrem no-bullshit-Naturell den Film um ihren kleinen Finger wickelt. Best Bit: Cogburn, allein auf weiter Prärie, gegen die Pepper-Bande.
Umblätterers ausführliche Kritik …

5 Sterne »Incendies« (Denis Villeneuve) Zwei Geschwister, ein Testament, ein verlorener Bruder, ein totgeglaubter Vater. Damit beginnt dieser kanadische Film; niemand ahnt, welch enorme Tragweite er noch entwickeln wird. In zwei Zeitebenen gestaffelt, begleitet der Film einmal die Kinder auf ihrer in den Nahen Osten führenden Suche, und einmal die Mutter auf der ihrigen, nach ihrem in Sünde geborenen Sohn. Als Tochter christlicher Maroniten, die sich mit einem palästinensischen Flüchtling eingelassen hat, ist sie eine Persona non grata, die durch die tiefen Gräben irrt, die verfeindete Konfessionen und unversöhnliche Kulturen in die Gesellschaft gerissen haben. Wie ihre Kinder Jahrzehnte später das Schicksal ihrer Mutter ergründen und im Trümmerfeld des libanesischen Bürgerkriegs die Fäden der zerrissenen Familienbande wieder aufnehmen, ist bewegend genug, doch nichts kann einen auf die Wucht der finalen Enthüllung vorbereiten. Der Film dramatisiert und konstruiert an den richtigen Stellen, um emotionale Kraft und unterschwelligen Suspense zu entfalten, aber relevanter – und mithin beschämender – wird er als Dokument der verheerenden destruktiven Kräfte ethnischer Konflikte. Best Bit: »One plus one, does it make one?«

5 Sterne »Black Swan« (Darren Aronofsky) Zehn Jahre hat das Drehbuch zu »Black Swan« gebraucht; erst sollte es lose auf Dostojewskis »Doppelgänger« basieren, war irgendwann in der New Yorker Theaterwelt angesiedelt und sollte dann eine zeitlang in Paris spielen. Den fertigen Film kann man sich nun anders nicht mehr vorstellen, er erreicht genau das Level an Meisterschaft und Virtuosität, nach dem Nina, seine Protagonistin, in ihrer Karriere als Ballerina strebt. Das unbarmherzige Geschäft auf dem Parkett stößt sie in einen finsteren Malstrom übersteigerten Ehrgeizes und zunehmender Selbstzerfleischung. Die rigiden Direktiven ihrer Mutter, die (eingebildete?) Missgunst ihrer Kolleginnen, die irritierenden Avancen und harten Forderungen ihres Mentors tragen alle dazu bei, dass Nina in eine fatale Paranoia verfällt, eine üble Kratzmanie entwickelt und von wilden Halluzinationen heimgesucht wird. Der Zuschauer ist eins zu eins dabei bei diesem berauschenden Vexierspiel, diesem surrealen, monströsen Knochenjob von Film, der sich nicht fürchtet vor melodramatischen Momenten oder großen Gesten. Er heftet sich an Ninas taumelnde Seele und lässt nicht los. Intensives, psychologisches, leidenschaftliches Kino. Best Bit: Ninas schlussendliche, unvergessliche Verwandlung in den Schwarzen Schwan.

5 Sterne »Jodaeiye Nader az Simin« (»Nader und Simin – Eine Trennung«, Asghar Farhadi) Ein Film aus dem Iran, Berlinale- und Golden-Globe-Gewinner – bestimmt schwere Kost. Doch man muss keine Angst haben vor diesem Film. Islam, Scharia und Koran umspielen zwar die Ränder dieser Geschichte, aber eine kulturkritische Grübelei oder ein politisches Pamphlet haben wir hier nicht, eher eine universale Studie menschlicher Befindlichkeiten. Es ist die tief empfundene Sorge um die Nächsten, die den zentralen Konflikt auslöst und die Charaktere in schwer zu meisternde moralische Bredouillen zwischen Ehre und Ehrlichkeit, Schuld und Verantwortung bringt. Und wirklich ›schuld‹ ist ja niemand; jede Figur ringt einem Respekt und Verständnis ab, wie orthodox oder liberal ihre Ansichten jeweils auch sein mögen. Das Drehbuch arbeitet sich meisterhaft durch das Knäuel kleiner Lügen und Missverständnisse, das sich letztlich zur potenziell existenzbedrohenden Auseinandersetzung auswächst. Gewisse Details enthält die Regie uns dabei spannenderweise vor, die Wahrheit windet sich zwischen verschiedenen Perspektiven auf dieselben Ereignisse. Dazu die natürlich agierenden Schauspieler und die handwerkliche Klasse: ein feines Stück Kino. Best Bit: Nader und Simin streiten vorm Scheidungsrichter.

5 Sterne »The King’s Speech« (Tom Hooper) Die Angst, vor einer Gruppe von Menschen zu sprechen, kommt laut Statistik noch vor der Angst vor dem Tod – also lägen die meisten Leute bei einer Beerdigung lieber im Sarg, als die Grabrede halten zu müssen (witzelte Jerry Seinfeld). Ganz sicher traf das zu für König George VI von England, der 1936 völlig unverhofft ins Amt kam und zeitlebens mit einer psychisch induzierten Sprachbehinderung zu kämpfen hatte. Obwohl historisch akkurat, gerät dieser Film nicht zur Geschichtsstunde; es ist ein Film über einen Mann, der stottert. Colin Firth brilliert abermals, verwandelt Sympathie in Empathie – wir empfinden nicht nur Mitleid, wir leiden selbst: die Beklemmung, die Lähmung, die Scham. Des Monarchen unstete Beziehung zu seinem exzentrischen Sprachlehrer (auf Augenhöhe: Geoffrey Rush) beschwört Anfälle von Groll und Jähzorn herauf, eröffnet aber auch hilfreiche Einblicke in seelische Untiefen. Dieser menschliche Kern, mehr noch als seine handwerkliche Perfektion, ließ »The King’s Speech« zum Lieblingsfilm von Publikum und Kritik werden, und mithin zu prädestiniertem Oscar-Material. Best Bit: »Fuckity, shit, shit, fuck and willy. Willy, shit and fuck and … tits.«

5 Sterne »Hævnen« (Susanne Bier) Die Welt wäre eine bessere, gäbe es mehr Filme wie diesen, schrieb ein Kritiker; er spielte damit auf den englischen Titel »In a Better World« an (die wörtliche Übersetzung wäre, entgegen dem suggestiven Klang, nicht ›heaven‹ gewesen, sondern ›revenge‹). Und ja, es ist ein gewichtiges Werk, das weit über sich hinausweist. Scheinbar mühelos verknüpft der Film Rangeleien auf einem dänischen Schulhof mit Miliz-Terror in der Dritten Welt, projiziert das Bild von männlicher Stärke aus einem kindlichen Mikrokosmos auf eine Welt, in der Autorität auf brutaler Gewalt beruht. Da hat er etwas parabelhaftes, aber seine Didaktik verbirgt der Film geschickt mittels eines starken emotionalen Unterbaus und bemerkenswert lebensnahen Darstellungen. Eh man sich’s versieht, lockt Susanne Bier einen auf die falsche affektive Fährte, bugsiert einen in die nächste moralische Zwickmühle. Plötzlich steht der Klügere als der Feige da, auf einmal scheint Vergeltung besser als Vergebung. Ist das hinterlistig, manipulativ? Ja, aber wir wollen das so – nur so können wir etwas lernen. Best Bit: Elias’ und Christians riskanter Racheakt.

