100-Seiten-Bücher – Teil 18
Ferdinand von Saar: »Leutnant Burda« (1887)

Leipzig, 25. Oktober 2011, 07:33 | von Paco

»Leutnant Burda« ist ein absolutes Spitzenwerk der Weltliteratur. Auf knapp hundert Seiten wird hier die Entwicklung einer sehr speziellen fixen Idee geschildert. Die Hauptfigur, der Leutnant Joseph Burda, ist sicher einer der tragischsten Semiotiker, die sich denken lassen. Er missinterpretiert ein paar vermeintliche Zeichen und gelangt so zu der Überzeugung, dass sich die Prinzessin Fanny in ihn verliebt hat und nun beständig seine Nähe sucht. Die junge Dame befindet sich natürlich himmelschreiend weit außerhalb von Burdas Möglichkeiten, sie ist eine der Töchter des Fürsten L., der zum Hofstaat gehört.

Allerdings scheint in den zufälligen Gesten der Prinzessin ab und zu auch aus Sicht des Erzählers »ein Schein der Absichtlichkeit« zu liegen. Dieser Burda-Logik kann man sich anfangs auch nicht entziehen. Das ist ganz große Erzähl- und Spannungskunst, wie man hier während der Lektüre gezwungen wird, Wahrscheinlichkeiten auszuloten und absurde Schlussfolgerungen für vielleicht doch möglich zu halten. In der Summe führen diese Fehldeutungen bei Burda dann aber zu einem sich nur noch selbst bestätigenden Wahn, der ihm durch kein gutes Zureden mehr auszutreiben ist.

Er wird zwischenzeitlich zum Stalker, sodass ein fürstlicher Adjutant den Erzähler bitten muss, Burda zur Räson zu bringen, um Peinlicheres zu verhindern. Er ist dann zwar auch vorsichtiger, vermutet im Hintergrund aber eine Intrige, auf dass die Prinzessin gegen ihren Willen von ihm ferngehalten werde. Der Erzähler, ein Offizierskollege, führt uns mit ein paar Schauplatzwechseln (Brünn, Wien, eine ungenannte Ortschaft in Böhmen, Prag) in neun ungefähr gleichlangen Kapiteln bis zum Showdown auf dem Hradschin (»Il l’a voulu.«). Dabei wird vor allem das Wien der 1850er Jahre (vor dem Bau der Ringstraße) ganz nebenbei noch mal ein bisschen mit abgefeiert.

Länge des Buches: ca. 121.000 Zeichen. – Ausgaben:

Ferdinand von Saar: Leutnant Burda. Novelle. Leipzig: Hesse & Becker (ca.) 1915.

Ferdinand von Saar: Leutnant Burda. Novelle. Wien; Leipzig: Luser 1939.

Ferdinand von Saar: Leutnant Burda. Kritisch hrsg. und gedeutet von Veronika Kribs. Tübingen: Niemeyer 1996. S. 3–49. (= 47 Textseiten)

Ferdinand von Saar: Leutnant Burda. Göttingen: Steidl 1998. S. 3–95. (= 93 Textseiten)

(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)

2 Reaktionen zu “100-Seiten-Bücher – Teil 18
Ferdinand von Saar: »Leutnant Burda« (1887)”

  1. Der aufmerksame Leser hat es erkannt

    ♥ ♥ ♥ Diese Rezension hast du für mich geschrieben! Diese Anspielung auf unsere Beziehung kann kein Zufall sein! Lass uns die Angelegenheit am Donnerstag privat besprechen. Ich weiß ja, wo du wohnst und komme dann einfach vorbei. ♥ ♥ ♥

  2. Lt. Burda

    äh, ok

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