Archiv des Themenkreises ›Filmakademie‹


25 Jahre »Blade Runner«

Hamburg, 20. Dezember 2007, 07:00 | von San Andreas

Manche Filme prägen einen. Sie beeinflussen die Art und Weise, wie man Filme sieht, öffnen einem die Augen dafür, was Filme vermögen. »Blade Runner« wurde aus eben jenem Meilensteinholz geschnitzt, vor nunmehr 25 Jahren, von Ridley Scott.

Science-Fiction-Filme altern nicht gut, heißt es. An »Blade Runner« aber scheint der Zahn der Zeit sich denselben auszubeißen. Zwar sehen wir in Scotts L.A. des Jahres 2019 klobige Monitore und beinahe gilliameske Apparaturen, aber die Technik-Vision stand nie im Vordergrund. Der Film entwirft eine Zukunft, in der der Umgang mit der Technologie Fragestellungen aufwirft, die zeitlos sind: nach Selbst-Bewusstsein, nach Identität, nach dem Menschsein schlechthin.

»Replicants are like any other machine. They’re either a benefit or a hazard. If they’re a benefit, it’s not my problem.«

Rick Deckard ist kein Philosoph; er macht nur seinen Job: durchgebrannte Replikanten ausschalten. Seine Weltsicht ist rigide, er selbst unzugänglich und ausdruckslos. Welch anregende Ambivalenzen ergeben sich allein daraus, dass die Archetypen des Films gegenläufig angelegt sind: Roy Batty, Deckards artifizieller Widersacher, hat ein überschäumendes Wesen, ist leidenschaftlich, poetisch. Wer von beiden ist menschlicher?

»Commerce is our goal here at Tyrell. More human than human is our motto. Rachael is an experiment. Nothing more.«

Um das potenziell gemeingefährliche Gemüt der neuen, intelligenten Generation von Replikanten besser kontrollieren zu können, implantierte Tyrell ihnen einen emotionalen Erfahrungsschatz – Erinnerungen. Auf diesem Polster wähnt sich Rachael, mangels besseren Wissens, ein Mensch zu sein. Ihr Bezugsrahmen unterscheidet sich im Grunde nicht von dem Deckards – wie kann sich Deckard im Umkehrschluss sicher sein, *kein* Replikant zu sein?

In der Tat gibt es Anzeichen, dass er einer ist, aber die Debatte schwappt konsenslos hin und her. Selbst Scott, Ford und Peoples (Drehbuch) sind sich uneins: Mal wird diese Intention geleugnet, mal eingestanden. Was wiederum auch folgerichtig ist; der Film befasst sich mit Fragen in Grenzbereichen des Urteilsvermögens; einfache Antworten verweigert er, ja muss er verweigern.

»I want more life, father.«

Ganz und gar allegorisch wird der Film, als Batty den Konzernboss Eldon Tyrell aufsucht – entspricht dies doch dem ureigensten Bedürfnis des Menschen, seinem Schöpfer gegenüberzutreten und ihn höflich um etwas mehr Lebenszeit zu bitten. Nexus-6-Replikanten haben nämlich eine Lebensdauer von vier Jahren, und sie betrachten ihr Enddatum mit Unmut. Denn mit der Selbsterkenntnis, mit dem Aufkommen einer emotionalen Existenz, beginnt auch das geistige Ringen mit dem Tod.

»I’ve seen things you people wouldn’t believe. Attack ships on fire off the shoulder of Orion. I watched C-beams glitter in the dark near the Tannhauser gate.«

Wer weiß schon, was C-Beams sind, oder wo sich dieses Tannhauser Gate befindet. Battys abstrakter Monolog fügt sich ebenso in die grandiose Schlusskonfrontation ein wie die weiße Taube und der strömende Regen – Elemente, die eigentlich gefährlich nah am Klischee gebaut sind. Aber bis dahin hat die Kraft des Films derlei Bedenken ausgehebelt. Zu fesselnd die Ästhetik, zu dicht die Assoziationen, zu hypnotisch der visuelle Rausch.

»Ah, kinship!«

Battys letzte Tat rettet Deckard das Leben – ein wahrhaft humaner Akt, der Feindbilder ins Wanken bringt und Deckard, der eine morbide Affinität für den Tod hegt, in gewisser Weise läutert. Er sagt kein einziges Wort, doch kulminieren in diesen Minuten Einsichten immenser Tragweite – auch für den Zuschauer. Es ist frappierend, wie der Stoff (Vorlage: Philip K. Dick, 1968) bioethische Sachverhalte derart eindringlich problematisiert, Jahrzehnte vor Dolly.

Wie jeder Film, der seiner Zeit voraus ist, wurde Blade Runner seinerzeit als unverständliches, trübsinniges Machwerk verkannt. Scott wurde genötigt, optimistischere Bilder ans Ende zu tackern (er verwendete »Shining«-Outtakes), und Ford, der schon während der Dreharbeiten schwere kreative Schlachten mit dem Regisseur zu schlagen hatte, sprach zähneknirschend einen peinlichen Off-Kommentar ein.

Der Film verlor an der Kinokasse gegen »E.T.«, aber als Warner merkte, dass die Zweitauswertung großen Erfolg hatte und vereinzelte Workprint-Screenings riesigen Zulauf verbuchten, wurde 1992 ein erneuter Kinostart anberaumt, mit einer Version, in der die unliebsamen Verschlimmbesserungen getilgt waren – der Director’s Cut war geboren, mittlerweile eine fast lästige Unvermeidlichkeit.

