Über »Die Wohlgesinnten« (Teil 3):
Max Aues Lektüren: Ernst Jünger, E. R. Burroughs

Leipzig, 13. November 2008, 07:09 | von Paco

Aue interessiert sich als guter dt.-frz. Bildungsbürger natürlich nicht nur für mittelalterliche Kirchen in den eroberten Gebieten im Osten. Er lässt uns auch an seinen Lektüren teilnehmen, vergangenen wie aktuellen. Für die direkten Intertextualitäten hatte Littell auch einige gute Ideen.

Aues Zwischenspiel in Paris, bei dem er sich im Umfeld der Zeitschrift »Je suis partout« bewegt und mit Céline Konzerte besucht, wirkt irgendwie noch zu beflissen untergebracht. Gelungen sind aber die pointierten Erwähnungen von Ernst Jünger und E. R. Burroughs.

Ernst Jünger

Die Kurzbegegnung mit Jünger findet Ende November 1942 statt. Aue soll in Woroschilowsk eine Frau Dr. Weseloh abholen, eine Linguistin, die zufällig zusammen mit dem berühmten Autor angereist kommt. (In dessen »Kaukasischen Aufzeichnungen« – Eintrag vom 24. 11. 1942 – ist von ihr natürlich nicht die Rede.) Littell lässt die Weseloh von Jünger schwärmen und berichtet:

»(…); sie [Jünger und Weseloh] hatten sich über persische Epigraphen unterhalten, und Jünger hatte ihr zu ihrer Gelehrsamkeit gratuliert.« (S. 435)

« (…) ; ils avaient parlé d’épigraphes persanes et Jünger l’avait félicitée sur son érudition. » (p. 447)

Diese lustige Episode ist auch deshalb so gut, weil Littell nicht übertreibt, obwohl es sicher möglich gewesen wäre, die Begegnung mit Jünger für einen kurzen grellen Effekt zu exploiten. Littell hat die Szene auch tatsächlich so vorbereitet, dass man jeden Moment mit einer Kolportage rechnet, aber dann bleibt es doch beim Namedropping, denn Jünger wird schnell von einer Gruppe Wehrmachtsoffizieren aus Aues Blickfeld gezogen.

Er versucht später noch einmal, den Autor, dessen »Arbeiter« einiges zu seinem Weltbild beigetragen haben dürfte, zu treffen. Das schlägt jedoch abermals fehl, und irgendwann ist Aue die Lust auf ein Tête-à-tête vergangen (S. 452).

Jüngers Name taucht noch einmal auf, als sich Aue in Pommern, im Haus seines Schwagers Berndt Üxküll aufhält, der mit Jünger korrespondiert. (Aue weist aber darauf hin, dass er seine Erinnerungen an diese Zeit wahrscheinlich nicht wahrheitsgetreu wiedergeben kann.) Jedenfalls habe Jünger ihm, Üxküll, »durch die Blume« zu verstehen gegeben, dass es kurz vor dem Kriegsende wirklich keinen Sinn mehr habe, Hitler noch umzubringen, denn (Üxkülls Formulierung):

»(…); dieser Kelch muss bis zur bitteren Neige geleert werden. Nur so kann etwas Neues beginnen.« (S. 1217)

« (…) ; il faut boire le calice jusqu’à la lie. C’est le seul moyen pour que quelque chose de nouveau puisse commencer. » (p. 1245)

Die in Widerstandskreisen kursierende Schrift »Der Friede« wird noch kurz erwähnt, und das ist es dann mit Ernst Jünger in den »Wohlgesinnten«. Auf einer tieferen Textebene hat er natürlich trotzdem seine Spuren hinterlassen (vgl. etwa Schirrmachers Bemerkung zum Romanbeginn: »Seid ihr überhaupt sicher, dass der Krieg vorbei ist?«).

E. R. Burroughs als SS-Visionär

»Ich hatte auch wieder zu lesen begonnen.« (S. 1148)

« Je m’étais aussi remis à lire. » (p. 1175)

Aue hatte aus Antibes einige Jugendbücher mitgenommen, darunter E. R. Burroughs‘ Marsabenteuer. Er liest den amerikanischen SciFi-Autor nun ganz neu als »unbekannten Ahnherren völkischen Gedankenguts« (S. 1149) und sieht Burroughs‘ Beschreibungen der Marsbesiedelung »als Vorbild für tiefgreifende soziale Reformen, die die SS nach dem Kriege ins Auge fassen muß« (ebd.).

Er setzt ein Memorandum für den Reichsführer auf, in dem er die Vorbildrolle der grünen Marsianer für die SS-Elite beschreibt. Und Himmler beantwortet Aues Schreiben sogar:

Mein lieber Dr. Aue!
Mit lebhaftem Interesse habe ich Ihre Darlegungen gelesen. (…) Ich frage mich allerdings, ob Deutschland, selbst nach diesem Krieg, bereit sein wird, so tiefsinnige und notwendige Gedanken zu akzeptieren. (…) Wie dem auch sei, es wird mir ein Vergnügen sein, mit Ihnen nach Ihrer Genesung eingehender über diese Pläne und diesen visionären Autor zu diskutieren.
(S. 1151)

Très cher Doktor Aue !
J’ai lu avec un vif intérêt votre exposé. (…) Je me demande si l’Allemagne, même après la guerre, sera prête à accepter des idées aussi profondes et nécessaires. (…) Quoi qu’il en soit, lorsque vous serez guéri, je serai heureux de discuter avec vous plus en détail de ces projets et de cet auteur visionnaire.
(p. 1177)

Himmler als Burroughs-Liebhaber! Auch diese abstruse und nicht unlustige Szene kann man wieder der Hauptthese des Romans zuschlagen: Wenn sowieso jeder unter denselben schrecklichen Bedingungen die gleichen schrecklichen Dinge getan hätte, dann hätte auch E. R. Burroughs einen guten völkischen Vordenker abgegeben.

2 Reaktionen zu “Über »Die Wohlgesinnten« (Teil 3):
Max Aues Lektüren: Ernst Jünger, E. R. Burroughs”

  1. Gregor Keuschnig

    Jüngers Cameo-Auftritt geschieht vermutlich aus philologischen Gründen; Littell wollte ihn einfach auch noch untergebracht haben. Es gibt zwei, drei Stellen, die Jünger-Attitüden bei Aue nahelegen, aber das wird irgendwann fallengelassen. Als Aue 1943 für eine kurze Zeitspanne nach Paris reist, ist von Jünger merkwürdigerweise nicht die Rede, obwohl dieser wohl in der Stadt gewesen sein dürfte.

  2. Paco

    Genau, Littell hat nur schnell die »Kaukasischen Aufzeichnungen« gescannt, und die gehen ja bloß bis Mitte Februar ’43, und das darauf folgende II. Pariser Tagebuch hat er sich dann gar nicht mehr angetan, keine Zeit, hehe.

    Ansonsten fand ich zumindest diese beiden Schriftstellererwähnungen »ziemlich witzig«, um die Rezension von Stefan Mesch für literaturkritik.de zu zitieren.

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