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4 Sterne »Melancholia« (Lars von Trier) Der Prolog – elegische Superzeitlupen zu klassischer Musik – ähnelt noch dem von »Antichrist«, der Rest Gott sei dank nicht. Obwohl es abermals, wie oft bei von Trier, um das Seelenunheil einer masochistisch veranlagten Frau geht, der Schlimmes widerfährt. Aber »Melancholia« schickt sich an, aus dem disparaten Œuvre des eigensinnigen Auteurs als Glanzstück hervorzugehen. Seine etwas abgefahrene, SciFi-angehauchte Prämisse – ein Planet rast auf die Erde zu, wird sie verfehlen, oder auch nicht – bringt eine apokalyptische Dynamik in das Geschehen; das dräuende Verderben nimmt auf wundersame Weise Beziehung zum Innenleben der Protagonistin Justine auf, die zunächst alle Menschen in ihrer Umgebung vor den Kopf stößt, auch ihren frischgebackenen Ehemann. Dann versinkt sie in Depressionen, und mit ihr der Film. Im Endzeit-Kokon des Landhauses entsteht eine seltsam entrückte Atmosphäre latenter Ekstase; jede Szene scheint voller Schicksal, jede Regung, jede Handlung könnte die letzte sein. Das mündet aber nicht in Resignation und Fatalismus, vielmehr entwickelt Justine einen morbiden Gefallen am unentrinnbaren Exitus. Schließlich sieht sie sich durch höhere Gewalt entlastet – nicht sie trägt mehr die Schuld an ihrer Pein. Von Triers kosmische Katastrophe entpuppt sich als Kniff, die monströs überzogene, unbeherrschbare Triebfeder der Depression in die reale Welt zu verlagern und so den irrationalen Mechanismus des Trübsal-Teufelskreises freizulegen. Das Ergebnis ist freilich eher Studie als Erkenntnisgewinn. Streiten kann man auch über die original Dogma-Wackelkamera: Für die einen erhöht sie die Anteilnahme, weil sie den Film wahrhaftiger wirken lässt, die anderen entwickeln höchstens Mitgefühl mit dem offenkundig schwer angeschlagenen Kameramann. Man stelle sich den Film vor, gefilmt im einfühlsam-eleganten Stil von »A Single Man« oder »Barry Lyndon« … Aber egal: »Melancholia« bleibt ein kühnes Stück Kino, das einen lange nicht loslässt. Best Bit: Die letzte, kolossale Szene.

4 Sterne »Super 8« (J. J. Abrams) »›Super 8‹ is the best movie Spielberg never made«, stand zu lesen, und es ist wahr. J. J. Abrams spricht fließend Spielberg; sein Film beschwört das Gefühl einer Kino-Ära herauf. Einer Ära, in der amerikanische Vorstädte zum Schauplatz fantastischer Abenteuer wurden, einer Ära, die Kinder zu Protagonisten, Außerirdische zu freundlichen Wesen und die Regierung zum Bösewicht machte. Es war auch eine Ära, in der Filme noch Originaldrehbücher hatten, keiner Armada von Superstars bedurften und im Erfolgsfalle nicht automatisch zum Milliarden-Franchise ausarteten. Und so sitzt man in »Super 8«, mit aufgerissenen Augen, einem wohligen nostalgischen Gefühl im Bauch und der kindlichen Begeisterung jener guten alten Tage. Leider verliert »Super 8« gegen Ende etwas von seinem Herz und seiner Magie, wenn nämlich allzu perfektes CGI-Theater die Oberhand gewinnt. Trotzdem, danke, J. J.! Best Bit: Der Güterzug rattert in Richtung Bahnstation: »Production value!!!«

4 Sterne »Carnage« (Roman Polanski) Überall liest man, »Carnage« sei eine Komödie, eine Farce. Aber ihre Kraft entspringt dem sengenden Sozialdrama, welches unter der Konstruktion lauert. Hier sind menschliche Wahrheiten auf dem Tapet, jeglicher komische Effekt entspringt auch dem Ertapptsein des Publikums: ›Ja, so sind wir.‹ Der Film verrät seine Herkunft, das Theater: ein einziger Schauplatz, vier Personen, sehr viel Text. Aber das tut der Spannung keinen Abbruch; Winslet, Waltz, Foster und Reilly modellieren kraft ihrer Kunst echte Persönlichkeiten: zwei Paare, die ein Gerangel ihrer Sprösslinge verhandeln. Man gibt sich zivil, zunächst, doch 18-jähriger Single Malt löst den Putz der Etikette, insgeheime Überzeugungen brechen sich Bahn, es kommt zum unverhohlenen Austausch persönlicher Ressentiments – nebenbei entpuppt sich beider Paare Ehe als fauler Kompromiss. Das alles ist fein beobachtet, meisterhaft komprimiert, effektiv arrangiert. Polanski kann es noch. Best Bit: Penelopes kostbare Kunstbände leiden etwas.

4 Sterne »Tyrannosaur« (Paddy Considine) Nein, kein »Jurassic Park«-Spin-off. Vielmehr gehört der Film in die Sparte der ›kitchen sink dramas‹, jene meist furchtbar düsteren und sozialrealistischen Studien der britischen Arbeiterklasse, wie Ken Loach und Mike Leigh sie gemacht haben. Furchtbar düster ist auch dieser Film von Eigentlich-Schauspieler Paddy Considine; wir erleben häusliche Grausamkeiten, chronisch lädierte Seelen, grobe Gewalt gegen Menschen, Gegenstände und Haustiere. Aber wir treffen auch zwei interessante Menschen – Joseph, den arbeitslosen Witwer, der nicht weiß wohin mit seinem aggressiven Temperament (beängstigend gut: Peter Mullan), und Hannah vom Caritasladen, die ihm Halt zu geben verspricht, aber ihre eigenen Geheimnisse und Probleme hat (fast noch besser: Olivia Colman). Ferner ist da Hannahs Ehemann, wohl eine der scheußlichsten Gestalten des Kinojahres. Der Film kuckt sich wirklich nicht leicht weg, aber der Aufwand lohnt sich; »Tyrannosaur« ist ein nachhaltig beeindruckendes Porträt gebeutelter Existenzen, welches nicht zuletzt daran erinnert, dass Trost und Hoffnung selbst an den dunkelsten Orten existieren. Best Bit: Joseph konfrontiert Hannah, nachdem er in ihrem Haus war: »You’re fucked.«