Für Verwirrung sorgten später abweichende US- und internationale Kinofassungen, merkwürdige Special Editions und neu geschnittene Fernsehfassungen. Den (vorläufigen) Schlusspunkt setzt dieser Tage der »Final Cut«, die definitive Version, gründlich gereinigt und mit etlichen Schönheitsoperationen versehen, natürlich ohne Off-Kommentar und mit dem Original-Ende: Die Fahrstuhltür schließt sich hinter Deckard und Rachael, Vangelis‘ herrliche »End Titles« grooven los, und in der Luft hängen noch Gaffs bittersüße Worte:

»It’s too bad she won’t live. But then again, who does?«


Evan Almighty

Hamburg, 19. Dezember 2007, 12:40 | von San Andreas

Dann sah ich gestern aus reinem Geigel diesen »Evan Almighty« mit Steve Carell. Dieses Monstrum von Komödie, Hunderte von Millionen hat die gekostet, wegen der vielen Effekte und der Riesenarche.

Der Film wurde von der Kritik regelrecht vernichtet. Man fragt sich, warum. Hierzulande bemängelte man, dass der Film nicht den Arsch in der Hose hat, dabei zu bleiben, dass die Flut eine ›Wrath of God‹-Geschichte ist. Morgan Freeman stammelt sich irgendeine Ausrede hin, und am Ende bricht sich alles auf diese kleine Family runter, und ein habgieriger Politiker (John Goodman) ist der Bösewicht, nee is klar.

Anyhow, DAS ist doch die Art von harmloser, überkanditelter Familienkomödie, die der Amerikaner abgöttisch liebt. Wenn man den Film für das nimmt, was er ist, macht er durchaus Laune. Ich meine, Carell baut da dieses riesige Boot im Hof, und ihm wächst ein halber Meter Noah-Bart, und er haut sich mit dem Hammer auf den Finger, und die Tiere des Planeten rücken ihm auf den Pelz – es gibt Unlustigeres.

Der herrliche Andy aus dem US-»Office« spielt einen wortverspielten Newsguy, und Wanda Sykes gibt wieder einmal die Wanda. Und mein Herz hüpft, wenn Noah, als die Wassermassen heranstürzen, ruft: »We’re gonna need a bigger boat!«


American Gangsters

Hamburg, 12. Dezember 2007, 12:10 | von San Andreas

Ridley Scott, versatiler Meilensteinfilmer (»Alien«, »Blade Runner«, »Gladiator«) und gelegentlicher In-den-Sand-Setzer (»G. I. Jane«, »White Squall«) nahm sich dieser Tage das Verbrechen zur Brust, das Verbrechen in Amerika. Zum einen drehte er »American Gangster«, die episch angelegte Geschichte von Frank Lucas, dem New Yorker Drogenboss, der die Stadt in den siebziger Jahren mit hochreinem Heroin überzog und neben dem einen oder anderen Mord zig Drogentote auf dem Gewissen hat.

Zum anderen produzierte Scott »The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford«. Der Titel trocknet einem den Mund aus, ist aber hervorragend gewählt. Im Stile der Presseschlagzeilen der 1870er Jahre gibt er das Verhältnis wieder, das Amerika zu einem der bekanntesten Bandenführer seiner Geschichte hat. Jesse James wurde nicht einfach nur erschossen – auf ihn wurde ein Mordanschlag verübt. Und der Mann, der ihn zur Strecke brachte, war kein Held, sondern ein Feigling.

Vordergründig behandeln beide Filme die Karrieren berühmt-berüchtigter amerikanischer Krimineller und deren jeweiliges Ende – Knast in dem einen, Ableben in dem anderen Fall. Sie eröffnen aber auch Einsichten in die Funktionalität amerikanischer Mythenbildung, und insbesondere die dabei auftretenden Ambivalenzen.

»The Assassination …« beobachtet die Transformation eines Verbrechers in einen Helden, sucht dabei die psychologische Nähe zu dessen schlussendlichem Mörder, Robert Ford, der sich in der Wahrnehmung seiner Mitmenschen wiederum vom anerkannten Erlöser zur verhassten Spottfigur wandelt. Wie konnte es passieren, dass das, was wir Ehre nennen, einem Banditen zugesprochen, seinem Eliminierer aber entzogen wurde?

Gut, Robert Ford (eine Offenbarung: Casey Affleck) war ein schmieriger Emporkömmling, der seinen Chef denunzierte und hinterrücks erschoss – das galt als unschicklich. Ausschlaggebender für den schlechten Stand seiner Tat war jedoch vielmehr der gute Stand des Jesse James. Seine Bande war aus den Guerilla-Bewegungen in den letzten Tagen des Bürgerkrieges hervorgegangen, und seine Überfälle wurden in der Presse politisiert, instrumentalisiert, glorifiziert. In den Händen der Medien taugt jeder zum Held: Jesse James wurde ohne sein Zutun zum amerikanischen Robin Hood.

Im Film stehen diese Erkenntnisse nicht im Vordergrund, aber er lässt einem viel Zeit, über derlei Zusammenhänge nachzudenken. Die Sequenzen tasten sich langsam an die Charaktere heran, machen James‘ wachsenden Verfolgungswahn ebenso erfahrbar wie Fords linkische Versuche, seinem Idol näher zu kommen, demgegenüber er abwechselnd grenzenlose Bewunderung und zermürbenden Neid empfindet.

