100-Seiten-Bücher – Teil 124
Ingeborg Bachmann: »Frankfurter Vorlesungen – Probleme zeitgenössischer Dichtung« (1978)
München, 3. Dezember 2018, 23:15 | von Josik
Bei der Lektüre von Ingeborg Bachmanns fünf Frankfurter Poetikvorlesungen aus dem Wintersemester 1959/60 – erstmals vollständig veröffentlicht 1978 – habe ich viel über das Schlagsahnebedürfnis der Bevölkerung nachgedacht. In ihrer ersten, am 25. November 1959 gehaltenen Vorlesung mit dem Titel »Fragen und Scheinfragen« sagt Ingeborg Bachmann: »[D]ie Leute brauchen heute Kino und Illustrierte wie Schlagsahne« (S. 21). Nun soll man zwar nicht von sich auf die Leute schließen, aber ich jedenfalls brauche Schlagsahne jetzt eigentlich nicht so dringend.
In der zweiten, am 9. Dezember 1959 gehaltenen Vorlesung, die den Titel trägt: »Über Gedichte«, gibt Ingeborg Bachmann ihrer Zuhörerschaft einen tollen Tipp: »Bekanntgemacht […] mit all den neuen Dichtern, die es gibt, werden Sie jetzt nicht – wozu sollte es führen, es gibt […] Gedichtbände, die in den Bibliotheken zu haben sind, da können Sie sich informieren« (S. 25).
Die dritte Vorlesung trägt den Titel: »Das schreibende Ich«, die vierte: »Der Umgang mit Namen«. Auch diese beiden Vorlesungen sind absolut superst. Umso befremdlicher ist es, wie schlampig die Frankfurter Uni ihrer Chronistenpflicht nachgekommen ist. Jedenfalls steht in der editorischen Nachbemerkung dieses Bandes: »Das Sekretariat des Präsidialamtes der Frankfurter Universität hat lediglich drei Vorlesungsdaten verzeichnet […]. Die genauen Vorlesungsdaten der dritten und vierten Vorlesung sind nicht mehr festzustellen« (S. 97).
In ihrer fünften, am 24. Februar 1960 gehaltenen Vorlesung mit dem Titel »Literatur als Utopie« gibt Ingeborg Bachmann, auf Seite 92, die beste Definition von »Literatur« ever: Literatur, schreibt sie, sei ein »mehrtausendjähriger Verstoß gegen die schlechte Sprache«. 🤣