100-Seiten-Bücher – Teil 149
Carmen Boullosa: »Die Wundertäterin« (1993)

München, 22. Februar 2019, 00:44 | von Josik

Wir waren mitten in der Nacht aufgestanden, denn der ICE 886 fuhr bereits um 6:16 Uhr am Hauptbahnhof los. Als Reiselektüre hatte ich Carmen Boullosas Roman »Die Wundertäterin« eingepackt. Schon kurz nach Nürnberg musste ich anfangen zu lachen. Wie der von der Gewerkschaft angesetzte Privatdetektiv die Wundertäterin beschattet und für diese Aufgabe aber völlig untauglich ist! Alles wird immer abgefahrener, irgendwann kommt sogar der Präsidentschaftskandidat Morales ins Spiel. Das alles wird so rasant erzählt, und ich konnte mich irgendwann überhaupt nicht mehr zurückhalten und musste einfach laut loslachen. Doch je mehr ich lachen musste, desto mehr merkte ich, wie die Mitreisenden mir böse Blicke zuwarfen. Es war mir ja auch irgendwie unangenehm, aber was sollte ich machen?

Im Kopf überschlug ich kurz, dass ich aufhören könnte weiterzulesen. Aber sogleich wurde mir klar, dass diese Idee unsinnig war, denn dann hätte ich die ganze Zeit an das denken müssen, was ich gerade gelesen hatte, und dann hätte ich also wieder loslachen müssen. So gesehen war es viel effizienter, wenn ich weiterlas und über Stellen lachte, die ich noch nicht kannte. Einen kurzen Moment dachte ich auch daran, dass meine Mitreisenden ja nicht wissen konnten, worüber genau ich so lachen musste, und ich überlegte, ob ich ihnen aus Höflichkeit das Buch einfach von vorne vorlesen sollte. Das wäre aber in diesen frühen Morgenstunden bei den mich umgebenden Schlafmützen sicherlich nicht gut angekommen. Ich las also weiter, und lachte und lachte.

Länge des Buches: ca. 220.000 Zeichen (dt.). – Ausgaben:

Carmen Boullosa: Die Wundertäterin. Roman. Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995. S. 3–133 (= 131 Textseiten).

(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)

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