Andrew Dominik (Regie) zeichnet ein realistisches Bild des gar nicht so glamourösen Banditenlebens. Auch wenn Jesse James in seinem Quasi-Exil einen gehobeneren Lebenswandel führt, zerstört sein gebrochener Charakter jegliche Idylle. Ungeachtet dieser nüchternen Authentizität entwickelt der Film eine kontemplative Poesie, wie man sie vielleicht noch aus Malicks »Days of Heaven« kennt. Über jeder Szene schwingt eine schicksalsschwere Note, die auf den Showdown hindeutet, dessen Ausgang bereits zu Beginn des Films klar ist.

Insofern konstruiert der Film keine klassischen Spannungsbögen, ebenso geizt er mit Revolver-Action. Spannung erzeugt er einzig über die vielschichtigen Beziehungen seiner Charaktere, die Doppelböden in ihren Gesprächen, den Hintersinn in ihren Blicken. Ein psychologisches Drama zeitloser Klasse, einer der besten Filme des Jahres.

Hoffnungsträger dieser Kategorie war ebenfalls »American Gangster« – das Werk überzeugt auch, aber nicht auf ganzer Linie. Scott hat sich zwar von der visuellen (Über-)Ästhetisierung seiner Anfangsjahre gelöst und einem eher authentischen Filmentwurf zugewandt, was den Figuren gut tut. Aber dieser Film, so sorgfältig er das illegale Geschäft im alten New York auch rekonstruiert, verschenkt die Chance, wirklich mehr zu sein als lediglich ein Abbild desselben.

Man darf dem Film vor allem vorwerfen, dass er Frank Lucas mit ethischer Indifferenz behandelt, als gewöhnlichen, wertebewussten Kapitalisten mit einer tollen Geschäftsidee (die Ware direkt beim Hersteller beziehen und billiger als die Konkurrenz verticken). Vielleicht rührt diese laxe Moral ja daher, dass Amerika mit dem Kriminellen tatsächlich vergleichsweise milde verfahren war. Weil er Mittäter und korrupte Beamte verpfiff, wurde Lucas schon nach fünf Jahren aus der Haft entlassen (Urteil: 70 Jahre).

Dabei half kurioserweise der Polizeibeamte, der ihn hinter Gitter gebracht hatte, Detective Richie Roberts (anständig verkörpert von Russell Crowe). Die beiden Männer pflegen heute eine innige Freundschaft und freuen sich bestimmt, dass Hollywood ihre Geschichte auf die Leinwand bringt. Frank Lucas ließ es sich auch nicht nehmen, jeden einzelnen Drehtag am Set zu sein, um Denzel Washington zu zeigen, wie man jemandem herrlich das Hirn wegpustet.

Das mag eine vortreffliche Authentizität ergeben, der Erkenntnisgewinn über das historisch-dokumentarische Element hinaus bleibt dennoch einer aus zweiter Hand. »American Gangster« wird zum Ausdruck einer apologetischen, mythisierenden Faszination für das Verbrechen, scheint sich dessen aber nicht bewusst zu sein – im Gegensatz zu »The Assassination …«, der diesen Prozess eben nicht betreibt, sondern analysiert.

»American Gangster« bleibt immer noch ein Stück großes Kino – für den Moment. »The Assassination …« bleibt das auf Jahre hinaus.


Böse Räume, böse Zellhaufen:
»1408« und »The Invasion«

Hamburg, 26. Oktober 2007, 09:47 | von San Andreas

Von Zeit zu Zeit lohnt es sich, in den kleineren Kinosälen nach Filmperlen zu fischen, da verstecken sich manchmal kleine, feine Genre-Filme. Meist klein, selten fein, muss man sagen, aber das ist Berufsrisiko.

Die Synopsis der King-Verfilmung »1408« ließ mich gleich an Mr. Halloran denken, wie er seinerzeit den kleinen Danny im Overlook-Hotel warnte:

»There ain’t nothin‘ in Room 237. But you ain’t got no business goin‘ in there anyway. So stay out. You understand? Stay out.«

Das war 1980, »The Shining«. Anno 2007 nun wird John Cusack, seines Zeichens Spuk-Guide-Verfasser, ans Herz gelegt, er möge um Gottes Willen von Zimmer 1408 fernbleiben. Sam Jackson gibt den distinguierten Hotelmanager, dem nur einmal, als Zugeständis an die Fans seiner coolen Sprüche, ein herzhaftes »It’s an evil fucking room.« entfleucht.

Die Warnung wird freilich tunlichst ignoriert, und die Reihe blauer Wunder, die der Gast in Zimmer 1408 erlebt, sind gruseltechnisch überaus effektiv realisiert. Die üblichen Schockmomente aus der Klischeekiste glänzen durch Abwesenheit, an ihrer Stelle gibt es klirrenden Suspense, trockenen Humor, die eine oder andere haarsträubende Überraschung und das wohlige Gefühl des Abdriftens in eine Welt, in der alles möglich scheint.

Der Film packt es tatsächlich, das typische King-Feeling auf die Leinwand zu bringen. Wer erinnert sich nicht: diese fantastischen Geschichten, die wir damals als Halbwüchsige verschlungen haben, die unumwundene Bewunderung für ihren Autor – welche wir heute gern in Abrede stellen.

