25 Jahre Coen-Kino (3):
Miller’s Crossing (1990)

Hamburg, 5. Februar 2010, 07:56 | von San Andreas

Miller's Crossing (Icon)

Die 30er Jahre, Prohibition. Zwei rivalisierende Gangs beherrschen die Unterwelt und den Alkoholhandel. Tom Reagan, engster Vertrauter von Gangsterboss Leo, will den Ball flach halten, gerät aber in ein Geflecht von Hinterhal­ten, wechselnden Allianzen und tödlichen Intrigen. Eine Frau bringt eine Unwucht in das Verhältnis zu Leo, und eine moralische Kluft tut sich auf, als er ihren Bruder töten soll. Hat Tom Reagan ein Herz?

Coen Country. Für die namenlose Stadt irgendwo im Osten der Staa­ten hat New Orleans als Drehort hergehalten. Aber untypischerweise spielt der Charakter der Umgebung kaum eine Rolle, im Gegensatz zu der Zeit, in der die Geschichte spielt.

Coen Klüngel. John Polito (Johnny Caspar), Steve Buscemi (Mink), John Turturro (Bernie), Sam Raimi (kichernder Scharfschütze), Michael Badalucco (Sal), Frances McDormand (Sekretärin des Bürgermeisters), Carter Burwell (Musik), Barry Sonnenfeld (Kamera)

Coen Quote. »Nobody knows anybody. Not that well.« (Tom Reagan, schön das Lug-und-Trug-Thema des Films zusammenfassend)

Coen Gold. Die »Danny Boy«-Tommy-Gun-Sequenz. Leo hört ent­spannt Grammophon (den irischen Schlager »Danny Boy«), als er vom Untergeschoss her Qualm riecht und die Gefahr wittert, die in Gestalt zweier Schießprügel gerade die Treppe erklimmt. Es bleibt Zeit, die Samtpuschen anzuziehen und die Zigarre zu löschen, da fliegt die Tür auf. Was folgt, ist eine Sinfonie für Revolver und Maschinenpistole: rau, laut und schön.

Classic Coen? In gewissen Kreisen gilt der Film als der beste Coen überhaupt, und man fragt sich, warum. »Miller’s Crossing« ist fraglos ein hervorragender Gangsterfilm, doch verrät er seine Macher nur hier und da. Der Film redet viel; man muss ihm zuhören, genau zuhören, um ihn zu verstehen. Er steht deshalb vielleicht dem Theater näher als dem übrigen Coen-Œuvre, das doch deutlich filmischer daherkommt.

Seine Ausstattung bezieht er aus dem Reservoir der Mafia-Epen der 80er Jahre (»Once upon a Time in America«, »The Untouchables«), seine Geschichte aus Dashiell Hammetts Werken (»Red Harvest«, »The Glass Key«), seine trockenhumorigen Dialoge aus den Noir-Krimis mit Cagney, Bogart und Kollegen. Er bildet so etwas wie eine Quintessenz des Gangsterfilms, hat Stil, Substanz und Klasse, wenn auch eine gewisse Kälte.

Unser Held (Gabriel Byrne) ist nicht der freundlichste, sympathischste Zeitgenosse, den man sich vorstellen kann, aber er hat es auch nicht leicht. In jeder zweiten Szene wird er geknufft, getreten, die Treppe hinuntergeworfen, vor allem aber ohne Unterlass und mit weit aus­holenden Hieben ins Gesicht geschlagen. Wunderbarerweise trägt er allenfalls einen Haarriss in der Unterlippe davon und verbringt den Rest des Films damit, in fein komponierten Einstellungen gut auszu­sehen und zu reden.

Gut aussehen, das tut der Film, keine Frage. Kameramann Barry Sonnenfeld arbeitet (anders als bei »Blood Simple.« und »Raising Arizona«) mit Tele-Optik und Tiefenschärfe, nutzt gedeckte Farben und stilvollen Halbschatten. Und so ist es auch eher der Look als der dicht gestrickte Plot des Films, der in Erinnerung bleibt, sowie die eigen­willigen Details, die sich die Coens auch im selbstverschriebenen Genre-Korsett nicht verkneifen konnten.

Da haben wir die leitmotivischen Fedora-Hüte der Prohibitions-Ära, wir haben leicht angeschrägte, karikaturhafte Charaktere (besonders den aufbrausenden Italo-Gangster Caspar), wir haben wiederkehrende Phrasen (»What’s the rumpus?«, »Drop dead.«), wir haben über­gewichtige Herrschaften, die brüllen wie von Sinnen, und wir haben lyrische Kamerafahrten (die Baumkronen im namensgebenden Wald Miller’s Crossing).

Der Film ist der erste der Coens, den man als Genre-Fingerübung einordnen könnte – auch im Vergleich zu allen weiteren bleibt er zweifellos ein Glanzstück. Er erfüllt eher die Noir-Gangster-Konven­tionen als dass er sie ins Coenversum entführt. Sein komplexer Plot macht ein zweites Ansehen praktisch obligatorisch, und selbst dann ist die Entschleierung der vielschichtigen Beziehungen nicht garantiert.

Glücklich ist der, der durch die Dialogschwaden hindurch zur Persön­lichkeit Tom Reagans vordringen kann; in seiner Beziehung zu Verna, aber vor allem zu seinem Mentor Leo (in letzter Sekunde besetzt, zum Glück: Albert Finney) liegt der Schlüssel zum eigentlich recht warmen Kern der Geschichte. Dass es einem der Film nicht leicht macht, ist sicher einer seiner Vorzüge, konstatieren kann man dennoch, dass »Miller’s Crossing« zwar den Anspruch und die cineastische Klasse, aber nicht unbedingt die Originalität und den Humor anderer Coens teilt.

Coen Culture. Trotzdem der Film relativ straight daherkommt, enthält er doch ein paar vergnügliche Insidergags. Leicht zu verpassen ist Hauptdarsteller Albert Finney im Damenbadezimmer, im Hintergrund als alte Matrone verkleidet. Und das Haus, in dem Reagan wohnt, heißt »The Barton Arms«, als Fingerzeig darauf, dass Joel und Ethan wäh­rend der harten Drehbuchsessions zu »Miller’s Crossing« eine Auszeit nahmen, um das Skript für ihren nächsten Film »Barton Fink« zu schreiben. Nur drei Wochen benötigten sie dazu – vielleicht ein Zeichen dafür, dass ihnen dieser Stoff viel eher lag.
 

Eine Reaktion zu “25 Jahre Coen-Kino (3):
Miller’s Crossing (1990)”

  1. GT

    Der Film ist zu lang und erwürgt sich gegen Ende in der Schlinge der eigenen straightness. Das Interesse am plot hat man da doch längst verloren, was kein Nachteil ist. Es kommt auf die zitatfähigen Sprüche an, nicht auf logische Erläuterungen, man will nur begrenzt wissen, warum die Figuren tun was sie tun. Reagan aber redet am Schluss immer häufiger als müsse er sich und dem Zuschauer alles erklären, als handle es sich um einen echten Hammett, das nervte schon bei Hammett. – Eigentlich zeigt der Film eine Éducation sentimentale: Reagan hat ein Herz und verliert es. Er kann nicht töten und lernt es, er liebt Verna und gibt sie auf (nur der Genrekonventionen wegen, damit er einsam zurückbleibt). Ja, ein gut aussehender Film, aber sicher nicht Coens‘ best.

    Mit wiederholtem Dank für diese Reihe, ist ein Genuss.

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