100-Seiten-Bücher – Teil 54
Elfriede Gerstl: »Spielräume« (1977)

Berlin, 6. April 2013, 11:25 | von Josik

Das Buch »Spielräume« wird hie und da als Elfriede Gerstls ›einziger Roman‹ bezeichnet, dabei trägt es in Wirklichkeit gar keine Gattungs­bezeichnung, sondern ist einfach nur eines der wunderbarsten Bücher, die jemals geschrieben wurden. Es ist schwer, sich für ein charakteristisches Zitat aus diesem Buch zu entscheiden, weil man im Grunde jeden einzelnen Satz zitieren müsste, es ist ein Wunderwerk an Lakonie.

Ganz besonders herrlich aber fand ich diesen Satz, den man sich als Lebensmaxime zu eigen machen sollte: »ich halte nichts von Problemen«. Als ich ziemlich genau in der Mitte der Seite 25 diesen tollen Satz gelesen habe: »ich halte nichts von Problemen«, fiel mir wieder eine Stelle aus einem Interview ein, das Peter Scholl-Latour im November 2001 der Zeitschrift KONKRET gegeben hat. Da sagt Scholli: »Wenn ein souveräner palästinensischer Staat gegründet wird, wäre Israel existentiell bedroht.« Darauf fragt ihn die KONKI: »Und wie würden Sie das Problem lösen?« Scholli sagt lakonisch: »Gar nicht.« Die KONKI fragt irritiert: »Warum?« Und Scholli stellt die sehr berechtigte Gegenfrage: »Sie meinen auch, daß man alle Probleme lösen muß?«

Wer sich eingehender mit Elfriede Gerstl beschäftigen möchte, dem sei übrigens noch Herbert J. Wimmers Arbeit »In Schwebe halten – Spielräume von Elfriede Gerstl« nahegebracht. Dort ist in Faksimile z. B. ein Brief abgedruckt, den Walter Hasenclever 1963 an Elfriede Gerstl geschrieben hat, und in diesem Brief heißt es: »Falls Sie am Flughafen Tempelhof ankommen, könnten wir uns am Eingang zum Gepäckabholeplatz treffen; wir würden daran kenntlich sein, daß wir die ›Hundejahre‹ von Günter Grass sichtbar tragen.« Die »Hundejahre« von Grass als Erkennungszeichen – ist das nicht komisch!

Länge des Buches: > 115.000 Zeichen. – Ausgaben:

Elfriede Gerstl: Spielräume. Linz: Ed. Neue Texte 1977.

Elfriede Gerstl: Spielräume. Mit einem Nachwort von Heimrad Bäcker. Neuauflage. Graz; Wien: Literaturverlag Droschl 1993.

(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)

Einen Kommentar schreiben