4 Sterne »The Ides of March« (George Clooney) Nach dem, was man so von den Idealen und dem Programm von Gouverneur Mike Morris (souverän: Clooney selbst) mitbekommt, könnte der Mann wirklich ein guter Präsident werden. Aber er ist auch nur ein Mensch; und der Fehler, den er begeht, wird gegen ihn verwendet werden – so ist das in der Politik. Konsequenterweise bewegt sich der Film auch bald weg von konkreten Inhalten, beleuchtet die Ränkespiele hinter den Kulissen, zeigt, wie leicht Loyalität und Integrität kompromittiert werden, wenn man die eigenen Felle wegschwimmen sieht. Durch einen Lapsus nämlich sieht sich der Kampagnenplaner Meyers (zuverlässig: Ryan Gosling) gleich an zwei Fronten ausgebootet; niemand vertraut ihm mehr, doch der Zufall spielt ihm eine Trumpfkarte zu, mit deren Hilfe er sich wieder ins Rampenlicht zu bugsieren hofft. Sein Erfolg ist von zwingender Logik: Der intrigante Opportunist wird immer gewinnen, denn sein Entscheidungsspielraum ist nicht eingeengt von hehren Prinzipien. Revolutionär ist die Einsicht kaum, aber Clooney inszeniert dieses hochkarätig besetzte Drama, das zum Thriller wird, derart präzise und psychologisch nachvollziehbar, dass wir neuerlich überzeugt sind: So ist das in der Politik. Und so ist das wahrscheinlich überall, wo Menschen am Werk sind. Best Bit: Molly ruft an.

4 Sterne »The Guard« (John Michael McDonagh) Vom Setup her ein bisschen wie »In the Heat of the Night«, doch der Ton geht in Richtung »In Bruges« (den McDonaghs Bruder gemacht hatte, ebenfalls mit Gleeson): Dieser bissige, knackige Film war die perfekte Spätsommerunterhaltung, variierte er das Cop-Buddy-Thema doch auf höchst vergnügliche Weise. Don Cheadle als Dienst-nach-Vorschrift-Beamter des FBI landet in der irischen Provinz, und während er sich mit Desinteresse seines schnoddrigen, pfannkuchengesichtigen Partners und den borstigen Gepflogenheiten der irisch-gälischen Kultur herumschlagen muss, fädelt sich ein Drogenring-Krimiplot durch den Film, der für dramatische Entwicklungen und auch für ein wenig Geballer sorgt. McDonagh inszeniert die politisch völlig unkorrekten Dialoge mit viel Gespür für Charaktere und Dialekte (Untertitelpflicht!), legt unbekümmert einen flippigen Americana-Soundtrack über die raue irische Landschaft und führt zum Schluss alle Fäden zu einem berauschenden Showdown zusammen, der mit einem angenehm uneindeutigen Kabumm endet. Best Bit: »I’m Irish. Racism is part of my culture.«

4 Sterne »Halt auf freier Strecke« (Andreas Dresen) Kein Publikumsrenner, Dresens Sterbedrama. Bestimmt der schwierigste, mutigste deutsche Film des Jahres, und wahrscheinlich auch der beste. Ohne inszenatorische Fisimatenten kommt er daher, setzt auf ungeschönten Realismus und wirkt, als hätte die bemitleidenswerte Familie nebenan eingewilligt, während ihrer schwersten Zeit von einem Kamerateam begleitet zu werden. Und da die Familie von der Situation völlig überfordert ist, bleibt kaum Raum für Reflexion oder Transzendenz; die anfänglichen seelsorgerischen Beratungen – der Krebs als Chance! – stehen eher als weltfremder Kokolores da, die Selbstheilungs-CD taugt allenfalls als Schlafmittel. Das wirkt echt und aufrichtig, der Film drängt uns dankenswerterweise keine Weltsicht auf, sondern sagt: Mit dem Sterben muss man leben. Traurig ist das natürlich trotzdem, aber die Thematik ist das von sich aus, jeder weitere Druck auf die Tränendrüse ist entbehrlich. Lieber fügt Dresen dem Film kleine Dosen absurden Humors hinzu – welcher genauso hilft wie der unsentimentale Schluss. Der Film weiß trotz seiner nüchternen Attitüde viel mehr über das Sterben (und über das Leben) zu sagen als Gus Van Sants putziger paar-Monate-zu-leben-Film »Restless«, mit dem zusammen er in Cannes startete. Best Bit: »Bekomm ich dann Dein iPhone?“

4 Sterne »Rise of the Planet of the Apes« (Rupert Wyatt) Fünf »Planet der Affen«-Klassiker zählt das Filmlexikon (Tim Burtons unrühmliche Remake-Gurke rechnen wir mal nicht), dieser erzählt die Vorgeschichte, und das nicht mal unclever. Die politsatirischen Untertöne sind vielleicht nicht so stark wie bei den Originalen, aber die Story lässt immer noch gut Platz für eine Portion Zivilisationskritik; ansonsten bewegt sie sich flott und gekonnt im B-Movie-Terrain, und dank Motion-Capture-Koryphäe Andy Serkis entwickelt Hauptprimat Ceasar sogar eine glaubhafte Beziehung zu Ziehvater James Franco. Da die Affen (noch) nicht reden, ist der Film oft gezwungen, mit Bildern zu erzählen, mit Blicken, Gebärden, subtilen Signalen – und das gelingt ihm oft, etliche Szenen gehen direkt ins Blut. Best Bit: Die haarsträubende Konfrontation auf der Golden Gate Bridge, inklusive der Begegnung ›Gorilla vs. Helikopter‹.

4 Sterne »Cave of Forgotten Dreams« (Werner Herzog) Es ist ein großes Glück, dass es gerade Werner Herzog war, der in den Chauvet-Höhlen in Südfrankreich filmen durfte. Seine Dokumentationen geraten regelmäßig zu faszinierenden Studien von getriebenen Seelen, von Personen in Extremsituationen, von Menschen mit Visionen. Dieser Film nun hat zwar keine Individuen in seinem Zentrum – die Visionäre von Chauvet sind lange tot; aber sie hinterließen die ältesten bekannten Höhlenmalereien der Welt. Herzog sinniert in gewohnt blumiger Manier über die kulturanthropologischen Implikationen der Gemälde, spinnt von diesen ersten Formen künstlerischen Ausdrucks einen Faden zu seinem eigenen Schaffen als Filmemacher. Sein enthusiastischer, poetischer Duktus erfüllt den Film mit einem Sinn von Transzendenz, zusammen mit den berückenden 3D-Aufnahmen und einer Tonspur von Chorälen und Streichern ergibt sich eine regelrecht rauschhafte Filmerfahrung. Best Bit: Das metaphysische Postscript mit den Albino-Krokodilen. Typisch Werner.