Aber jeder sollte seine Stephen-King-Phase gehabt haben; sie ist unschätzbar als kribbelnde Initiation in die Welt der Fiktion, in menschliche Abgründe und aufregende Grenzwelten. Und was wäre das Kino ohne die rund 75(!) King-Adaptionen, darunter neben »The Shining« Meisterstücke wie »Misery«, »The Shawshank Redemption«, »Stand by me« und »Carrie«. King-Serientäter Frank Darabont (»Shawshank«, »Green Mile«) hat nun »The Mist« verfilmt, eine meiner Lieblingsgeschichten von damals über eine mysteriöse Gefahr in einer Nebelbank …

Im Film »The Invasion« kommt die Gefahr aus den Tiefen des Alls, eine parasitäre Intelligenz, die Persönlichkeiten ausradiert und aus Menschen seelenlose, gleichgeschaltete Existenzen macht. Die Story (Jack Finneys »Invasion of the Body Snatchers«) wurde schon oft erzählt; sie gilt als Klassiker der metaphorischen SciFi. Die berühmteste Version von 1956 entwickelte als Spiegel der McCarthy-Ära profunde Bezüge – ob das von den Machern gewollt war oder nicht.

Oliver Hirschbiegel, eigentlich unser Mann für starken historischen und psychologischen Tobak (»Das Experiment«, »Der Untergang«), hat in seinem Neuaufguss die Chance auf gesellschaftskritische Doppelböden nun leider vollständig vergeben. Er injiziert dem Stoff stattdessen eine halbgare Moral, die nach hinten losgeht: In einem gestelzten Tischgespräch ergehen sich Quasi-Intellektuelle in einem Lamento über die Niedertracht des Menschen, seine Kriege und Laster.

Der Gegenpol dieser nichtsdestoweniger *normalen* Umstände, das sind in der Realität humanitäre, pazifistische Bewegungen, im Film sind das – Achtung! – die seelenfressenden Invasoren, die ja nebenbei auch sämtliches Unbill beseitigen. Diese Gleichsetzung kann so nicht gemeint sein, steckt aber im Film drin und spricht für dessen Nachlässigkeit in vielen Belangen.

Hirschbiegel mag nicht der Alleinverantwortliche sein; wie man hört, fanden extensive Nachdrehs unter der Regie von James McTeague statt. Vielleicht veranlasste der auch die lachhaften Animationen von bösen Zellhaufen in der Blutbahn.

Die Kidman ist gut, aber Daniel Craigs Rolle besitzt auch vor ihrer Infektion keine bemerkbare Persönlichkeit. Was bleibt, ist eine brave Nacherzählung, so solide wie überflüssig (Slate: »the poor man’s version of suspense«). Man halte sich an das Original, und wer kein schwarz/weiß kucken mag, schaue sich Philip Kaufmans exzellente 1978er Version an, den seltenen Fall eines kongenialen Remakes. Allein wenn ich da an diese eine schaurige Szene mit Donald Sutherland denke … aaah, the horror, the horror!


All you Zombies

wieder in Hamburg, 27. September 2007, 23:43 | von San Andreas

Eben erst der Maschine aus Madrid entstiegen, praktisch noch den halben Cortado in der Hand, und sofort ins Kino geflitzt, hurtig das Programm gescannt und zack! im Sessel versunken.

Es soll ja Leute gegeben haben, die in der Hektik den Film »28 Days« (Bullock-Dramödie) mit »28 Days later« (Zombie-Horror) verwechselt und eine böse Überraschung erlebt haben. Den Fehler werden sie bei dem angenehm sinnfällig betitelten Sequel »28 Weeks later« nicht noch einmal machen.

Geboten wird allerdings dasselbe: Wutgeifernde, blutdurstige Virusopfer ziehen gegen Überlebende in einem entvölkerten London. Danny Boyle hat den Regiestuhl abgegeben, wohlwissend, dass der Novitätsabschlag seinem Ruf als Runderneuerer nicht eben zuträglich gewesen wäre. »Days« hatte seinerzeit das in Nischen dahindarbende Horrorgenre mit, nun ja, frischem Blut versorgt.

Wie erquicklich war es, als die dumpf dahinwankenden Romero-Zombies per Boyle-Update zu fiesen, flinken, hochinfektiösen Psychopathen mutierten, während das Pandemie-Szenario zeitgenössische Ängste reflektierte und den Film durchaus in die Nähe postapokalyptischer Perlen wie »Twelve Monkeys« oder »Mad Max« rückte.

Ungemein attraktiv natürlich allein die Prämisse, einen Menschen in einer eben noch pulsierenden Metropole auf sich allein gestellt zu sehen. Boyle verzettelte sich allerdings ein wenig im letzten Drittel; die Handlung in diesem Militärcamp litt an einer allzu fahrigen, gewollt provokanten Dramaturgie.

Gerade dieses Thema – ›Moralinstanz Militär‹ – setzt sich in der Neuauflage fort. Zunächst treten die Streitkräfte als Retter und Wiederaufbauer auf, dann, als das Virus erneut ausbricht und unter den Überlebenden fröhliche Urständ feiert, als Verantwortliche unter moralischem Zugzwang: Will man die Menschheit retten, muss getötet werden.

Doch die Grenze zwischen Infizierten und Gesunden verschwimmt aus der Distanz des Zielfernrohrs. Dies kann man als politischen Kommentar lesen, Irak und so weiter, muss man aber nicht. Es ist dennoch bezeichnend, dass die drastischsten Szenen des Films von uniformierten Helfern ausgehen: Massentötungen mit schwerem Gerät, aber leider – o Dilemma! – nicht zu vermeiden.

