25 Jahre Coen-Kino (5):
The Hudsucker Proxy (1994)
Hamburg, 7. Februar 2010, 08:48 | von San Andreas
Coen Country. New York City, 1958/59. Heimlicher Nebenschauplatz jedoch ist Muncie, Indiana, das Heimatnest von Norville Barnes, dessen liebenswürdige Einfalt zeigt, wo das Herz der Coens schlägt.
Coen Klüngel. Charles Durning (Waring Hudsucker), John Polito (Mr. Bumstead), Steve Buscemi (Barkeeper), Sam Raimi (Brainstormer), Bruce Campbell (Smitty), John Goodman (Newsreel-Ansager), Carter Burwell (Musik), Roger Deakins (Kamera)
Coen Quote. »Does it come with batteries?« »How can you tell when you’re finished?« »Is there a larger model for the obese?« »What if you tire before it’s done?« »What the hell is it?« (der Hudsucker-Vorstand hinterfragt den frisch erfundenen Hula-Hoop-Reifen)
Coen Gold. Norville Barnes in Mussbergers Büro. Als Norville seinem Boss (Paul Newman) die Idee seines Hula-Hoop-Reifens erklärt (er zeigt ihm einen Kreis auf einem Blatt Papier), unterbricht der Norvilles Wortschwall mit solch ehrfurchtgebietendem Nachdruck (»WAIT A MINUTE!«), dass selbst das Tischspielzeug zu pendeln aufhört. In Großaufnahme natürlich, klack!
Classic Coen? »Barton Fink« hatte die Leute verunsichert, der Film war genremäßig nicht zu fassen. Als man von dem neuen Projekt der Coens erfuhr, gewann man den Eindruck, als wollten sie diesmal auf Nummer Sicher gehen: Eine Komödie, eine nostalgische Geschichte im Stile Capras. Eine sichere Bank.
Dachte sich auch Joel Silver, der es wissen wollte und den von Kritikerlob überhäuften Brüdern Coen vierzig Millionen zusteckte. Kein Aufwand war zu groß, die Welt von Hudsucker Industries zum Leben zu erwecken, jedes einzelne Detail nach Coen-Gusto zu realisieren. Nun, dieser Teil des Planes ging vorzüglich auf: Sämtliche Szenen sind aufs Liebevollste ausgefeilt, jedes Setting in kolossalem Stil hergerichtet, jede Einstellung auf maximalen Effekt getrimmt.
Hinter all der Fingerfertigkeit aber verschwindet der lieb gewonnene, verwegene Coen-Charme fast vollständig. Was gar nicht so schlimm wäre, wenn an seiner Stelle der Charme eines Frank Capra oder eines Howard Hawks den Film erfüllen würde. Als Hommage funktioniert der Film nur auf dem Papier; die Screwball-Anleihen und die Slapstick-Schablonen sind sehr wohl vorhanden und stilecht umgesetzt, auch der Wilder’sche Stakkato-Wortwitz weiß zu überzeugen – doch vermag der Film die Ahnung, dass er am Reißbrett konstruiert wurde, nie ganz abzuschütteln.
Um als Komödie durchzugehen, fehlt es dem Film einfach an echter Fröhlichkeit; und tatsächlich funktioniert er viel besser als Fabel über den amerikanischen Kapitalismus. Die Tretmühlen der schuftenden Arbeiter, die Batterien von Buchhaltern, die bräsigen Chefetagen, die nach Sensationen geifernden Medien – hier entwickelt »Hudsucker« durchaus satirische Schlagkraft.
So rückt der Film eher in die Nähe der Werke Fritz Langs oder Terry Gilliams; sein großes Kapital ist nicht die Figur des Simpels und seiner Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte, sondern die Darstellung seiner seelenlosen Umgebung. Die kapitalistische Maschinerie, ihre Hierarchien, ihre Bürokratie, ihre autistische Betriebsamkeit, ihr Profitwahnsinn und ihre nackte Gier: Hudsucker ist eine gut geölte Industrie, die nur um ihrer selbst Willen existiert. Nichts illustriert das besser als die Tatsache, dass an keiner Stelle klar wird, was die Firma bis zur Einführung des Hula Hoop eigentlich produziert hat.