4 Sterne »Another Year« (Mike Leigh) Mit dem leichtherzigen »Happy Go Lucky« hatte Mike Leigh überrascht. »Another Year« schlägt wieder melancholischere Töne an – obwohl im Mittelpunkt des Films ein gemütliches, zufriedenes, in die Jahre gekommenes Paar steht. Doch dessen Glück bildet nur das Kontrastmittel zur Misere derjenigen, die in ihrem Haus ein- und ausgehen. Da ist Ken, der Freund, der vor seinem leeren Dasein in Völlerei und Alkohol Zuflucht sucht. Da ist Joe, der Sohn, der keine Freundin findet (dann aber doch). Da ist Ronnie, der Bruder, der eben seine Frau, und somit jeden Halt, verloren hat. Und da ist Mary, die Kollegin, deren Leben nach einer gescheiterten Ehe einfach an ihr vorbeischlabbert (groß: Lesley Manville). Unausgeglichen und unausgefüllt, kompensiert sie ihren ungestillten Männerdurst mit Weißwein, schwankt zwischen hilfloser Larmoyanz und flüchtiger Zuversicht, verschränkt sich der Einsicht, dass die Zuwendung am Herd der Freunde kein Ersatz für ein eigenes Leben ist. So bitter das auch ist, schafft dieser besinnliche, beinahe plotlose Film es doch, eine lebensbejahende Wärme auszustrahlen: Solange es Freunde gibt, ist nicht alles verloren. Best Bit: Mary, Zaungast des Lebens, in der letzten, herzbewegenden Einstellung.

4 Sterne »This Must Be the Place« (Paolo Sorrentino) Diese wenig gesehene Kino-Merkwürdigkeit ist einer dieser Filme, die einem gefallen, aber man weiß nicht genau, warum. Sorrentino, der italienische Auteur, schickt darin den letzten Menschen, von dem man vermuten würde, dass er so etwas tut – einen alternden, schrulligen Rockstar – ins amerikanische Hinterland, auf die Suche nach einem untergetauchten Nazi, dem einstigen Peiniger seines Vaters. Vielleicht ist es Cheyenne, die Robert Smith nachempfundene, von Sean Penn verkörperte Figur, die einem trotz ihres grotesken Gothic-Looks und ihres widersprüchlichen Charakters – exzentrisch, aber sanftmütig, kindisch, aber reflektiert – irgendwie ans Herz wächst. Oder es sind die stilvollen Bilder und die sonderbaren Leute, die der Film in der Provinz auftreibt (z. B. Harry Dean Stanton als Rollkoffererfinder), oder der tolle Soundtrack von David Byrne, der auch als er selbst auftritt. Oder einfach die Wärme und Menschlichkeit, die zwischen den Roadmovie-Kuriosa hervorquillt. Wie gesagt, auf jeden Fall irgendwie ein guter Film. Best Bit: Cheyenne improvisiert mit dem kleinen Tommy den titelgebenden ›Talking Heads‹-Song.

4 Sterne »Mission: Impossible – Ghost Protocol« (Brad Bird) Es gab hochgezogene Augenbrauen, als Produzent Tom Cruise, der bekanntermaßen darauf besteht, dass jeder M:I-Film einen anderen Regisseur, einen eigenen Style hat, Brad Bird verpflichtete, den Mann, der uns »Ratatouille« brachte. Aber der Mann stemmt die Live Action, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Atemlos hastet der Film über den Erdball – Budapest, Moskau, Dubai, Mumbai – immer hinter irgendeinem MacGuffin hinterher – einer Akte, ein paar Blättern mit Codes, einem silbernen Koffer. Das alles natürlich für einen guten Zweck, nämlich die Kleinigkeit eines Atomkrieges zu verhindern. Na ja, die Geschichte ist vielleicht nicht besonders originell, aber das fällt einem erst hinterher auf. Ohne Unterlass peitscht der Film das Adrenalin ins Blut, jeder neuerliche Einbruch ist brenzlig bis dorthinaus, schließlich ist ständig mit dem Ausfall von Personal oder Gadgets zu rechnen. Und allenthalben spricht einer der Charaktere mühsam beherrscht in ein Funkgerät »Ethan, wir haben nur noch dreieinhalb Minuten.« – Der Zuschauer reibt sich die schweißnassen Hände: Das wird spannend! Und das wird’s dann auch, vor allem dank wahnsinniger, todesverachtender Stunts. Übrigens ein Film ohne Romanze, auch mal nett. Best Bit: Cruise gibt den Gecko am Burj Khalifa.

4 Sterne »Winter’s Bone« (Debra Granik) Kaum ein Tourist verirrt sich in die Ozark Mountains in Süd-Missouri – zumindest keiner, der »Winter’s Bone« gesehen hat. Hier müssen Mädchen, deren Vater in irgendeiner Hütte Drogen kocht, für ihre geistesgestörte Mutter und ihre jüngeren Geschwister sorgen. Hier rottet sich der White Trash zu Clans zusammen, die Dinge werden von Mann zu Mann geregelt; politische, moralische oder legale Instanzen genießen keinen Respekt. Ab und zu verschwinden Leute … Der Film ist ein aufwühlendes Porträt dieser zwielichtigen Gesellschaft (und mithin ein Musterbeispiel des ›Southern Gothic‹); die abgerissenen, ungeschönten Charaktere und die latente Aggression kommen derart authentisch rüber, dass man bald vergisst, dass hier geschauspielert wird (besonders wahrhaftig: Jennifer Lawrence). Doch selbst an diesen sozialen Abgründen bieten familiäre Werte Halt – bei allem Schmerz und aller Drangsal steht »Winter’s Bone« am Ende als eigenartig berührendes, durchaus lebensbejahendes Werk da. Best Bit: Der schauerliche nächtliche Bootsausflug.