Dankenswerterweise stilisiert der spanische Regisseur Fresnadillo die Metzelgewalt so, dass sich ihr verstörendes Potenzial in Grenzen hält und der Film auch nicht zum billigen Guts’n’Gore-Verschnitt gerät. Die verwischten Stakkato-Montagen ergeben zusammen mit dem hypnotischen Soundtrack manchmal sogar eine ganz gefällige Filmerfahrung. Die »Welt« hält sie sogar für Annalen-würdig.

Den dramatischen Rest des Films bildet die Geschichte einer Familie, die durch eine tragische Kette von Infizierungen arg dezimiert wird. Im Grunde erschütternde Schicksale, die aber mit der genre-üblichen Lapidarität abgehandelt werden, nach dem Motto »Daddy ist jetzt einer von denen? Hmm … schade eigentlich.«

»Weeks« strebt wie sein Vorgänger nach Authentizität, sei es durch die Abwesenheit von Stars oder durch die Einbeziehung des desolaten Stadtgebiets. Dennoch wirkt die Fortsetzung größer, gewaltiger, geschliffener, und ihr Pech ist, dass auch ihre Schwächen größer und gewaltiger wirken.

Was bleibt, ist eine immer noch akzeptable Verquickung von Fantastischem aus den Archiven des Horrorgenres mit realen Ängsten vor virulenten Gefahren. Weniger beklemmend als unterhaltsam, ein leidlich origineller Adrenalinrausch aus der Splatter-Ecke, der weitaus verträglicher ausfällt als die andere neue, eher bedenkliche Blüte der Sparte: ›Torture Porn‹ made in USA.

Die Combo aus Apokalypse und Monstermovie erfährt bald weitere Variationen: Will Smith sieht sich auf sich allein gestellt in der Nicht-kleckern-sondern-klotzen-Produktion »I am Legend«, während Kidman und Craig in »The Invasion« wie weiland Wynter und McCarthy gegen böse Body Snatchers antreten. Und irgendwann – ich verwette meine ABC-Schutzmaske – kommt bestimmt auch »28 Months later«.


Bourne again

auf Reisen, 11. September 2007, 03:08 | von San Andreas

Dritte Teile haben es bei Kritikern meist schwer. Oft gilt der erste Teil als der gelungenste (»Alien«, »Matrix«, »Jaws«), manchmal auch der zweite (»Godfather«, »Spider-Man«), sehr selten aber der dritte (»LOTR«?). Die Sache ist die: Rezensenten werden einer Sache schnell überdrüssig, sie ermüden angesichts derselben Gesichter in denselben Rollen und haben böse Wörter wie ›Aufguss‹ und ›Geldschneiderei‹ fix bei der Hand.

Bei abgeschlossenen Trilogien hingegen profitiert das Threequel von einem Bonus, denn hält der Film das Niveau und erzählt er die Geschichte vernünftig und womöglich fulminant zu Ende, verschafft er das befriedigende Gefühl von ›closure‹: Der Rezensent kann Rückschau halten und die Filmschaffenden mit einem jovialen ›Bravo!‹ in neue Projekte entlassen.

Wie allerorten zu lesen, schlägt dem Finale der »Bourne«-Trilogie eben jenes Wohlwollen entgegen, ein überbordendes sogar, und das, liebe Kritiker, auf jeden Fall und ohne jeden Zweifel vollkommen zu Recht. Damon und Greengrass laufen zur Höchstform auf, führen die Story um die Identität des Jason Bourne stilsicher und unerhört kraftvoll zu ihrem Höhepunkt und Abschluss, wobei sie die beiden ersten Teile in punkto Spannung und Turbulenz scheinbar mühelos übertreffen.

Was lässt »Bourne« über den 08/15-Actioner von der Stange hinauswachsen? Manche (z. B. Hanns-Georg Rodek in der »Welt«) sehen das Besondere in der Konstruktion der Geschichte: Der Agent erfüllt nicht länger Aufträge des Geheimdienstes, sondern wendet sich gegen seine Organisation und löst kraft seiner antrainierten Fähigkeiten ein persönliches Trauma.

Gut, aber in der Rolle des abtrünnigen Geheimdienstlers sahen wir u. a. bereits Robert Redford (»Three Days of the Condor«), Gene Hackman (»The Conversation«), Tom Cruise (»Mission: Impossible«) oder erst kürzlich Ulrich Mühe (»Das Leben der Anderen«).

Das Geheimnis liegt vielleicht auch im Subtext verborgen, im Konzept ›Identität‹, das alle drei Filme umspannt. Eine Identitätskrise, ein Prozess der Selbstfindung, sonst in leisen Dramen abgehandelt, hier ungewöhnlicherweise im kreuzgefährlichen Umfeld mörderischer Geheimdienstoperationen.

Perfiderweise lebt oder lebte der Held gleich drei Identitäten: zum einen jenen an Amnesie leidenden Namenlosen, zum anderen Jason Bourne, und schließlich David Webb. Die Entscheidungen, Handlungen und Motivationen jeder einzelnen dieser Identitäten ergeben ein Geflecht von Schuld und Verantwortung, das die Filme durchzieht und ihnen bei aller Haudrauf-Action Resonanz auf moralischer Ebene verschafft.

Auch in punkto Machart bricht »Bourne« Konventionen: Die geschliffene Ästhetik gängiger Agentenfilme weicht einer spröden, ruppigen, ungeschönten Wahrhaftigkeit. Der erste Film, inszeniert von Doug Liman, setzte da in den schmuddeligen, neonbeschienenen Hinterhöfen Berlins Zeichen.

