Über »Die Wohlgesinnten« (Teil 4):
Max Aue und Patrick Bateman

Leipzig, 14. November 2008, 08:03 | von Paco

Achtung: Ein Vergleich, keine Gleichsetzung! Max Aue ist kein unmittelbarer Vorläufer von Patrick Bateman. Trotzdem nennt ihn Stefan Mesch in seiner Besprechung bei literaturkritik.de nicht ohne Grund »Aryan Psycho«.

Die beiden Massenmörder Aue und Bateman sehen sich in einigen Punkten tatsächlich auffallend ähnlich: wenn sie sich etwa in ihrem Beschreibungs­wahn ergehen oder weiträumig mitgeschleppte Bildungselemente ausbreiten (bei dem einen ist das die klassische Bildung, bei dem anderen der Pop).

Natürlich erlebt Aue seine Taten in einer durch den Krieg brutalisierten Gesellschaft, während Bateman im New York der 1980er Jahre mordet. Aber Aue ist im Prinzip derselbe zum Zynismus neigende mörderische Nihilist wie Pat Bateman.

Das unterstreicht die Szene mit dem kleinen Mädchen, das während einer der Massenerschießungen in der Ukraine auf Aue zugelaufen kommt. Aue hält es kurz auf dem Arm, übergibt es dann aber einem SS-Mann:

»›Seien Sie lieb zu ihr‹, sagte ich völlig idiotisch zu ihm.« (S. 156)

« ‹ Sois gentil avec elle ›, lui dis-je assez stupidement. » (p. 163)

Daraufhin rennt er in den Wald, um seine Wut auf diese Situation zu dämpfen, während er hinter sich die Schüsse hört. Er verdrängt das Erlebnis in seiner ganz eigenen Art und Weise, nämlich indem er sich in seine Kindheit zurückdenkt. (Das ist übrigens die Szene, die Ariana Melamed, die Kritikerin der »Yedioth Ahronoth«, so furchtbar aufgeregt hat, dass sie das Buch in den nächsten Mülleimer beförderte.)

Ähnlich zynisch ist auch ein kleines Erlebnis in Stalingrad. Als Aue erfährt, dass der Oberfeldwebel Nišić gefallen ist, mit dem er noch kurz zuvor in einer vorgeschobenen kroatischen Stellung geredet hatte (bis S. 517), fragt er sich allen Ernstes, ob der tote Kroate wenigstens noch die Zigaretten rauchen konnte, die Aue ihm gegeben hatte (S. 525).

Aber es geht noch drastischer: »Es wehte ein schneidender Wind, mir war kalt, ich bedauerte, meinen Pullover nicht doch geholt zu haben«, vermeldet uns der frierende Aue, während er der Erschießung von 50.000 Juden beiwohnt (S. 178). Ihm ist die maximale Unangebrachtheit dieses Gedankens nicht bewusst, er kann die laufenden Ermordungen ohne Probleme von seinen eigenen Bedürfnissen trennen.

Ähnlich wie Bateman kann Aue seine menschlichen Regungen nicht kanalisieren. Aber es gibt sie: Trotz seiner SS-Uniform hilft er etwa in Lemberg einem Priester, einen sterbenden Juden auf das Kirchengelände zu tragen, um ihn vor einer Horde knüppelnder Ukrainer zu retten (S. 71-72). Dann befreit Aue auch schon mal einen verletzten Vogel, der sich in eine Isba verirrt hat (S. 160-161).

Dem Buch Geschmacklosigkeit vorwerfen zu können, ist ja Teil des schriftstellerischen Plans. Trotzdem erfüllen diese Szenen einen Zweck. Noch ein Beispiel:

»ich stellte mir diese schmucken Burschen und diese hübschen scheuen Mädchen im Gas vor, ein Gedanke, bei dem sich mir der Magen umdrehte« (S. 1102).

« j’imaginais ces garçons proprets ou ces jeunes filles au charme discret sous les gaz, pensées qui me soulevaient le cœur » (pp. 1127-1128).

Immerhin dreht sich ihm der Magen noch um, wie er sich überhaupt ständig übergeben muss. Und das ist auch der wichtigste Unterschied zum Selfmade-Massenmörder Bateman, der sich eben nicht kotzend durch »American Psycho« schleppt. Denn auch wenn Aue darüber klagt: Er hat nichts gegen diese regelmäßigen Magenkrämpfe, weil sie ihm scheinbar seine Normalität beweisen. Diese natürliche, menschliche Reaktion zeigt allerdings auch nichts weiter als dass er »kein blinder Technokrat (ist), sondern ein Edelnazi, der die Judenfrage gerne kühler, sachlicher und vor allem für das Deutsche Reich effizienter gelöst hätte« (Radisch).

3 Reaktionen zu “Über »Die Wohlgesinnten« (Teil 4):
Max Aue und Patrick Bateman”

  1. Gregor Keuschnig

    Die Parallele zu Bateman hatte ich auch gesehen (ich glaube, sogar etwas früher).

    Daraufhin rennt er in den Wald, um seine Wut auf diese Situation zu dämpfen, während er hinter sich die Schüsse hört. Er verdrängt das Erlebnis in seiner ganz eigenen Art und Weise, nämlich indem er sich in seine Kindheit zurückdenkt.
    An die Tarzan-Bücher von E. R. Burroughs (!) erinnernd, ging er in den Wald und zog sich nackt aus. „[Ich] legte mich auf das Bett aus trockenen Nadeln, genoss die kleinen Stiche auf der Haut […] für mich war der ganze Wald zu einer erogenen Zone geworden, einer riesigen Hautfläche, so empfindlich wie meine kindliche Haut, die die Kälte in eine Gänsehaut verwandelt hatte.“ Später dann, als 9 oder 10 jähriger hängte er sich nackt „mit meinem um den Hals gelegten Gürtel an einem Ast auf und ließ mich mit meinem ganzen Gewicht sacken… […] Solche Spiele, intensive Lust, grenzenlose Freiheit – das bedeuteten die Wälder einst für mich; jetzt machten sie mir Angst.“

    Kitsch als Urteil ist da noch geschmeichelt.

  2. Paco

    Stimmt, das hast du. Bei literaturkritik.de heißt es übrigens: »Ein großes Schnitzel und Respekt für Deutschlandfunk-Kritiker Denis Scheck, einer der wenigsten, der die Bret Easton Ellis-Referenzen überhaupt erst gesehen hat.« — Weißt du, wo Scheck das erwähnt hat? (Kann es nicht finden, möchte aber mal nachprüfen, ob er das Schnitzel wirklich verdient hat, hehe.)

  3. Gregor Keuschnig

    Ich hab’s gefunden, und zwar hier. War schon im März. Ein Schnitzel braucht er m. E. dafür aber nicht. Er ist dick genug.

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