4 Sterne »La piel que habito« (Pedro Almodóvar) Der neue Almodóvar mag emotional nicht halb so ergreifend sein wie seine besten Werke, aber er bietet ein ausgefeiltes Filmdesign, eine clevere Erzählstruktur, geheimnisvolle Charaktere, sexuelle Verirrungen und eine bizarre Story aus der Sparte ›Body Horror‹, die einem David Cronenberg alter Tage nicht schlecht zu Gesicht gestanden hätte. Der Film hat Almodóvars unbekümmerte Eklektik und entwaffnende Freimütigkeit, reiht munter Folterszenen und zügellose Erotik aneinander, klinische Prozeduren und familiäre Abgründe. Rekapituliert man später die Zusammenhänge, wer hier nun wer war, wer wen verkörpern sollte, und wer mit wem zugange war, dann mutet das alles schon als recht krude und bizarr an, aber schließlich ist das ›Un film de Almodóvar‹, und dann darf das so. Best Bit: »Soy Vincente.«

4 Sterne »The Tree of Life« (Terrence Malick) In Cannes ausgebuht, und doch mit dem Höchstpreis bedacht – kein Film polarisierte dieses Jahr so wie Malicks impressionistische Meditation über Verlust, Familie und Existenz. Das ist elegisches, ätherisches Trans-Kino, so ehrfurchtgebietend und singulär in seinem Ausdruck, dass ein ähnlicher Gestus anderswo sofort als ›wie bei Malick‹ beschrieben werden kann. Althergebrachte Filmkritik perlt an dem Werk ab, das ist klar – hier haben wir es mit Kunst zu tun. Der Film borgt sich nichts vom klassischen Erzählkino. Natürlich braucht man keinen wohlstrukturierten Plot, keine aufschlussreiche Charakterentwicklung, keine klare Narrativik, keine verdichtende Dramaturgie, um einen guten Film zu machen – sagen die einen. Aber es hilft ungemein – sagen die anderen (beispielsweise Sean Penn, der sich mokierte, nicht einmal Herr Malick selbst hätte ihm erklären können, was er in dem Film eigentlich sollte). Der Versuch, einen Vater-Sohn-Konflikt in kosmische Maßstäbe einzubetten, ist mutig. Ob das Experiment aber Punkte bringt, hängt davon ab, ob die Kunst zu einem spricht. Wenn sie es tut, geraten Stilelemente wie der permanente Sonnenuntergang, die wehenden Vorhänge, die geflüsterten Sinnfragen – in der richtigen Welt schlimme Klischees – zum anmutigen Ausdruck cineastischer Transzendenz. Wenn sie es nicht tut, ist das alles prätentiöses Zeug, eine Freiheitsberaubung von Film, zum Auswachsen uninteressant, und gegen Ende auch noch gefährlich esoterisch. Man muss es ausprobieren. Ob totale Verzückung oder einfach eine Stinkwut – starke Emotionen sind einem sicher, das schafft schon mal nicht jeder Film. Best Bit: Die Entstehung des Universums zu Zbigniew Preisners »Lacrimosa«. Himmlisch.

4 Sterne »127 Hours« (Danny Boyle) 37.000 Dollar Honorar verlangt Aron Ralston heute für seine Motivationsvorträge. Zum Preis einer Kinokarte bekam man dieses Jahr dieselbe Botschaft: Wenn Du selbstverschuldet in der Klemme sitzt, dann reiß Dich gefälligst auch selbst wieder raus. Dies ist ein Survival-Film ohne Survival-Klischees, ohne bemühte Suspense, und vor allem – sagen wir, im Vergleich zu Peter Weirs »The Way Back« –beschränkt auf eine Person, und völlig stationär. Das verlangt einiges vom Filmemacher, und Boyle zaubert nach Kräften, vielleicht sogar teilweise ein wenig zu schrill. James Franco spielt den sorglosen Klettermaxen, dessen Hybris nur langsam der Erkenntnis weicht, dass er hier draußen draufgehen könnte, mit allen Nuancen zwischen Exaltation und Verzagtheit – seine feine Vorstellung rang vielen Kritikern das Wort Tour-de-Force ab, und mit Recht. Best Bit: Der Absturz in den Blue John Canyon: Der Stein kommt ins Rollen, zack, das war’s.

4 Sterne »The Adventures of Tintin« (Steven Spielberg) Spielbergs Neuer wäre wie ein »Indiana Jones«, mäkeln Kritiker. Kenner wundert’s nicht: 1981 wurde »Raiders of the Lost Ark« in Westeuropa mitunter als Tintin-Hommage verstanden; Indy-Fan Hergé selbst designierte Spielberg als Verfilmer seiner Geschichten. Knapp drei Jahrzehnte später ist die Technik soweit: Tintin und Snowy (aka ›Tintin et Milou‹, aka ›Tim und Struppi‹) lassen in einem 3D-Hybriden ordentlich die Fetzen fliegen. Das Motion-Capture-Verfahren scheint nun ausgereift, die toten Augen von Zemeckis sind Geschichte. Brillante Bilder lösen Schweißtröpfchen und Barthärchen auf, die Locations wirken echter als echt, gleichwohl haben wir Knollennasen und Knopfaugen – eine kuriose Melange von Stilisierung und Realismus. Spielberg scheint sich über die Möglichkeiten des Mediums zu freuen wie ein Kind; der Film (seine erste Animation überhaupt) enthält Sequenzen, die in ›live action‹ schlicht undrehbar gewesen wären, alles quillt über vor liebevollen Details. Die Dialoge sind knackig, das Timing stimmt, der Soundtrack kracht – what’s not to like? Die Belgier zumindest lieben den Film, ernannten Spielberg postwendend zum Ehrenoffizier der Belgischen Krone. Hierzulande wackeln grauschläfige Rezensenten mit dem Kopf, ›Ligne Claire‹-Puristen heulen auf. »Die Welt« redet von einer digitalen Schändung, »Die Zeit« faselt sich was zurecht von einem »postidentischen Akteur, für den Zeit und Raum nur als beliebig vorstellbar sind«. Man kann’s auch übertreiben, oder? Einfach mal old-fashioned Spaß haben im Kino, Jungs, selbst mit der neuesten Technik. Best Bit: Die völlig wahnsinnige Hatz nach dem Falken. Oder der Kampf um die Alkoholkuller. Oder der Absturz in der Wüste. Oder.

4 Sterne »Pina« (Wim Wenders) Die andere 3D-Doku eines deutschen Regieveteranen. Und ebenso wie Herzog nutzt Wenders die Technik nicht um ihrer selbst willen, sondern zu sinnvollem und tatsächlich revolutionärem Effekt; selbst Kenner der Bausch-Choreografien haben die Stücke so noch nicht gesehen. Der Unmittelbarkeit und Ausdrucksstärke der Tanzsequenzen gesellt sich die Ehrfurcht und die Hochachtung hinzu, die aus den eingestreuten Kommentaren des Wuppertaler Ensembles spricht. Zusammen ergeben sie eine berauschende Eloge, eine filmische Reverenz an die kurz vor Drehbeginn verstorbene Künstlerin. Best Bit: Archaisches Gewaltballett auf Torf: Strawinskys »Le sacre du printemps«.

