100-Seiten-Bücher – Teil 67
Carl Zuckmayer: »Henndorfer Pastorale« (1972)

Konstanz, 11. Mai 2013, 23:38 | von Mynaral

Was haben Frank Schirrmacher und Carl Zuckmayer gemeinsam? Richtig, den ausufernden Gebrauch von Gedankenstrichen. Während sie jedoch Schirrmacher in die Tiefen des Internets und der Finanzindustrie geleiten, folgen wir Zuckmayer nur in das Salzburger Hinterland, nach Henndorf am Wallersee. Es ist irgendwann Anfang der Siebzigerjahre und sehr, sehr heiß, »der heißeste Tag eines heißen Sommers«.

Vom Bürgermeister und anderen Honoratioren empfangen kommen Zuckmayer, seine Frau und eine gelöste Dorfgesellschaft an der Wiesmühl an, dem Wohnhaus, das die Familie 1938 Richtung Exil verlassen musste. Es folgen Spuk, Hochsommergewitter, Festlichkeit, Versöhnung und Erinnerung und damit das obligatorische Namedropping: Reinhardt, Werner Krauß, Jannings, Bruno Walter, Hauptmann, Zweig und Horváth gaben sich hier früher die Klinke in die Hand.

In dieser Zeit half Zuckmayer auch dem in Henndorf geborenen Schriftsteller Johannes Freumbichler dabei, mit seinem Bauernroman »Philomena Ellenhub« bei einem Wiener Verlag unterzukommen. Prompt gewann Freumbichler 1937 den Förderpreis zum Großen Österreichischen Staatspreis und kaufte sich vom Preisgeld »einen Winterüberzieher vom Schneidermeister Janka und ein menschenwürdiges Geschirr«, wie sein größter Bewunderer und Enkel später berichtet, der damals allerdings noch sechsjährige Thomas Bernhard.

Während sich in der Wiesmühl die oben genannten berühmten Besucher einfanden, hatte der kleine Thomas noch beseelt mit den beiden Töchtern des Hauses gespielt und bekam »als Höhepunkt, neben allem anderen«, heiße Schokolade mit Schlagobers zu trinken. Eines Tages trat dann der so weißhaarige wie »berühmteste Schriftsteller seiner Zeit« ins Vorhaus und fragte: »Wo kann man denn hier Toilette machen?« Den kleinen Thomas hat das »ungemein beeindruckt«.

Länge des Buches: ca. 104.000 Zeichen. – Ausgaben:

Carl Zuckmayer: Henndorfer Pastorale. Zeichnungen von Clemens Holzmeister. Salzburg: Residenz Verlag 1972. S. 3–119 (= 117 Text­seiten, davon 10 Seiten mit Zeichnungen und 10 Leerseiten).

Carl Zuckmayer: Henndorfer Pastorale. In: Carl Zuckmayer. Gesammelte Werke in Einzelbänden. Hrsg. von Knut Beck und Maria Guttenbrunner-Zuckmayer. Band: Die Fastnachtsbeichte. Erzählungen 1938–1972. Frankfurt/M.: S. Fischer 1996. S. 311–362 (= 52 Textseiten).

(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)

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