100-Seiten-Bücher – Teil 184
Irmtraud Morgner: »Die wundersamen Reisen Gustavs des Weltfahrers« (1972)

München, 24. November 2019, 10:40 | von Josik

Die prophetische Gabe der DDR-Literatur kann man nur bewundern. Schon 1972 schrieb Irmtraud Morgner: »Fußballtrainer Scholl rezitierte drei Gedichte« (S. 101). Gemeint war zwar offensichtlich nicht Mehmet Scholl, der ehemalige Trainer der U13-Junioren des FC Bayern München, sondern Oliver Kahn, und auch Oliver Kahn rezitierte ja gar nicht drei, sondern bloß ein einziges Gedicht, aber dieses eine Gedicht ist mindestens genauso gut wie irgendwelche drei anderen Gedichte zusammengenommen, denn es handelt sich um das berühmte Gedicht »Der Panther« von Rainer Maria Rilke.

Auf YouTube kann man dieser Rezitation andächtig lauschen, und Oliver Kahn schiebt sogar gleich noch eine Interpretation hinterher: »Ja, es ist natürlich für so ein Tier wahrscheinlich keine schöne Sache, sich in einem wirklichen Käfig zu befinden. In dem Fall ist der Käfig ja wirklich.« Dann kommt Kahn auf seinen eigenen Käfig (der kein wirklicher Käfig ist) zu sprechen und fragt: »Ist mein symbolischer Käfig psychologisch?« Darüber sollten wir alle ein bisschen nachdenken.

Länge des Buches: ca. 230.000 Zeichen (dt.). – Ausgaben:

Irmtraud Morgner: Die wundersamen Reisen Gustavs des Weltfahrers. Lügenhafter Roman mit Kommentaren. Berlin und Weimar: Aufbau Verlag 1983. S. 3–118 (= 116 Textseiten).

(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)

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