4 Sterne »Biutiful« (Alejandro González Iñárritu) Die Kritiken für Iñárritus neues Werk litten an der Eigenart von Rezensenten, eine gewisse Art zu filmen allzu schnell als ›Masche‹ auszulegen. »Biutiful« ist ernst, traurig und düster, und das wurde ihm zum Vorwurf gemacht. Genauso gut könnte ein Kunstkritiker von HR Giger endlich mal etwas in fröhlichen Frühlingsfarben einfordern. Aber Iñárritu interessiert sich nun mal für die unrühmlichen und betrüblichen Ecken des menschlichen Daseins – in diesem Fall die finstere Zwischenwelt der Hehlerbanden und Kleinkriminellen in Barcelona. Protagonist Uxbal versammelt anscheinend alles Leid dieser Welt in sich: Er ist Waise, lebt getrennt von seiner alkoholkranken und psychisch labilen Frau in einer abgewirtschafteten Wohnhöhle, muss allein für seine Kinder sorgen, verdient auf Beerdigungen Geld mit angeblichen spirituellen Fähigkeiten, besticht korrupte Polizisten, damit sein Geschäft mit gefälschter Ware nicht auffliegt, ist geplagt von schweren Schuldgefühlen. Und hat unheilbaren Krebs. Das alles wäre tatsächlich unaushaltbar bedrückend und deprimierend – würde Javier Bardems Darstellung der Figur nicht eine unglaubliche menschliche Tiefe verleihen, die einen dieses Elend mit ihm zusammen aushalten lässt. Denn im Grunde ist Uxbal ein guter Mensch – er hat unendlich viel Mitgefühl, ist friedliebend und moralisch guten Willens. Seine Entscheidungen und Reaktionen bestimmen den Film (im Gegensatz zu Iñárritus anderen, plot-immanenten Filmen), und weder über ihn noch über die Menschen seiner Umgebung erlaubt sich Iñárritu ein Urteil – niemand wird beschuldigt oder freigesprochen. Das verleiht dem Film Größe: So qualvoll er auch ist, er vertraut auf die menschliche Würde, auch im Unglück, auch im Tod. Best Bit: Uxbal bittet seine Tochter, sich immer an ihn zu erinnern.

4 Sterne »Let Me In« (Matt Reeves) Kennt wer noch die legendären Hammer Studios? Frankenstein! Dracula! Christopher Lee! Nun, es gibt sie wieder, und mit »Let Me In« machen sie gleich ihren vielleicht besten Film. Das ist kompromissloser Grusel der altmeisterlichen Art, wie beim »Exorzisten« damals, ohne Gimmicks, ohne Ironie, eine klamme, unheilschwangere, aber geerdete Spannung mit wohldosierten Schocks. Neben den Twilight-Filmen wirkt diese Variation des Vampir-Mythos ausnehmend intelligent, und sie ist es auch. Ein Umstand freilich, den sie der schwedischen Vorlage verdankt: Der Film ist ein Remake. Aber Matt »Cloverfield« Reeves bringt eigene, inspirierte Impulse in seine Version. Und ein guter Film ist ein guter Film, Remake hin oder her. Oder möchte jemand schlecht von Cronenbergs »The Fly« oder Herzogs »Nosferatu« reden? Best Bit: Wie im Original: die im wahrsten Sinne atemberaubende Unterwasserszene.

4 Sterne »Margin Call« (J. C. Chandor) Wir haben es immer gewusst: diese Finanzfuzzis in ihren Bürotürmen drehen im eigenen Saft und haben keinen Schimmer, was zum Geier vor sich geht. Je höher in der Hierarchie, desto größer die Inkompetenz, und desto kleiner die Skrupel. Gier und Angst bestimmen die Reaktionen auf die Zuckungen eines Systems, das sie vorgeben zu kontrollieren. Eine holzschnittartige Sicht, na klar, aber dieser Eindruck bestätigt sich beängstigenderweise immer wieder (siehe »Inside Job«). Auch in dieser vom 2008er Crash inspirierten Geschichte einer Investmentbank, die ihren eigenen Untergang herbeipokert und rettet, was zu retten ist – wobei andere bezahlen, das ist ja das Tolle. Dass sich ein Film einmal überzeugend in diese Welt einfühlt, ihre Mechanismen und Interaktionen beleuchtet, die Hackordnungen beschreibt und die Entscheidungsträger charakterisiert, ist viel wert für uns Laien. Oliver Stone hatte das letztens vergeblich versucht, der HBO-Film »Too Big To Fail« war da schon erfolgreicher. »Margin Call« schafft es zudem, jeden Zahlenschieber mit Charakter auszustatten, selbst die ganz hohen Tiere offenbaren Spuren von Persönlichkeit; bemerkenswert vor allem Jeremy Irons als Big Boss, dessen etwaige Skrupel von einem rigorosen Überlebenswillen niedergerungen werden, und Kevin Spacey als müde gewordener Löwe, der gleichzeitig ranklotzt und resigniert. Best Bit: Der eine Banker erklärt dem Grünschnabel, wie schnell zweieinhalb Millionen Dollar dahin sind – verdammt schnell nämlich.

4 Sterne »Rango« (Gore Verbinski) Wer für »Tintin« zu erwachsen ist, schaue sich »Rango« an, einen schmissigen, schrägen Film über ein Chamäleon in der Identitätskrise und seine Abenteuer mit einem Haufen anderer tierischer Gesellen. Es wird kaum gelingen, sich dem anarchischen Charme dieser Geschichte zu entziehen, die heftigen Schabernack treibt mit Klassikern wie »Chinatown«, »Fear and Loathing in Las Vegas« oder »Unce Upon a Time in the West«. Jede einzelne Szene ist von überbordender, leicht surrealer Originalität, auf der Tonspur geben Johnny Depp und Hans Zimmer ihr Bestes, und wenn einem das alles nicht reicht – es gibt auch ordentlich was auf die Augen; die Viecher und die Settings sind einfach völlig spektakulär animiert. Best Bit: Wem ist es noch nicht so gegangen: Man verschluckt aus Verlegenheit die Zigarre des Schufts gegenüber, kippt einen Kaktuscocktail, und dann – »Rrrrölps«.

4 Sterne »Contagion« (Steven Soderbergh) Ein paar Pandemie-Filme gibt es schon; dies ist der beste. Soderberghs erster Katastrophenfilm hat nicht das fingerübungshafte anderer seiner Genre-Ausflüge, es ist ein souveränes Werk, das den gängigen Desaster-Klischees behende auszuweichen weiß. Er geht nicht den ausgetretenen, mit Adrenalin und Saccharin getränkten Weg anderer Bio-Schocker (obwohl der Trailer danach aussah), kreuzt stattdessen mit kühlem Kopf den Planeten, observiert die Schauplätze des viralen Verderbens, hält sich dabei an ein beeindruckend besetztes Ensemble von Figuren, von denen einige mehr, andere weniger beleuchtet werden. Manche sterben auch einfach. Besonders interessant die Rolle des aktivistischen Bloggers Allen, dessen Tun dem Stereotyp des wissenden Warners und dem Nimbus des Internets als Verteiler der Wahrheit schön zuwiderläuft: Er ist letztlich mit Schuld daran, dass bald die Zivilisation auftrottelt und die Nächstenliebe wegbricht. Diese Vorgänge zeigt der Film bewundernswert unsentimental, beinahe dokumentarisch, Soderbergh unterdrückt nach Kräften die Anzeichen des Fiktiven, vertraut auf die perfide Virulenz der Paranoia. Das verhilft »Contagion« zu einem zwar kühlen, aber nachhaltigen Schrecken. Nichts für Hypochonder. Best Bit: ›Day One.‹