Und Paul Greengrass, ein Mann für anspruchsvolle, an die Nieren gehende Kost mit dokumentarischem Einschlag (»Bloody Sunday«, »United 93«) perfektionierte die schroff-authentische Action-Atmo, ohne jedoch die Persönlichkeit des Helden aus den Augen zu verlieren.

Schwer genug, denn Damons Charakter ist als stoischer Einzelkämpfer angelegt, der nicht eben übersprudelt vor Mitteilsamkeit. Nicht einmal knackige One-Liner kommen ihm über die Lippen, sonst gern genommenes Standard-Repertoire von Actionfilmen.

Bourne/Webb gewinnt durch seine Handlungen an Profil, durch kleine Momente der Barmherzigkeit, flüchtige Blicke, kurze Sätze im Umgang mit seinen Helfern und Gegnern. Damon glänzt mit präzisem, nuancierten Underacting, lässt seine Rolle, trotzdem man ihn kaum einmal lachen, ja nicht einmal essen oder trinken sieht, zum Empathie-Fixpunkt werden, der alle drei Filme zu tragen imstande ist.

So wie Robert Ludlum seine Werke (auf denen die Filme im Übrigen nur lose beruhen) stets handschriftlich verfasst hat, um den Geschichten näher verbunden zu sein, drehte Greengrass »Ultimatum« gleichsam per Hand. Eine entfesselte Kamera jagt durch echte Menschenmengen, sucht Dialogpartner in nervösen Gegenschüssen über die Schulter.

Für Verfolgungsjagden wurden keine Straßen abgesperrt; was man kreischen und splittern hört, ist echtes Metall, echtes Glas. Der Schnitt ist rastlos, die Sequenzen hasten voran, der Film bietet nur wenige, knapp kalkulierte Verschnaufpausen. One hell of a ride.

Die spontane Frische der Filme spiegelt die Produktionsbedingungen wider: Wie man erfährt, waren Damon und Greengrass unablässig am Modifizieren des Scripts, probierten Ideen aus, verbesserten oder verwarfen sie. Nachdrehs waren an der Tagesordnung. Die letzte Szene des zweiten Teils ersann das Team beispielsweise erst zwei Wochen vor Kinostart: Bourne befindet sich in New York und konfrontiert CIA-Sympathisantin Pamela Landy mit seiner Anwesenheit.

Die Szene bildet das Sprungbrett für den dritten Teil: Was um Himmels Willen macht Bourne in der Höhle des Löwen? Wir erfahren es im dritten Akt von »Ultimatum«, denn da taucht die Szene noch einmal auf: Bourne kennt seinen wirklichen Namen, vollführt eine Kehrtwende und geht gegen seine unsichtbaren Feinde an, will die Bedeutung seiner Identität endgültig ergründen und, wenn man so will, seinem Schöpfer vor die Augen treten.

Selbiger wird vom großen Albert Finney verkörpert, der dem Gipfeltreffen eine wunderbare Gravität verleiht. Fabelhaft besetzt auch David Strathairn. Sonst eher in Independent-Perlen vertreten, gibt er den sinistren Schreibtischtäter Noah Vosen, aus dessen Perspektive Bournes Bewegungen häufig gezeigt werden – wenn er ihn gerade mal auf dem Schirm hat.

Denn Bourne ist Vosen oft genug in nahezu traumwandlerischer Sicherheit einen Schritt voraus; das CIA-Debakel auf der Waterloo Station komprimiert dieses Verhältnis in Form einer ungeheuer intensiven Sequenz, an der sich zukünftige Filme dieser Art werden messen lassen müssen. Ebenso schweißtreibend die Auto-Verfolgungsjagd in New York, die in bester French-Connection-Tradition schier birst vor kinetischer Energie.

Perfekte Regie, geerdete Ästhetik, effizientes Timing: »The Bourne Ultimatum« verbindet Grips mit Action und avanciert im Handstreich zu einem der besten Actionthriller der letzten Jahre. Bleibt zu hoffen, dass die Macher es bei der Trilogie belassen, denn das Ende von »Ultimatum« ist einfach zu schön. Außerdem haben es vierte Teile bei Kritikern gemeinhin noch viel, viel schwerer als dritte.


»Transformers«: Darf man das sehen?

Hamburg, 7. August 2007, 12:51 | von San Andreas

Ich hatte noch diesen Kinogutschein einzulösen und nicht übel Lust auf gute Unterhaltung. »Transformers«, hab ich gedacht, hat vielleicht jene larger-than-life-Qualität, die man als Gegengewicht zu verkopftem Kunstkino bisweilen zu schätzen weiß.

Doch schon als das Publikum bei den Trailern zu der Pubertätsklamotte »Superbad« und dem Fließbandblödsinn »Rush Hour 3« schier aus dem Häuschen geriet, beschlich mich der Argwohn, ich säße womöglich im falschen Film.

Hollywood orientiere sich mehr und mehr an bekannten Marken als Erfolgsgaranten. Verlasse sich allzu sehr auf CGI. Treibe die Rechenpower in ungeahnte Höhen und lasse die Erzählkunst verkümmern. So das Feuilleton, und es stimmt ja irgendwo alles.

So weit wie Tarantino möchte man jedoch nicht gehen, der Filme mit Computerunterstützung mit dem unschönen Wort ›Verarsche‹ etikettiert. Mithilfe des Rechners lassen sich im Kino Geschichten bebildern, die unsere Väter nur in papierner Form kannten. Unbestritten können da feine Filme bei rauskommen, man denke nur an die gelungeneren Comicverfilmungen der letzten Jahre.

