Über »Die Wohlgesinnten« (Teil 8):
Freundschaft mit Thomas Hauser

Leipzig, 18. November 2008, 08:00 | von Paco

(Spoilerwarnung! Wer gerade dabei ist, das Buch zu lesen, sollte sich diesen Beitrag aufsparen. Hier wird ein gut Teil der Schlusspointe verraten.)

Ein wichtiger roter Faden durch das Buch ist Aues Freundschaft zu Thomas Hauser. Die beiden lernen sich kennen, nachdem Aue am Schwulentreff im Berliner Tiergarten aufgegriffen worden ist (S. 103). Aus irgendwelchen Gründen wird er nun von Thomas protegiert, der ihm vorschlägt, in den SD einzutreten, um die Sache aus der Welt zu schaffen.

»Und so entschloss ich mich, den Arsch noch voller Sperma, in den Sicherheitsdienst einzutreten.« (S. 107)

« Et c’est ainsi, le cul encore plein de sperme, que je me résolus à entrer au Sicherheitsdienst. » (p. 113)

Auch später kümmert sich Thomas um Aue, etwa indem er dafür sorgt, dass er noch als einer der letzten aus Stalingrad ausgeflogen wird.

Es kann durchaus sein, dass Aue wegen seiner Fähigkeiten als Jurist von Thomas protegiert und für den SD angeworben wird, gepaart mit spontanen freundschaftlichen Gefühlen. Vor allem aber hat Thomas ihn in der Hand: Er weiß, wo Aue festgenommen wurde und wegen welchen Verdachts.

Er spricht das allerdings nie an. Und so hat er in Aue also einen Verbündeten gesucht und gefunden, der zwar einen intellektuellen Umgang auf Augenhöhe darstellt, ihm aber dennoch nicht in die Quere kommen wird, auf der Karriereleiter nicht und auch nicht beim Buhlen um Frauen, wie sich in späteren Episoden zeigen wird.

Als Aue am Ende im zertrümmerten Berlin doch noch von einem der ihn verfolgenden Polizeikommissare (Clemens) final gestellt wird, ist es wieder Thomas, der ihn rettet (S. 1357). Doch der wahre Showdown kommt danach: Aue erschlägt seinen Freund Thomas hinterrücks mit einer Eisenstange. Er tauscht seine Uniformjacke mit der von Thomas, um in den Besitz der Papiere eines französi­schen Fremdarbeiters zu gelangen und sich so eine Basis für ein Leben nach dem Krieg zu schaffen.

Der Sinn dieser Tat erschließt sich nicht so ganz, da ihn Thomas vorher ausdrücklich darum gebeten hatte, sich selber auch eine französische Verkleidung zu besorgen (S. 1325-1326). Warum also?
»Das Buch endet wie ein Splatter-Movie, angemessen grob-trivial«, schreibt Theweleit. Und mit dem Freundesmord will Aue die Erinnyen vielleicht extra anspornen.

2 Reaktionen zu “Über »Die Wohlgesinnten« (Teil 8):
Freundschaft mit Thomas Hauser”

  1. Gregor Keuschnig

    Vielleicht soll mit der Tat die Verderbtheit und Rücksichtslosigkeit Aues aufgezeigt werden. Ich hatte bei vielen Szenen (u. a. das Kind, welches in Babij Jar bei Aue Schutz sucht, die Jagdszenen mit Speer, den Nasenbiß) bereits die Verfilmung vor meinem geistigen Auge (nebst melodramatischer Musik). Vermutlich wird es dazu nicht kommen, weil die Erwartungshaltung der Zuschauer (das Gute soll siegen) so vorsätzlich mit Füssen getreten wird, dass dieser eigentlich nonkonformistische Akt in trivialem Gegen-Kitsch erstickt wird.

  2. Paco

    Vielleicht nimmt Aue seinem Retter Thomas unterbewusst übel, dass er ihm dauernd den Hals rettet. Er betont ja mehrfach, dass er lieber gar nicht geboren wäre. Auch wenn Aue nie die Idee kommt, sich selbst zu richten, scheint er teilweise nur noch auf sein (natürliches) Ende zu warten. In Stalingrad und auch bei dem Showdown mit Clemens am Ende wäre es fast soweit gewesen, aber dann kommt wieder sein nerviger Schutzengel, den er deshalb endlich aus dem Weg schafft.

    Und auch wenn am Ende nicht ›das Gute‹ siegt (was sollte das auch sein in diesem Roman? die Russen, die Leute wie Mandelbrod übernehmen?), ist es doch auch kein Triumph des ›Bösen‹. Es ist eher wie in »Match Point«: Der Mörder kommt davon, aber glücklich wird er deshalb nicht, im Gegenteil (das wird schon am Anfang klar, wenn der gelangweilte Spitzenfabrikant von seiner Ehe usw. erzählt). Die Erinnyen leisten gute Arbeit. Insofern könnte ich mir dieses Ende schon im Kino vorstellen. Letztlich wird man den Roman aber nur in einer ästhetischen Sparvariante verfilmen können, so wie Mary Harron das mit »American Psycho« gemacht hat.

    Obwohl übrigens Thomas in keinerlei Hinsicht eine positive Figur ist, erzeugt seine plötzliche Ermordung schon auch Mitleid. Der ganze Schlusseffekt ist und bleibt wundersam.

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