Gut geölt wie Hudsucker stampft der Film vorwärts, in unerbittlichem Timing, rechts, links, keine noch so kleine Pointe auslassend; sämtliche Dialoge, sämtliche Design-Elemente klicken mechanisch ineinander, womöglich sich zwischen die Bilder stehlende Gefühlsregungen im Keim erstickend. Am Ende kriegt der Film die Kurve und legt ein astreines Capra-Finale hin, komplett mit einem Engel à la »It’s a Wonderful Life«. Auf dem Weg dahin hat »Hudsucker« allerdings das Herz des Zuschauers kalt gelassen. Und das brach dem Film an der Kasse das Genick.
Die Kritiker redeten den Film schlecht, sahen statt des Künstlerischen nur das Künstliche. Ein Stück synthetisches Kino wäre das, gemacht wie fürs Museum oder für Filmstudenten, nicht für ›die Menschen da draußen‹. Die Zuschauer blieben weg, der Film machte kaum drei Millionen. Joel Silver war bestimmt kurz davor, den Waring Hudsucker zu geben und sein Büro durch das geschlossene Fenster zu verlassen.
Dabei ist diese Szene allein das Eintrittsgeld wert. Ein cineastisches Kleinod, wie im Blick des Mannes seine letzte Entscheidung heranreift, wie er langsam die Taschenuhr ablegt und die Zigarre, wie seine Fullbrogue-Schuhe das Polster seines Chefsessels eindrücken, als er den auf Hochglanz polierten Tisch erklimmt. Und wenn der Mann dann aus dem 44. Stock fliegt (das Zwischengeschoß nicht mitgezählt), mit einem trockenen »Splat!« auf dem Bürgersteig landet und die übergewichtige Passantin schrill zu schreien beginnt, dann ist er doch da: der Coen-Touch.
Ja, er zeigt sich hier und da. Zum Beispiel in der merkwürdigen Ausdruckstanz-Traumszene. Oder in dem Heiligenschein des Hudsucker-Engels, der schlingert wie ein Hula-Hoop-Reifen (»We’re all wearing them upstairs. It’s a fad.«). Oder in den durchweg köstlichen Montagesequenzen. Eine davon rafft die Produktion, die Vermarktung und den Erfolg des Hula Hoops in schier unerschöpflichem Ideenreichtum. Die Langwierigkeit der Namensfindung zu visualisieren, indem im Vordergrund des Brainstorming-Büros eine Sekretärin »Krieg und Frieden« liest, und ein paar Einstellungen später »Anna Karenina«, ist schlicht genial.
Mit dem finster dreinblickenden Hausmeister haben wir auch die Stelle des dämonischen Fieslings besetzt, der zum Personal vieler Coen-Filme gehört. Ihm entgegengesetzt ist diesmal eine das Gute symbolisierende Person, nämlich in Gestalt des Technikers, der die riesige Uhr des Gebäudes wartet. Ihm wird am Ende eine alles entscheidende Rolle zukommen, ebenso dem Gebiss des Hausmeisters.
Die Szene, in der der wunderbar benamste Dr. Hugo Bronfenbrenner, ein akzentsprechender Freud-Verschnitt, Norville Barnes vor dem versammelten Vorstand vermittels eines eigens angefertigten Films für verrückt erklärt, ist typisch für die cartoonmäßige Überzeichnung des Films. Doch beschränkt sich die Geschichte eben nicht auf derlei originelle Elemente, sondern erzählt auch von einer Beziehung zwischen zwei Menschen – aber die bleibt eine bloße Behauptung.
Jennifer Jason Leighs Figur ist nicht schwer als »His Girl Friday«-Hommage zu identifizieren, aber ihrer rasenden Reporterin fehlt es leider an Liebreiz und Ausstrahlung, so dass die Chemie mit Tim Robbins‘ Charakter auch nie so richtig zustande kommt. Vielleicht hätte das den Film für mehr Leute befriedigender gemacht und die Coens davor bewahrt, ein Opfer ihrer ironischen Grundhaltung zu werden. »The Hudsucker Proxy« mag ein Film fürs Museum sein, aber in seiner Vitrine ist er ein echtes Juwel; es lohnt sich, genau hinzuschauen.
Coen Culture. Die Coens hatten beim Verfassen des Drehbuchs (es entstand bereits 1985) die Unterstützung eines gewissen Sam Raimi. Jener entpuppt sich als langjähriger Weggefährte der Coens: Joel war Schnittassistent bei »The Evil Dead«, mit Ethan zusammen half er Raimi beim Drehbuch zu dessen zweiten Film. Raimi wiederum ist in winzigen Rollen bei den Coens zu sehen: in »Miller’s Crossing« (der kichernde Scharfschütze) und in »The Hudsucker Proxy« (einer der Hula-Hoop-Brainstormer).