25 Jahre Coen-Kino (8):
O Brother, Where Art Thou? (2000)

Hamburg, 10. Februar 2010, 07:40 | von San Andreas

O Brother, Where Art Thou? (Icon)

Lebenskünstler Ulysses Everett McGill flüchtet mit zwei schlichteren Mitinsassen aus dem Knast, um einen Schatz zu bergen, welcher Gefahr läuft, überschwemmt zu werden. Ein Suchtrupp ist ihnen dicht auf den Fersen. Der Trip gerät zu einer Odyssee durch den Staat Mississippi, und was den Schatz angeht, war Everett auch nicht ganz ehrlich …

Coen Country. Mississippi zu Zeiten der Depression. Die charakter­vollen Südstaatler, die regionale Musik und die pittoresken, ländlichen Szenerien mussten die Coens reizen.

Coen Klüngel. George Clooney (Ulysses Everett McGill), John Goodman (Big Dan Teague), Holly Hunter (Penny), John Turturro (Pete), Michael Badalucco (George Nelson), Charles Durning (Pappy O’Daniel), Roger Deakins (Kamera)

Coen Quote. »Damn, we’re in a tight spot.« (Everett kriegt das Flattern)

Coen Gold. Everett im Mom-and-Pop-Store; ein feines Beispiel des von den Coens kultivierten Subgenres des verkorksten Verkaufsgesprächs. Everett ärgert sich erst über die Auskunft des bräsigen Ladenhüters, sein Autoersatzteil wäre erst in zwei Wochen da, dann darüber, dass das vorrätige Haarpflegeprodukt nicht seine Marke ist (»I don’t want Fop, goddamn it. I’m a Dapper Dan man!«) und dass seine Lieblingspomade ebenso lange bräuchte wie das Ersatzteil (»Well, ain’t this place a geographical oddity. Two weeks from everywhere!«). Um sich dann, grummelnd zwar, mit einem Dutzend Haarnetzen zufrieden zu geben. Nur zu selten wird in einem Hollywood-Film die Sorge eines Mannes um sein Haupthaar thematisiert.

Classic Coen? Um »O Brother, Where Art Thou?« zu verstehen, muss man Homers Odyssee nicht gelesen haben; nach eigenem Bekunden haben das die Coens auch nicht getan. Wir treffen zwar Ulysses und Penelope, einen Zyklopen und die Sirenen, aber der Film trägt das große Vorbild nicht vor sich her, ähnlich wie »The Big Lebowski« die Anklänge an Raymond Chandler allenfalls erahnen ließ.

Homer stellt den Aufhänger, dann übernimmt der kontrollierte Wahnsinn der Gebrüder Coen: »O Brother …« gerät zu einer Art Roadmovie-Musical oder Musical-Roadmovie, das zugänglicher und kurzweiliger ist als die meisten anderen Coen-Filme. Das ist liebevolles, letztlich harmloses, aber eben feinstes Kino, das direkt ins Blut geht und vor allen Dingen Joel und Ethan Gelegenheit gibt, ihren angeschrägten Obsessionen zu fröhnen.

Ungebrochen beispielsweise ihre Faszination für Mundarten; der herrliche Südstaatenslang macht jede Synchronisation zum Verbrechen, zumal der Film einen Teil seines Witzes aus dem Gegensatz zwischen dem rural geprägten Dialekt der einfältigeren Charaktere (»We thought you was a toad!«) und dem sich distinguiert gebenden, kunstvollen Duktus der Städter zieht. »Thank you for the conversational hiatus. I generally refrain from speech during gustation«, parliert beispielsweise John Goodman in seiner Paraderolle als eloquenter Grobian, seit »Raising Arizona«, »Barton Fink« und freilich »The Big Lebowski« ein Coen-Standard. Hier als windiger, einäugiger Bibelverkäufer, der der erste ist, den wir später bei einem KKK-Aufmarsch identifizieren können: Seine Kapuze hat nur ein Guckloch.

