Über »Die Wohlgesinnten« (Teil 2):
Mandelbrod und seine SS-Hetären

Leipzig, 12. November 2008, 08:19 | von Paco

»Sie waren Industrielle, aber ihre genaue Stellung war schwer zu definieren.« (S. 627)

« C’étaient des industriels, mais leur position exacte serait malaisée à définir. » (p. 641)

Die Szenen um den völlig verfetteten Rasseideologen Mandelbrod und seinen Sozius, den gebürtigen Engländer Leland, ergänzen zwar vor allem die Erklärungsmuster des Holocaust bzw. die »trüben rassepsychologischen Niederungen des Romans« (vgl. u. a. Mandelbrods Beweisführung, so muss man das wohl nennen, anhand eines Romans von Disraeli auf S. 637-638), verpassen dem Buch aber auch einen Schuss Slapstick und ein wenig Situations­komik. Mandelbrod scheint sich nie aus seinem Sessel zu erheben und sondert dauernd derbe Körpergerüche ab. Himmlers Posener Rede wohnt er auf einer eigenen »sperrigen Plattform« bei (S. 942).

Die beiden Moguln hatten Aues Mutter nach dem ungeklärten Verschwinden von Aues Vater in den Zwanzigerjahren geholfen. Auch Aue wurde Objekt dieser Strippenzieherei, als er 1934 nach Deutschland übersiedelte, sich in Kiel immatrikulierte und schließlich in die SS eintrat (S. 627). Er überlässt sich dieser schaurigen Variante einer Turmgesellschaft à la »Wilhelm Meister«, die einerseits für seine Karriere sorgt, ihn aber auch für die eigenen politischen Ziele einzuspannen versucht.

Mandelbrod ist teilweise eine recht wohlfeil wirkende Blofeld-Anspielung. Er hat ständig Katzen um sich und wird von blonden, hochgewachsenen SS-Hetären umsorgt. Diese sollen und wollen ständig von Aue begattet werden (z. B. auf S. 927), was dieser jedoch immer ablehnt. Aues Homosexualität hat also auch die Funktion, dass eben keine »Nazi Sexploitation« aus dem Buch wird.

Mindestens eine der Hetären ist in Latein und Deutsch promoviert (S. 944), mit einer anderen unterhält sich Aue über Heidegger (S. 988). Die drei, denen Aue persönlich begegnet, tragen übrigens die Namen Hilde, Hedwig und Heide – die Rufnamen dreier Goebbels-Töchter. Der Grund für diese Parallelisierung ist nicht ganz klar, sie wird aber am Ende noch verdeutlicht: Während des Kampfes um Berlin erschießen sich die drei Nazi-Amazonen in Mandelbrods Büro; Aue findet aber außerdem noch »drei weitere Frauen«, die tot herumliegen (S. 1352). Das entspricht dann den sechs etwa zur selben Zeit getöteten Goebbels-Kindern. Warum auch immer.

Überhaupt fällt das Ende der Subgeschichte um Mandelbrod und seinen Kompagnon äußerst kläglich aus. Im Angesicht des Triumphs der Roten Armee wechseln beide umstandslos zu den Russen, die sie freudig aufzunehmen bereit sind.

»Der Führer ist gescheitert«, sagte Leland kalt. »Doch der ontologische Krieg, den er begonnen hat, ist noch nicht vorbei. Wer außer Stalin könnte die Arbeit vollenden?« (S. 1353)

« Le Führer a échoué, prononça froidement Leland. Mais la guerre ontologique qu’il a commencée n’est pas terminée. Qui d’autre que Staline pourrait achever le travail ? » (p. 1385)

Das findet sogar Aue abgefahren und sucht schnell das Weite. Durch diese holzhammerartige Wendung werden die beiden unheimlichen Masterminds vollends zu Comicfiguren degradiert.

5 Reaktionen zu “Über »Die Wohlgesinnten« (Teil 2):
Mandelbrod und seine SS-Hetären”

  1. jonas

    Paco, thanks anyway for bringing round this candid review of the infamous tome, very umblättery with just the right amount of time passed since the hype—but douze points for the instant classic «völlig verfetteter Rasseideologe».

