100-Seiten-Bücher – Teil 27
Lion Feuchtwanger: »Moskau 1937« (1937)

Berlin, 29. Juni 2012, 08:06 | von Josik

Als Lion Feuchtwanger diesen Text im Jahr 1937 veröffentlichte, löste er damit einen der größten Skandale in der Geschichte der Weltlitera­tur aus. Er berichtet davon, wie er auf seiner Reise in die Sowjetunion sich mehrere Stunden mit Stalin persönlich unterhalten hat. Stalin selbst scheint von seinem Gesprächspartner allerdings ziemlich ge­langweilt gewesen zu sein, wie Feuchtwanger offen zugibt: »Stalin […] malt, während er seine bedachten Sätze formt, mit blau und rotem Bleistift Arabesken und Figuren auf ein Blatt Papier.« (S. 82)

Manchmal verwickelt Feuchtwanger sich in Widersprüche, einmal sagt er: »Stalin also redet laut und deutlich« (S. 60), dann sagt er wieder: »Stalin […] spricht mit leiser […] Stimme«. (S. 82). Da soll man sich auskennen! Interessant aber, wie sehr Feuchtwanger zufolge die Sowjetmenschen sich gegenüber ausländischen Ministern als Spaß­bremsen gaben: »Der akkreditierte Minister eines ausländischen Staates erzählte mir, und es war nur halb im Scherz, wie er an Feier­tagen sehnsüchtig vor den Swimming-pools der Arbeiter stehe; er habe nirgends Zutritt.« (S. 15)

Im Westen hingegen sieht es nicht nur an Feiertagen düster aus: »Die meisten Briefe«, berichtet Feuchtwanger, »die junge Menschen außer­halb der Sowjet-Union an mich schreiben, sind SOS-Rufe. Zahllose junge Menschen im Westen […] haben nicht nur keine Aussicht, die Arbeit zu bekommen, die ihnen Freude macht, sondern überhaupt keine Aussicht auf Arbeit.« (S. 19f.) Es ist zwar nicht bekannt, ob Feuchtwanger diesen SOS-Rufern dann den Rat erteilt hat, in die Sowjetunion rüberzumachen, aber offensichtlich gab es eben schon damals Schriftsteller, die nachgrübelten, wie man junge Menschen wieder in Arbeit bringt und welche Maßnahmen für einen Standort überlebensnotwendig sind. Unter den Literaten machen sowas heutzutage ja nur noch Günter Grass und sein Biograf Michael Jürgs.

Länge des Buches: > 115.000 Zeichen. – Ausgaben:

Lion Feuchtwanger: Moskau 1937. Ein Reisebericht für meine Freunde. Amsterdam: Querido Verlag 1937.

Lion Feuchtwanger: Moskau 1937. Ein Reisebericht für meine Freunde. Berlin: Aufbau-Taschenbuch-Verlag, 2. Auflage, 1993. S. 3–111. (= 109 Textseiten)

(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)

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