Feuilleton und Pornografie (Teil 4):
Ariadne von Schirach über die Generation Porno

London, 12. Juli 2008, 08:14 | von Paco

Buchstäblich aus dem Nichts kam der »Spiegel«-Essay einer bis dahin unbekannten Philosophiestudentin:

Ariadne von Schirach: Der Tanz um die Lust.
In: Der Spiegel 42/2005 (17. 10. 2005), S. 194-200.

Die These der Autorin lautet ungefähr so: Wenn sogar der niedliche Berlin-Mitte-Boy von nebenan (»stilecht mit Freitag-Umhängetasche«) ungeniert durch die Pornoabteilung einer Videothek surft, dann muss das etwas bedeuten. Nämlich: Porno ist überall, Porno ist gesellschaftsfähig.

Der Ariadne-v.-Schirach-Artikel mit dem wallend blonden Foto als Beweis der Autorschaft war ein Scoop für den »Spiegel«. Alle, wirklich alle wollten wissen, wer das ist – und was dieser Text eigentlich jetzt genau soll. Einordnungsversuch: Der Artikel und Schirachs daran anschließendes Buch »Der Tanz um die Lust« (Goldmann 2007) sind eine Art Porno-Edition von Illies‘ »Generation Golf«.

All die hoffnungsfrohen jungen Leute, die sich von einer ubiquitären Pornografie dominieren lassen, verlängern so ihre Jugend und zögern ihr endgültiges Erwachsenwerden hinaus. Wo Pornos sind, sind Singles, männliche vor allem, denn die sprichwörtlichen »Sexbomben mit Staatsexamen« sind schon noch an Bindung interessiert, befinden sich schon noch in Erwartung des Mr. Right und zeigen sich daher »ungehalten über mangelnde sexuelle Bereitschaft. Die Männer sind verunsichert und flüchten ins Internet.«

»Die Hinweise häufen sich. Rund ein Drittel der deutschen Bevölkerung soll sich angeblich regelmäßig auf Sexseiten im Internet vergnügen. Es gibt Seiten, die ein komplettes Porno-Alphabet anbieten, jede nur erdenkliche Neigung, kunstvoll sortiert, der alte de Sade hätte seine helle Freude gehabt.«

Über Advanced Porn-Surfing hat übrigens Jens Friebe ein sehr schönes Lied geschrieben, es heißt »Gespenster«, stammt vom 2004er Album »Vorher Nachher Bilder« und wird hier später verhandelt.

Zurück zu Schirach. Ihr ist auf jeden Fall eine beeindruckende Phänomenologie der pornografisierten Gesellschaft gelungen. Der »Spiegel«-Text wird vor allem durch die unterhaltsame Beispielgebung getragen, angetreten ist »die Frau von der Triebabfuhr« (taz) aber auch, um irgendwie zu warnen: »Das Problem beginnt, wenn das pornografische Menschenbild zur Norm wird, und Gegenbilder fehlen«, sagte sie im SP*N-Interview. Wohin sie mit ihren Bedenken allerdings will, wird nicht so richtig deutlich.

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