4 Sterne »The Fighter« (David O. Russell) In jedem guten Sportfilm geht es nicht bloß um den Sport. Deswegen ist es auch nicht schlimm, dass David O. Russell, ein Genre-Neuling, die Regie bei dieser Boxerbiografie übernahm (nachdem die kampfsporterprobten Herren Scorsese und Aronofsky aus verschiedenen Gründen das Handtuch geworfen hatten). Der Film beherbergt eine Handvoll bekannter Versatzstücke, beeindruckt aber vor allem durch die einfühlsame und präzise Darstellung des Milieus, aus dem der Protagonist sich herausboxen will – der etwas angeschmuddelten Arbeiterklasse im Massachusetts der 80er und 90er Jahre – sowie durch die überzeugende Wiedergabe der familiären Verstrickungen, der daraus entstehenden Spannungen und Konflikte – manchmal steht halt die Loyalität dem Erfolg im Weg. Wobei Mark Wahlberg, der den Film ins Rollen gebracht hatte, sicher darauf bestehen würde, die Kampfszenen seien das Authentischste und Großartigste an dem Film. Schließlich hat er sich über vier Jahre den Stil seines Weltergewicht-Idols und Freundes Micky Ward antrainiert. Als dessen instabiler Halbbruder Dicky Eklund bewies Christian Bale ähnliche Hingabe, indem er kompromissloses Method Acting betrieb: Dialekt, Manierismen, Abmagerungskur und alles. Best Bit: Mickys Comeback-Match.

4 Sterne »Attack the Block« (Joe Cornish) Das respektlose, garantiert nostalgiefreie Gegenstück zu »Super 8« kommt von Regiedebütant Cornish, der die Formel ›Vorstadt-Adoleszente erleben fantastisches Abenteuer mit Aliens‹ in die trostlosen Hochhaussiedlungen von Süd-London verlegt. Seine Protagonisten sind keine unverdorbenen, liebenswerten Teenager mit Herz und Verstand, sondern eine Horde frecher, fluchender Rotzlümmel, die auf BMX-Rädern durch Betonlandschaften hetzen, auf der Jagd nach (oder auf der Flucht vor) fiesen Space-Gorillas. So etwas hat man noch nicht gesehen. Der Film ist ruppig, lustig und teilweise brutal, das Skript ist voller Gang-Slang, schlägt tausend kleine Haken, lässt Platz für Charakterentwicklung und eine Prise Sozialsatire. Vielleicht nicht jedermanns Sache, aber originelle Ansätze müssen das nicht sein. Best Bit: »This is too much madness to explain in one text!«

4 Sterne »Four Lions« (Christopher Morris) Im Umfeld einer islamistischen Terrorzelle eine Komödie anzusiedeln, erscheint auf den ersten Blick als fragwürdiges, geschmackloses Unterfangen. Aber das Debüt des Komikers Chris Morris funktioniert auf vielen Ebenen, wirkt als willkommenes, nahezu kathartisches Gegenmittel zur allenthalben wahrnehmbaren Hysterie. Als schwarzhumorige Farce bewegt er sich in »Dr. Strangelove«-Fahrwassern, und er navigiert relativ gekonnt: Morris‘ gründliche Recherchen in Sachen Islam, sein satirischer Ton und die sorgfältige Figurenzeichnung bewahren den Film davor, sich über mehr als linkische Möchtegern-Attentäter lustig zu machen; den Terrorismus als solchen bagatellisiert er nicht. Stattdessen stellt er den angewandten Fundamentalismus als Resultat unreflektierten Rollenbewusstseins hin, in Kombination mit einer unheilvollen Gruppendynamik. Und das sind Momente, die wir verstehen, über sie können wir sogar lachen. Best Bit: Beim Marathon: »We have a wookie down.«

4 Sterne »Inside Job« (Charles Ferguson) Diese umjubelte Dokumentation hatte ihre Premiere 2010 in Cannes, gewann völlig verdient den Oscar und kam in etlichen Ländern ins Kino. Hierzulande erblickte der Film nur kurz das Licht der Augsburger Filmtage, dann verschwand er im DVD-Regal. Aber vielleicht ist dies der wichtigste Film des Jahres. Was »Margin Call« als Spielfilm verhandelt, zeigt »Inside Job« am lebenden Organismus. Er seziert das Geschwür der Finanzindustrie, durchleuchtet den Lobbyfilz in D.C., zeichnet den Weg des Systems von der Deregulation über das völlige Freidrehen bis zur fulminanten 20-Billionen-Dollar-Kernschmelze nach, beziffert die Gewinnmargen der Bonzen und zeigt Aufnahmen aus den Anhörungen vor dem Kongress. Die Sachkenntnis von Ferguson ist umfassend, die Argumentation mustergültig, seine Interviewfragen unerbittlich; »Inside Job« ist das definitive Dokument der Krise. Wie sang Neil Hannon noch: »We can build a much much bigger bubble the next time.« Best Bit: »What do you think about selling securities which your own people think are crap? Does that bother you?« – »Is that hypothetical?« – »No. This is real.«

4 Sterne »Blue Valentine« (Derek Cianfrance) Dieser Ryan Gosling sucht sich wirklich interessante Rollen aus. Hier spielt er an der Seite der genauso fabelhaften Michelle Williams in einer bittersüßen Geschichte über das Scheitern einer Liebe. Ganz recht: kein Happy End hier. Stattdessen rohe, ehrliche, teils improvisierte Szenen einer holperigen Beziehung, verschränkt erzählt – langsam wird den Liebenden der Gedanke, dass sie das, was sie investiert haben, wohl nicht zurückbekommen werden, zur schmerzlichen Gewissheit. Und dann hängt auch noch ein Kind mit drin: Soll man sich vielleicht trotz allem zur Ehe zwingen? Best Bit: Der beklemmende Rettungsversuch im Sci-Fi-Motel.