Aber man muss unterscheiden: Comic-Helden auf der einen, Spielzeug auf der anderen Seite. Ich hätte besser aufpassen sollen, als mein Neffe mit seinen Bionicles spielte: Plaste-Roboter haben keine interessanten Geschichten zu erzählen. Die kloppen sich nur.

Das ist teilweise auch recht hübsch anzusehen. Es heißt, bei einer einzelnen Transformation bewegten sich 10 108 Bauteile (von denen der Zuschauer eh nur 50 auszumachen vermag, wie Hanns-Georg Rodek so spöttisch wie korrekt bemerkt). Aber 2 1/2 Stunden Roboterhatz ermüden einen dann doch, ganz zu schweigen davon, dass diese Lauflänge mein Filmtheater veranlasste, eine Pause einzufügen.

Mit Jon Voight, John Turturro und Shia LaBeouf sind durchaus respektable Leute am Start (Letzterer wird den Film eventuell als Jugendsünde abtun, sobald er zu dem Tom Hanks gereift ist, als dessen Nachfolger er gehandelt wird). Das hindert den Film aber nicht daran, eine vollkommen überdrehte, infantile Art an den Tag zu legen. Ganze Dialoge drehen sich darum, dass ein kleiner Erden-Chihuahua einem 20-m-Roboter-Alien nicht an die Karosserie zu urinieren habe, weil: das rostet.

Be that as it may, man muss dem Film zugute halten, dass er sehr wohl weiß, wie albern er ist. Die Komik ist selten unfreiwillig, stets jedoch so subtil wie eine Tüte Knallfrösche – aber letztendlich ist eine derart naive Unbefangenheit wahrscheinlich die einzige Form, Kinderspielzeug filmisch gerecht zu werden. Ob man sich das ansehen muss, ist eine andere Frage. Eher nicht. Aber: man darf.


Zur Hölle mit der Story!

Davos, 25. Juli 2007, 10:57 | von Guest Star

Es folgt ein Gastbeitrag von Stefan vom Netlabel VEB Film Leipzig als Replik auf San Andreas‘ gestrigen »Death Proof«-Verriss. – Paco

[Unter dem Vorbehalt, meine Meinung zu ändern, sobald ich den Film nüchtern gesehen habe:]

Zu allererst muss ich sagen: Der Mann hat Eier. Tarantino hat seinen eigenen Stil längst etabliert. Aber diesmal verzichtet er nahezu komplett auf ein klassisches Filmdesign: Wir sehen Plastikautos, Real-Life-Locations, Passanten im Bild etc. Da wird teilweise mit einer Totale draufgehalten, wo man mit näheren Einstellungen ästhetisch auf der sicheren Seite gewesen wäre. Kein Silikon an den Mädels, und die Darsteller dürfen uncool spielen.

Mutig auch die Dialoge: Die sind ellenlang und sehr konkret, womit er natürlich schwer Gefahr läuft, sich im Ton zu vergreifen. Trotzdem sehr authentisch. Und das muss man allen relevanten Figuren zusprechen, bei ›Butterfly‹ vielleicht mit Abstrichen, ihre Texte waren mir teilweise etwas overstyled.

All das erinnert ein bisschen an Gonzostyle-Netzvideos: keine klassische Dramatik, realer Look, Authentizität und viele Selbstreferenzen. Hier ist das sicher eher Tarantinos Vorliebe für B-Movies geschuldet als Internet- oder Videogame-Einflüssen, wie wir es vermutlich bei kommenden Filmemachern beobachten werden können.

Beim Gemetzel hat er sich ja diesmal vergleichsweise zurückgehalten. Die Story hat mir auch nichts gebracht, was aber okay war, denn das hatte der Film auch zu keiner Zeit versprochen. Subtext gibt es mehr als genug, vor allem auf formaler Ebene: der ganze Fußfetisch und das ›ich muss sie von einem V8 ficken lassen, sonst bekomme ich keinen hoch‹-Programm; das Selbst-Mitspielen ohne eigentlich überhaupt zu spielen, ›wir wollen hier nur saufen, saufen und saufen, also zur Hölle mit der Story!‹. Und wieder mal ein von Tarantino aus den Jagdgründen der Filmgeschichte ausgegrabener Hauptdarsteller, der mitten im Film plötzlich direkt in die Kamera spricht.

Was die Musik angeht: Da würde ich Tarantino tatsächlich ein gückliches Händchen zugestehen, denn Mainstream-Klassiker in den Soundtrack zu packen ist nicht ganz einfach. Wie das fehlschlagen kann, vor allem über kulturelle Grenzen hinweg, sieht man z. B. bei »Lost Highway«.

So sehe ich das: Während Tarantino zuletzt in »Kill Bill« nur seine handwerklichen Fähigkeiten trainiert hat, ist »Death Proof« ganz klar ein fetter Beitrag zur Evolution des Kinofilms – auf »Pulp Fiction«-Niveau. Innovation also.


Johnny Trash at San Quentin

Hamburg, 24. Juli 2007, 22:21 | von San Andreas

Der bekannte amerikanische Regisseur Quentin Tarantino hat mit »Death Proof« seinen ersten Flop gelandet, und man hat dazu allerhand hämische Bemerkungen gelesen. Hier ein paar mehr.

