Oh, wow

Frankfurt/M., 20. Dezember 2018, 17:57 | von Charlemagne

Joan Didion, diese großartige, unendlich kühle und mittlerweile etwas überstrapazierte amerikanische Autorin, hat uns vor fast 40 Jahren gezeigt, wie man mit wundersamen Zuschriften umgeht, und eigentlich sollte man ihre Antwort als zusätzliche Unterschrift unter das Logo unseres Maulwurfbaus setzen, also

Der Umblätterer
* In der Halbwelt des Feuilletons *
Oh, wow.

Denn genau dieses anerkennende, abwägende, leicht resignierte und letztendlich spottend gönnerhafte, nach Harald Schmidt klingende »oh, wow« schießt mir seit ein paar Jahren beständig durch den Kopf, wenn ich versuche, das zu lesen und zu feiern, was früher das überlebenswichtige und unnachahmliche deutsche Feuilleton war und mich heute nur noch langweilt.

Nach dem Abitur, während andere mit dem Rucksack durch Australien reisen mussten, um sich einen Traum zu erfüllen, habe ich mir als Belohnung für die Zeit bis zum Studienbeginn die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Süddeutsche Zeitung bestellt, um tagein tagaus auf dem Balkon brütend deren Feuilletons ritualisiert durchzupflügen.

Zur Abkühlung zwischendurch gab es Rainald Goetz’ KLAGE auf der Homepage der deutschen Ausgabe der Vanity Fair, Arne Willander im Rolling Stone und sonntags mein Lieblingsfeuilleton in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Bisschen wie beim Fußball kann ich noch heute die Aufstellung meiner damaligen Lieblingsmannschaft runterbeten, häufig habe ich überhaupt erst geschaut, wer über welches Thema schreibt und war schon enttäuscht, wenn es keine neuen Texte von Johanna Adorján, Claudius Seidl, Niklas Maak oder wenigstens Gastbeiträge von Hans Ulrich Gumbrecht oder Christian Kracht im Reiseblatt gab. Am schlimmsten waren die Sonntage, an denen Frank Schirrmacher die erste Seite bespielte, das waren leider häufig zähe Angelegenheiten, da half dann fast gar nichts mehr.

Dann ging’s für mich zum Studium, Zeitung las ich nur noch sonntags, donnerstags gab’s Stuckrad Late Night, Rainald Goetz tauchte erst auf, dann ab, und seit kurzem ist er Träger des Bundesverdienstkreuzes – YEAH, we’ve stopped living this way.

Und heute? Die Lieblingsautoren leben zum Glück (fast) alle noch, doch die Magie, das Unmittelbare des Feuilletons ist verschwunden. Ab und zu blitzt sie noch mal auf, wenn zum Beispiel Danilo Scholz dieser Zeit in der taz hinterherschreibt oder Max Scharnigg etwas Platz gegeben wird. Doch größtenteils schreiben die Leute (schon wieder? immer noch?) über Ernst Jünger, führen seltsame Interviews oder Ein-Themen-Experten, schreiben irgendwas Blitzgescheites über China und ich sehe die Überschriften, sehe die Autorennamen, die meist öde Bildersprache und denke, ja, superschlau, gelehrt und gelernt, und der eigentliche Text erst, – oh, wow.
 

2 Reaktionen zu “Oh, wow”

  1. Ray

    Jaja, wann wird es endlich wieder so, wie es nie war ;-)

    Das konnte ich mir jetzt nicht verkneifen. Ich finde ja auch, früher war mehr. Autoren, Seiten, Zeilen, Qualität, Haltung.
    Heute werden Volontäre ins Theater geschickt und schreiben Augenzeugenberichte und können nichts einordnen. Zum Glück gibts noch die NYT und den New Yorker mit langen Reportagen, LONGREADS u.v.a.

    Man muss nur suchen …

  2. Luisa

    Wie wär’s hiermit:

    https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/magazin-die-dame-berliner-nabelschau-14918632.html

    Ist nicht tagesfrisch, aber noch immer sehr erheiternd. Allerdings könnte die dame einfach die Braue heben und „Oh, wow“ Richtung Frankfurt murmeln…

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