Über »Die Wohlgesinnten« (Teil 5):
Ubychisch lernen mit Dr. Voss

Leipzig, 15. November 2008, 07:57 | von Paco

Aue wird durch Ohlendorf vom Sonderkommando 4a abgezogen und zur Einsatzgruppe D nach Simferopol geholt. Er soll die regionalen Umstände für das im Kaukasus zu installierende Besatzungssystem studieren (S. 290 ff.).

Im Zuge dessen lernt er Dr. Voss kennen, einen Sprachwissen­schaftler der Universität Berlin, der als Leutnant der Wehrmacht eingezogen wurde und hinter der Front seinen Forschungen nachgeht. Voss hält ihm einen konzisen Vortrag über die kaukasischen Sprachen:

»Sie wissen vermutlich, dass die Araber den Kaukasus schon im 10. Jahrhundert den Berg der Sprachen nannten. Und das vollkommen zu Recht. Es ist ein einzigartiges Phänomen. (…)« (S. 300)

« Vous savez certainement que les Arabes, dès le Xe siècle, appelaient le Caucase la Montagne des Langues. C’est tout à fait ça. Un phénomène unique. (…) » (p. 309)

Der Vortrag dauert ganze 10 Druckseiten. Voss interessiert u. a. das fast ausgestorbene Ubychisch, weil es ein Phonemsystem mit über 80 Konsonanten aufweist (S. 303). Er wartet nun darauf, dass die Wehrmacht weiter nach Osten vorstößt, damit er endlich seinen ubychischen Muttersprachler findet (nebenbei: der letzte Sprecher, Tevfik Esenç, starb 1992).

Voss verlacht zwar lauthals die Unwissenschaftlichkeit der NS-Rassentheorien (S. 421-428), trotzdem ersehnt er einen weiteren Vormarsch der Wehrmacht, der ihn in Reichweite seiner Untersuchungsgegenstände bringt.

Er freut sich also aus sozusagen wissenschaftlichen Gründen über die Siege der Armee: »Ich kann es nicht abwarten, dass wir Ordshonikidse einnehmen« (S. 379), bemerkt er einige Zeit später, weil er dann das Ossetische studieren kann, keine kaukasische, sondern eine indogermanische Sprache, die »einen sehr interessanten archaischen Charakter hat« (S. 380).

Doch der Krieg holt auch ihn ein. Voss will sich in einem Dorf nach einigen Feinheiten der kabardinischen Sprache erkundigen, wird dabei aber von einem Einheimischen angeschossen, mit dessen Tochter er sich offenbar eingelassen hatte (S. 443 ff.). In seinem Todeskampf murmelt er Unverständliches:

»Eine archaische Stimme, aus dem Dunkel der Zeit; doch falls es eine Sprache war, hatte sie keinerlei Bedeutung und drückte nichts aus als ihr eigenes Verschwinden.« (S. 446)

« Une voix ancienne, venue du fond des âges ; mais si c’était bien un langage, il ne disait rien, et n’exprimait que sa propre disparition. » (p. 459)

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