Es scheint tatsächlich so, als hätte das »Regie-Wunder« seinen Pulp-Fiction-Freibrief aufgebraucht; Kritik und Publikum scheinen seiner Masche allmählich überdrüssig. Masche ist ein schweres Wort, doch bei Lichte besehen sind seine Filme dies: simple Geschichten, raffiniert erzählt auf einem nostalgischen Bett vergangener Filmformeln, deftig abgeschmeckt mit bizarrer Gewalt und nur den abartigsten Todesarten, garniert mit ultracoolen Dialogen und als Beilage das Beste aus Tarantinos Plattenschrank.

Vielleicht kein schlechtes Rezept, doch während der frische Wind langsam abflaut, schleicht sich doch der Gedanke ein, der Mann könnte überbewertet worden sein. Die Kritik hatte ihn jubelnd ins Herz geschlossen, seine unbändige Verve genossen, seine Filmkompetenz goutiert. Doch sah das Publikum den Quentin’schen Hintersinn? Ich habe Leute gefragt, warum sie »Kill Bill« gut fanden und bekam Antworten wie »Geile Gemetzel!« oder »Schon allein der Soundtrack!« Und da krieg ich Angst.

Die Cineasten unter uns mögen einwenden, es sei doch egal, aus welchem Grund die unbedarfte Masse diese Filme guckt: Wir sehen sie als mythologische, filmkulturell vernetzte Meisterwerke eines genialischen Autorenfilmers. Bitteschön. Trotzdem muss erlaubt sein zu sticheln, dass Tarantino vor lauter Zitaten und Hommagen gar nicht dazu käme, *eigene* Filme zu drehen.

Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich nie eine romantische Beziehung zu 70er-Jahre-Schundfilmen entwickelt; meine Begeisterung für diese Kunstform hält sich in Grenzen. Sie in »Death Proof« bis ins Detail nachzuempfinden, ist eine Fingerübung für Tarantino, und man kann nicht sagen, sie wäre nicht geglückt. Nur interessiert sie kaum einen. Er hätte auch die Mona Lisa nachmalen können, aber Fakt ist: Es gibt sie schon. Why bother?

Aus Spaß vielleicht. Kino um des Kinos willen. Ein Mann fährt gerne Frauen zu Klump, na klar, die Geschichte fehlte noch im Trash-Kanon. Oder ist da noch mehr? Mancher Rezensent suchte verzweifelt nach etwas, das den Film über sich hinaus wachsen ließe. Die banal-vulgären Dialoge der Heldinnen werden kurzerhand zu intimen feministischen Einblicken glorifiziert – Tarantino als Frauenversteher.

Meinetwegen. Nichtsdestoweniger bleibt der Film klein. Ein Exploitation-Musterbeispiel für Insider, ein nostalgisches Abziehbild, Originalität aus zweiter Hand. Angenehm wahrhaftig in der Realisierung, rund, stilsicher – aber herzlich irrelevant.

Zur Rettung eilt das postmoderne Filmzitat, welches Tarantino zur Kunstform erhoben hat. So klingelt ein ohnehin anachronistisches Handtelefon mit dem Pfeifmotiv aus »Kill Bill« – der Fan klopft sich auf die Schenkel. Doch das hätte er schon in »Kill Bill« tun sollen, denn bereits da war das Stück ein Zitat, nämlich Bernard Hermanns Leitmotiv aus dem Thriller »Twisted Nerve« (1968) – bloß: Wer weiß das schon. Spätestens hier beißt sich die Zitate-Katze in den Schwanz.


Werner Who?

Hamburg, 19. Juli 2007, 07:17 | von San Andreas

»Der deutsche Regisseur Werner Herzog«, muß Werner Herzog schon vorgestellt werden. Wo? Auf Seite 12 der Juli-Ausgabe der »CINEMA«. In einem Filmmagazin also. Einem deutschen Filmmagazin. Ist das nicht schlimm? (Und das war auch kein Ausrutscher wie ein Blick auf deren Website zeigt.) Auch die »Welt« schreibt: »Zuhause vergessen, gilt Werner Herzog im Ausland als einer der großen deutschen Filmemacher.«

Hierzulande denkt man »Herzog? Kinski!«, das war’s. Seine nachfolgenden dokumentarischen Arbeiten wurden allenfalls unter ›ferner liefen‹ wahrgenommen. »The White Diamond« (2004) wurde kaum beachtet, »Grizzly Man« (2005) erschien gar nicht erst im Kino. Beides hervorragende Filme, eindringliche Porträts getriebener Seelen in Extremsituationen, und gleichzeitig selbstreflexive Film-Kontemplationen mit hohem Herzog-Faktor.

Ein anderer, neuerer Erguss trägt den Titel »The Wild Blue Yonder« (2005). Wie bei »Grizzly« recycelt Herzog Archivmaterial – zum einen aus dem Inneren einer Raumstation, zum anderen von unter dem Polareis – kleidet das Ganze jedoch in einen abstrakt-fantastischen, manche sagen kruden, narrativen Mantel. Wir treffen Brad »Schlangenzunge« Dourif als missgelaunten Außerirdischen, so viel soll verraten sein. Nichtsdestoweniger vermag der Herzog-Connaisseur auch hier transzendente Ansichten zur Allmacht der Natur herauszulesen.

Dieser Tage nun erschien »Rescue Dawn« in den USA, Herzogs erster veritabler Spielfilm seit langem. Es ist die Filmversion seiner Doku »Little Dieter needs to fly« (1997) über die abenteuerliche Flucht eines freiwilligen Luftwafflers aus vietnamesischer Kriegsgefangenschaft. Und wie man von einer Münchener Vorpremiere hört, soll der Film ziemlich gut sein. Selbst ohne Kinski.