American Gangsters

Hamburg, 12. Dezember 2007, 12:10 | von San Andreas

Ridley Scott, versatiler Meilensteinfilmer (»Alien«, »Blade Runner«, »Gladiator«) und gelegentlicher In-den-Sand-Setzer (»G. I. Jane«, »White Squall«) nahm sich dieser Tage das Verbrechen zur Brust, das Verbrechen in Amerika. Zum einen drehte er »American Gangster«, die episch angelegte Geschichte von Frank Lucas, dem New Yorker Drogenboss, der die Stadt in den siebziger Jahren mit hochreinem Heroin überzog und neben dem einen oder anderen Mord zig Drogentote auf dem Gewissen hat.

Zum anderen produzierte Scott »The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford«. Der Titel trocknet einem den Mund aus, ist aber hervorragend gewählt. Im Stile der Presseschlagzeilen der 1870er Jahre gibt er das Verhältnis wieder, das Amerika zu einem der bekanntesten Bandenführer seiner Geschichte hat. Jesse James wurde nicht einfach nur erschossen – auf ihn wurde ein Mordanschlag verübt. Und der Mann, der ihn zur Strecke brachte, war kein Held, sondern ein Feigling.

Vordergründig behandeln beide Filme die Karrieren berühmt-berüchtigter amerikanischer Krimineller und deren jeweiliges Ende – Knast in dem einen, Ableben in dem anderen Fall. Sie eröffnen aber auch Einsichten in die Funktionalität amerikanischer Mythenbildung, und insbesondere die dabei auftretenden Ambivalenzen.

»The Assassination …« beobachtet die Transformation eines Verbrechers in einen Helden, sucht dabei die psychologische Nähe zu dessen schlussendlichem Mörder, Robert Ford, der sich in der Wahrnehmung seiner Mitmenschen wiederum vom anerkannten Erlöser zur verhassten Spottfigur wandelt. Wie konnte es passieren, dass das, was wir Ehre nennen, einem Banditen zugesprochen, seinem Eliminierer aber entzogen wurde?

Gut, Robert Ford (eine Offenbarung: Casey Affleck) war ein schmieriger Emporkömmling, der seinen Chef denunzierte und hinterrücks erschoss – das galt als unschicklich. Ausschlaggebender für den schlechten Stand seiner Tat war jedoch vielmehr der gute Stand des Jesse James. Seine Bande war aus den Guerilla-Bewegungen in den letzten Tagen des Bürgerkrieges hervorgegangen, und seine Überfälle wurden in der Presse politisiert, instrumentalisiert, glorifiziert. In den Händen der Medien taugt jeder zum Held: Jesse James wurde ohne sein Zutun zum amerikanischen Robin Hood.

Im Film stehen diese Erkenntnisse nicht im Vordergrund, aber er lässt einem viel Zeit, über derlei Zusammenhänge nachzudenken. Die Sequenzen tasten sich langsam an die Charaktere heran, machen James‘ wachsenden Verfolgungswahn ebenso erfahrbar wie Fords linkische Versuche, seinem Idol näher zu kommen, demgegenüber er abwechselnd grenzenlose Bewunderung und zermürbenden Neid empfindet.

Andrew Dominik (Regie) zeichnet ein realistisches Bild des gar nicht so glamourösen Banditenlebens. Auch wenn Jesse James in seinem Quasi-Exil einen gehobeneren Lebenswandel führt, zerstört sein gebrochener Charakter jegliche Idylle. Ungeachtet dieser nüchternen Authentizität entwickelt der Film eine kontemplative Poesie, wie man sie vielleicht noch aus Malicks »Days of Heaven« kennt. Über jeder Szene schwingt eine schicksalsschwere Note, die auf den Showdown hindeutet, dessen Ausgang bereits zu Beginn des Films klar ist.

Insofern konstruiert der Film keine klassischen Spannungsbögen, ebenso geizt er mit Revolver-Action. Spannung erzeugt er einzig über die vielschichtigen Beziehungen seiner Charaktere, die Doppelböden in ihren Gesprächen, den Hintersinn in ihren Blicken. Ein psychologisches Drama zeitloser Klasse, einer der besten Filme des Jahres.

Hoffnungsträger dieser Kategorie war ebenfalls »American Gangster« – das Werk überzeugt auch, aber nicht auf ganzer Linie. Scott hat sich zwar von der visuellen (Über-)Ästhetisierung seiner Anfangsjahre gelöst und einem eher authentischen Filmentwurf zugewandt, was den Figuren gut tut. Aber dieser Film, so sorgfältig er das illegale Geschäft im alten New York auch rekonstruiert, verschenkt die Chance, wirklich mehr zu sein als lediglich ein Abbild desselben.

Man darf dem Film vor allem vorwerfen, dass er Frank Lucas mit ethischer Indifferenz behandelt, als gewöhnlichen, wertebewussten Kapitalisten mit einer tollen Geschäftsidee (die Ware direkt beim Hersteller beziehen und billiger als die Konkurrenz verticken). Vielleicht rührt diese laxe Moral ja daher, dass Amerika mit dem Kriminellen tatsächlich vergleichsweise milde verfahren war. Weil er Mittäter und korrupte Beamte verpfiff, wurde Lucas schon nach fünf Jahren aus der Haft entlassen (Urteil: 70 Jahre).

Dabei half kurioserweise der Polizeibeamte, der ihn hinter Gitter gebracht hatte, Detective Richie Roberts (anständig verkörpert von Russell Crowe). Die beiden Männer pflegen heute eine innige Freundschaft und freuen sich bestimmt, dass Hollywood ihre Geschichte auf die Leinwand bringt. Frank Lucas ließ es sich auch nicht nehmen, jeden einzelnen Drehtag am Set zu sein, um Denzel Washington zu zeigen, wie man jemandem herrlich das Hirn wegpustet.

Das mag eine vortreffliche Authentizität ergeben, der Erkenntnisgewinn über das historisch-dokumentarische Element hinaus bleibt dennoch einer aus zweiter Hand. »American Gangster« wird zum Ausdruck einer apologetischen, mythisierenden Faszination für das Verbrechen, scheint sich dessen aber nicht bewusst zu sein – im Gegensatz zu »The Assassination …«, der diesen Prozess eben nicht betreibt, sondern analysiert.

»American Gangster« bleibt immer noch ein Stück großes Kino – für den Moment. »The Assassination …« bleibt das auf Jahre hinaus.

Einen Kommentar schreiben