Hilde Domin

Konstanz, 26. Februar 2011, 08:35 | von Marcuccio

Komisch, aber irgendwie erst mit ihrem Tod wusste ich so richtig, dass es Hilde Domin gab. Und schuld ist Volker Weidermann: Kein Deutsch­lehrer, kein Germanistikstudium mit Leseliste hat mir Hilde Domin je nahegebracht. Das hat erst dieser Feuilletonaufmacher geschafft, vor genau fünf Jahren:

Mein letzter Besuch bei Hilde Domin. In: FAS, 26. Februar 2006. (FAZ-Archiv)

Ein Porträt eigentlich, wohl als Kapitel für die »Lichtjahre« geplant, und dann eben ein unfreiwilliger Nekrolog geworden. Eine letzte Begeg­nung, elegisch und weidermannsüffig erzählt:

»Hilde Domin ist fast hundert Jahre alt und sehr klein und schmal und fein«.

Das wird mit einem Foto noch überillustriert – es zeigt eine weiß­haarige, hochbetagte Frau –, und man kommt aus dem Sog des beschriebenen Kaffeekränzchens gar nicht wieder raus. Es gibt Obstkuchen und eine kleine Verstimmung zum Auftakt: »Zu-spät-Kommen paßt ihr nicht, das merkt man gleich.«

Und dann die ganze Lebensgeschichte, bis hin zu den für mich damals noch nicht offenen Geheimnissen ihrer Biografie. Dass sie Domin heißt, seit sie 1951 im Exil in Santo Domingo zu dichten begonnen hat etc. Nach dem FAS-Artikel mochte ich sogar diesen Film von Anna Ditges, von dem ich weiß, dass ihn manche wegen seiner, nun ja: Kindergartenfragen nicht so sehr schätzen.

Und dann die Hilde-Domin-Biografie von Marion Tauschwitz. Sehr schön zu lesen, wie Hildes »Tanzstundenfreund Hans Mayer« anscheinend ein Ass beim Foxtrott war.

Und dann Trujillo, ausgerechnet Trujillo, dieser komplett rassen­wahnige Diktator der Dominikanischen Republik, nimmt einige Juden, und so also auch Hilde und ihren Mann Erwin Walter Palm, als Exilanten auf. Weil er sein Volk aufweißen wollte! Man liest auch vom sogenannten Petersilien-Test, den Trujillo an der Grenze zum französischsprachigen Haiti, nun ja, veranstaltete:

»Um die schwarzhäutigen Wirtschaftsflüchtlinge aus Haiti von der helleren dominikanischen Bevölkerung zu selektieren, hatte der Diktator einen perfiden ›Sprachtest‹ anordnen lassen. Das gerollte ›R‹ im spanischen Wort für Petersilie, ›perejil‹, konnte von der französischsprachigen, dunkelhäutigen Bevölkerung nur als ›L‹ gesprochen werden. Wer also das Wort nicht spanisch artikulierte, wurde umgehend mit der Machete ermordet.« (S. 140)

Kurzum: Man nimmt weit mehr mit als die Biografie einer Exilantin, man reist durch ein ganzes skurriles Jahrhundert und mehrere Kontinente. Faszinierend bleibt die Geburt der Dichterin Hilde Domin aus der Brief-Korrespondenz mit ihrem Mann. Egal wo sie waren, machte er ja auf sympathisch solipsistische Weise sein Ding (Ausgrabungen oder Alt­philologie), während sie in erste Linie seine Sekretärin war, ihn dann aber plötzlich sozusagen mit der Poesie, die er nie draufhatte, überholte.

Und dann liest man sicher auch noch mal in ihren »Gesammelten autobiografischen Schriften« weiter. Und natürlich in ihren Gedichten, die irgendein Kritiker mal als »einfach, aber nicht einfältig« bezeichnet hat:

Ich habe niemand ins Licht gezwängt
nur Worte
Worte drehen nicht den Kopf
sie stehen auf
sofort
und gehn

 

2 Reaktionen zu “Hilde Domin”

  1. Syn-ästhetisch

    Zum Glück hatte ich während des Studiums die Ehre mit Hilde Domin. Eine wahrlich begabte Frau, die Erstaunliches hinterlassen hat.

  2. Holger

    Also ehrlich: ich bin während meiner Schulzeit regelmäßig mit Hilde Domin und Kurt Marti genervt worden. Und das hat gesessen. :(

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