4 Sterne »Midnight in Paris« (Woody Allen) Der wievielte Allen ist das eigentlich? Zählt noch jemand mit? Nun ja, seine x-te Komödie jedenfalls setzte Allens Kurs vom passionierten New-York-Filmer zum eurozentrischen Romantiker fort und geriet zu einem seiner schönsten, charmantesten Filme. Locker-flockig kommt er daher, nutzt ein Zeitreisemotiv für einen nostalgischen, sentimentalen Trip ins Paris der 20er Jahre und der Belle Époque, zapft den schöpferischen Geist der Stadt an und holt ihn in die Gegenwart. Der Film profitiert von Owen Wilson, der seinem Charakter eine liebenswerte Unbedarftheit verleiht, ein wohltuender Gegensatz zu den zynisch-eloquenten Neurotikern mancher Allen-Klassiker. Best Bit: Der Detektiv landet unversehens in Versailles und platzt Louis XIV. ins Frühstück: « Qu’on lui coupe la tête! »

4 Sterne »The Thing« (Matthijs van Heijningen Jr.) Es gab »The Thing« von 1982, und es gibt »The Thing« von 2011. Beide wurden von der Kritik verrissen, aber aus unterschiedlichen Gründen. Der erste, von John Carpenter, war zwar wegen seiner abgefahrenen Spezialeffekte wahrgenommen, sonst aber in Bausch und Bogen vernichtet worden: seelenlos, effekthascherisch, töricht. Das stimmt vielleicht auch alles, aber mit den Jahren wurde der Film zum Kult, und dem Kult ist so etwas egal. So wurde Carpenters größte Schmach – selbst SciFi-Fans hatten Gift und Galle gespuckt – zum Teil ausgewetzt; der Film landet mittlerweile auf All-Time-Bestenlisten. Darum musste das Prequel a priori in Ungnade fallen – Kritiker spielten sich plötzlich als Gralshüter des schleimigen Shapeshifter-Horrors auf, der offenbar nun als Arthouse gilt, und ein Remake, Prequel oder was auch immer schien ein furchtbares Sakrileg zu sein, noch dazu von einem völlig unbekannten Regisseur. Nun, abgesehen davon, dass schon das Carpenter-Ding das Remake eines Films von 1951 war (»The Thing from Another World«, Christian Nyby/Howard Hawks), bietet der neue Film alles, was der Genreliebhaber sich zur gruseligen Freitagabendunterhaltung wünscht: Ordentliche Charaktere, gutes Timing, eine stimmungsvolle Location, liebgewordene Klischees (Duschvorhang!) und vor allem haarsträubende Kreaturen, über die ein Hieronymus Bosch sich gefreut hätte. Best Bit: Moment mal, kein Ohrring …?

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1 Stern »Sanctum« (Alister Grierson) Beworben mit dem Namen James Cameron (Produzent) und Sprüchen wie »the 3D experience that will take your breath away«, sah der Höhlentauchfilm zunächst ganz vielversprechend aus. Aber schon ein Zitat aus dem Trailer ließ uns skeptisch werden: »What could possibly go wrong diving in caves?« Äh, man kann ertrinken? Höhlentaucher sollten das wissen, möchte man meinen. Aber die Mannschaft seilt sich unverdrossen ab in unerforschte Gefilde, und das markiert den Beginn einer unbeschreiblichen Tortur – für den Zuschauer. Das Drehbuch entpuppt sich – folgerichtig – als absolut unterirdisch. Cameron muss grünes Licht gegeben haben, als er gerade verzückt sein neues Unterwasserspielzeug auspackte. Womöglich hat er auch gehofft, die 3D-Technik würde aus flachen Charakteren und eindimensionaler Handlung schon was Brauchbares machen. Leider nein. Und was ist eigentlich mit den Schauspielern los? Sie chargieren, als gäbe es kein Morgen. Ach stimmt, gibt’s auch nicht: Sie gehen alle drauf, einer nach dem anderen, in identischen Szenen. Der Film tut dann so, als würde uns das etwas angehen, doch wir haben leider unser Mitleid am Höhleneingang zurückgelassen.

1 Stern »Kokowääh« (Til Schweiger) Til Schweiger ist nicht gut auf Kritiker zu sprechen, deswegen schreiben wir ganz leise: sein neuer film ist wirklich nicht so toll. die story ist so vorhersehbar wie unglaubwürdig, plätschert über zwei lange stunden von einer hochnotpeinlichen szene zur nächsten, ist vorwiegend schlecht gespielt und von unglaublich schlimmen montagesequenzen durchsetzt, die sich mit kapriziöser kameraartistik und schmalzigen gute-laune-plattitüden ausnehmen wie kaffeewerbung. Aber so übel kann das alles wieder nicht sein: Die Menschen rannten millionenfach ins Kino, und die Presse ließ lauter gute Haare an dem Film. Aber wahrscheinlich hatte die nur Angst vor Til Schweiger, so wie wir ja auch.

1 Stern »Cowboys & Aliens« (Jon Favreau) Auf dem Papier schien das ja ein tolles Konzept, da hätte ein völlig herrliches B-Movie-Spektakel draus werden können. Aber neun Autoren haben irgendwie den Brei verdorben. Alien-SciFi ist nicht ohne weiteres mit althergebrachten Kinoformeln zu verheiraten – diesen Vorbehalt hatte Spielberg gegenüber George Lucas‘ Indy-IV-Story immer gehabt, hier aber als einer von 17(!) Produzenten offenbar wieder vergessen. Vielleicht wäre eine ironische Brechung doch der bessere Weg gewesen; der Film scheint sich aber für einen klassischen Western zu halten, die Herren Craig und Ford lassen das Spaß-Reservoir von Bond und Jones unangezapft. Das megalomanische Budget von 163 Millionen hinterließ kaum Spuren im Film; der größte Schauwert ist noch Olivia Wilde – aber ihre Figur entpuppt sich groteskerweise als Samariter-Alien und damit als wahrscheinlich schwächstes ›plot device‹ des Jahres.

1 Stern »Sucker Punch« (Zack Snyder) Nach dem Lichtblick »Watchmen« wieder mal Dünnpfiff von Zack »300« Snyder. Diesmal kloppen Püppchen in Röckchen alles kurz und klein. Und bringen eine Auswahl böser Feinde effektvoll um die Ecke. Der Kniff: Das passiert alles nur im Traum, die Mädels sind praktisch unbesiegbar und haben auch noch null Charakter – das erstickt jede eventuell aufkommende Spannung im Keim. Der Film taugt nur noch als Visitenkarte für die CGI-Abteilung; man stelle sich nur vor, wie Hundertschaften von bärtigen Digital Artists monatelang von nützlicher Arbeit abgehalten wurden, nur um diesen hohlen Haudrauf-Radau gut aussehen zu lassen.

1 Stern »Battle Los Angeles« (Jonathan Liebesman) Nichts gelernt aus dem »Skyline«-Debakel: abermals wird L.A. unter Aufwendung etlicher Budget-Millionen von böswilligen E.T.s attackiert, abermals fahren Regie, Skript und Crew den Film kollektiv gegen den Baum. Er ist einfach mal zu laut, zu lang, zu doof. Die Invasionsmasche dient offenbar nur als Vorwand, einen Kriegsfilm ohne das ›Anti-‹ machen zu können; der Film ballert unablässig um sich, ist fest in militärischer Hand – unsereiner wird nur als ›civilian‹ tituliert und darf, wenn’s hochkommt, mal eine patriotische Granate schmeißen, na vielen Dank auch.

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[ veröffentlicht am 31. 1. 2012 ]

(Filmstreifen im Logo © Fabian Kerbusch/DIGITAL-CONNECTOR)