  2. Gregor Keuschnig

    Ich habe auch das slapstick-hafte dieser Figuren (insbesondere von Mandelbrod) zu bemängeln. Interpretationen könnte man viele anbieten – das wäre nach meinem Empfinden fast zuviel der Ehre. Die Figuren dienen letztlich nur als Projektionsfläche des Autors für das „Böse“; ihr problemloses Überwechseln in die UdSSR spricht dafür.

    Die Figuren sind für mich hochproblematisch. Nicht nur, weil sie sehr stark mit real existierenden Personen interagieren (das macht Aue auch [auch dort finde ich es mindestens delikat]), sondern weil insbesondere Mandelbrod die diffuse Rolle einer grauen Eminenz gegenüber Himmler bekommt. Es wird zumindest damit gespielt, dass Mandelbrod über Himmler steht (wenn auch nicht unbedingt hierarchisch). Das ist insofern heikel, weil damit indirekt Verschwörungstheorien Nahrung erhalten könnten, die von „dunklen Mächten“ im Hintergrund des nationalsozialistischen Apparates sprechen (vom primitiven „Wenn der Führer das gewusst hätte…“ erst gar nicht zu reden).

    Eine Provokation liegt auch in der expliziten Verwendung des Namens „Mandelbrod“. Anfangs dachte ich, Mandelbrod sei eine Anspielung auf Alfred Rosenberg (der war ja bekanntlich der Chefideologe), dann passten jedoch die zugewiesenen Eigenschaften nicht.

  3. Paco

    Sehe ich genauso. Die Namensgebung spielt aber schon bewusst mit dem Vorbild ›Rosenberg‹, cf. Seite 627: »Trotz seines jüdisch klingenden Names war er, wie Minister Rosenberg, ein rassereiner Deutscher aus alter preußischer Familie, vielleicht mit einem Schuss slawischen Bluts«. – Jedenfalls wird hier über den Nachnamen wieder die behauptete fatale Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Deutschen und Juden zelebriert.

    Ansonsten hat Littell die Figur Mandelbrod ziemlich umsonst aufgebaut, es bleibt von ihr nicht viel übrig. Die Unheimlichkeit, die Mandelbrod anfangs ausstrahlt, wird am Ende einer kaum zu überbietenden Schablonenhaftigkeit preisgegeben. Jeder Ansatz zu einer Interpretation würde sofort in sperrangelweites Gähnen ausarten.

  4. Hut

    Dag,
    Ik heb het boek van Littell gelezen en mijn indruk is dat o.a Mandelbrod in de hierarchie een van de „stille“achtergrond figuren rondom de SS kliek is geweest.
    Het is terleurstellend dat toen en nu steeds weer dat soort mensen de straf weet te ontlopen.

  5. Beat

    Dr. Madelbrod stellt im Roman von Jonathan Littell lediglich die personifizierte Stellvertretung der deutschen Industrie der damaligen Zeit dar. Lobismus und Finanzierung persönlicher Interessen wie es die IG Farben und andere Unternehmen betrieben haben, werden in der Person von D. Madelbrod dargestellt. Aus heutiger Sicht verwerflich, doch mitten drin in einem System, das der Einzelne nicht zu beeinflussen vermag, sich aber im Grundsatz des ökonomischen Fortbestands nichts ändert, nämlich Wachstum, Fortschritt und Rentabilität, durchaus verständlich. Das Dr. Madelbrod die Fronten nach der Niederlage wechselt ist ein Versuch den persönlichen Kollaps zu verhindern. Ob das aus Sicht eines Unternehmers verwerflich ist? Mit Sicherheit nicht. Den welches Unternehmen verhindert nicht mit allen Mitteln die ihm zur Verfügung stehen den möglichen Konkurs. Jonathan Littell versucht in seinem Buch sehr treffend zu erklären, was Gut und was Böse ist. Es gibt die Definitionen per se nicht. Denn jede Handlung ob als Person, als Unternehmen oder als ganzes System lassen Interpretationen aus der Sicht des Betrachters zu. Er entscheidet über Gut oder Böse. Littell verleiht dem Leser in seinem Buch sehr differenzierte Einblicke in ein Deutschland der damaligen Zeit, die treffend recherchiert und spannend niedergeschrieben sind.

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