Diese bizarre Veranstaltung weckt in ihrer ausbaldowerten Choreografie Erinnerungen an die »Lebowski«-Traumsequenzen, entwickelt aber eine zusätzliche, ominöse Qualität. Schließlich ist hier ein Lynchmob im Begriff, einen Farbigen aufzuknüpfen, und wenn der Hexenmeister den schauerlichen Grabesblues »O Death« anstimmt, während Clooney und Kollegen auf die Szene stolpern, halten sich Beklemmung und Belustigung auf wunderbare Weise die Waage.

Wiedererkennungswert hat ebenfalls die Figur des geheimnisvollen, dämonischen Widersachers, diesmal in Gestalt des auch nachts sonnenbebrillten Suchtrupp-Anführers Cooley. Seine Szenen haben immer mit Tod und Feuer zu tun, weswegen viele Coen-Kenner mutmaßen, er wäre der Teufel, dem der junge Musiker, den McGill und Co. aufgabeln, seine Seele verkauft haben soll. Nur einer von vielen Querverweisen im Film.

Gegen Ende erhascht der Zuschauer einen Blick auf eine Kuh auf einem schwimmenden Dach – ein Bild, dass man so oft nicht zu Gesicht bekommt. Ebenso wird niemand, der den Film gesehen hat, jemals ›Dapper Dan‹-Haarpomade vergessen, und den Unterwasser-Tanz Dutzender ›Dapper Dan‹-Döschen. Die Poesie der kleinen Dinge: wohl das liebste Steckenpferd von Joel und Ethan.

Einige Kritiker identifizierten stolz all diese Elemente als Coen-Manierismen und postulierten – nach acht Filmen wohl so etwas wie eine Masche witternd – dass »O Brother, Where Art Thou?« trotz der guten Zutaten nicht zu einem Ganzen fände. Dieser Eindruck mag von der episodischen Struktur des Films herrühren; die liegt in der Natur der Geschichte. Besser beraten ist man, sich vom Einfallsreichtum der Inszenierung beeindrucken zu lassen, der allein für zwei, drei Durchschnittsfilme gereicht hätte.

Auch verliert man sich leicht im romantischen Retro-Look des Films; tatsächlich war dies der erste Hollywoodfilm, der komplett digital umgefärbt wurde. So kommt das ausnahmslos stilecht in Szene gesetzte Südstaatenkolorit erst richtig zur Geltung: urwüchsige Sumpflandschaften, Chaingangs auf staubigen Straßen, mit spanischem Moos behangene Baumriesen, weite Baumwollfelder, feudale Villen mit Säulenverandas. Die Ära der Great Depression drückt dem Film ihren Stempel auf: Wir werden Zeuge baptistischer Taufrituale, erleben populistischen Provinzwahlkampf, erhalten Einblick in eine 25-Watt-Radiostation. In dem Moment, als Everett und Co. dort in eine Dose singen, feiert der heimliche Hauptdarsteller des Films seinen Auftritt: die Musik.

Sie allein ist das Eintrittsgeld wert. Wer nicht wenigstens mit der Fußspitze wippt, wenn die Soggy Bottom Boys den Folk-Gassenhauer »I Am a Man of Constant Sorrow« zum Besten schmettern, der ist im falschen Film. Als mehr oder weniger out-of-fashion galten im Jahr 2000 jene alten Lieder des Bluegrass, die Südstaaten-Spirituals, die Balladen der Appalachian Music, die archaischen Stücke des Delta Blues, die frühen Hillbilly-Songs – bis »O Brother, Where Art Thou?« kam und dieser uramerikanischen Musik zu neuer Popularität verhalf: Der von T-Bone Burnett produzierte Soundtrack verkaufte sich allein in den Staaten mehr als sieben Millionen Mal und gewann drei Grammys, unter anderem als ›Album of the Year‹.

Coen Culture. Inspiration zum Konzept von »O Brother, Where Art Thou?« lieferte die Geschichte »A Dozen Tough Jobs« von Howard Waldrop, die die Prüfungen des Herkules in den Süden der 20er Jahre verlegte. Seinen merkwürdigen Titel, wie an anderer Stelle bereits erwähnt, borgt sich der Film aus Preston Sturges‘ Klassiker »Sullivan’s Travels«, in dem ein Regisseur einen sozialrealistischen Film diesen Titels zu drehen sich anschickt, aber niemals fertigstellt.
 

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