Rainald Goetz bei Harald Schmidt

Leipzig, 3. Juni 2010, 08:44 | von Paco

Es ist ja nicht viel passiert, damals, am 8. April 2010. Das Gespräch dauerte keine 11 Minuten. Aber: Auf diese mediale Begegnung sind die letzten zehn, zwölf Jahre des Neueren Feuilletonismus zugelaufen. Und das Warten hat sich gelohnt. (Replay bei YouTube.)

Seit »Abfall für alle«, noch wichtiger aber: seit »Dekonspiratione«, dem besten Goetz-Buch des 20. Jahrhunderts, das gerade noch rechtzeitig für diesen Superlativ, nämlich im Jahr 2000, erschienen ist, seit diesen beiden Büchern also warten wir, wir alle, auf ein Hereinschneien von Rainald Goetz in irgendeine Show von Harald Schmidt.

In »Dekonspiratione« ging es ziemlich lutheranisch um eine Reformierung der damaligen Sat.1-Harald-Schmidt-Show, zuletzt in »Klage« wurde Schmidt seltener erwähnt, manchmal aber schon noch, zum Beispiel der Auftritt von Christian Kracht in der Show vom 12. Oktober 2001.

Eine stilistische Anspielung auf das Kracht-Gespräch gibt es auch im Goetz-Schmidt-Showdown, der, wie gesagt, am 8. April 2010 in der ARD stattfand. Wenn nämlich Goetz auf die zuspitzenden Fragen von Schmidt einfach nur begeistert »Ja« schreit, immer wieder, also eigentlich nur drei, vier Mal, aber das ist genau derselbe affirmative Gestus wie bei Kracht in der Passage, in der es um die Schrecklichkeit Berlins geht (+1):

Schmidt: Empfinden Sie deutsche Menschen als unfreundlich?
Kracht: Zum großen Teil, also in Berlin vor allen Dingen, also Berlin ist sehr, sehr schrecklich.
Schmidt: Kann man sagen, dass Berlin insgesamt grässlich ist?
Kracht: Ja, Berlin ist die schrecklichste Stadt der Welt.
Schmidt: Entsetzlich?
Kracht: Entsetzlich.
Schmidt: Widerwärtig?
Kracht: Ja.
Schmidt: Ekelerregend?
Kracht: Ja.

Dieser Gestus dann auch bei Goetz, als sozang Klangzitat, denn inhaltlich geht es um ganz etwas anderes, um die Mittelnamen, die er einigen Leuten in »loslabern« verpasst. Diese Passage lebt als Zitat, richtig gut ist sie nicht, Schmidt hat sie auch nur initiiert, um an einer bestimmten Stelle schnell ein neues Thema in die Arena zu schießen. Also so:

Schmidt: Sie sind sehr virtuos im Verteilen von Mittelnamen. Sie schreiben zum Beispiel »Friede ›Kindermädchen‹ Springer«.
Goetz: Ja!
Schmidt: Sie schreiben »Jörg ›Lebensmensch‹ Haider«.
Goetz: Ja!
Schmidt: Sie schreiben »Wolfram ›die Krise ist vorbei‹ Weimer«.
Goetz: Ja! Ja!!!

Diese Passage, die ja nur 10 Sekunden dauert, findet erst bei Minute 5 statt, da haben sich Schmidt und Goetz schon eingespielt, was am Anfang nicht gleich ganz danach aussah.

Das Gespräch beginnt nämlich etwas schleppend. Goetz kommt erwartungsgemäß mit Notizblock und aktuellem FAZ-Feuilleton hereingeschneit und wirft dabei gleich das leicht ärmelschonernde Wort »Notizen« in den Ring. Beide eiern dann ein wenig herum, Schmidt versucht, eine Gesprächsebene zu finden, und das kann er ja genau gut.

Zunächst funktionert das aber nicht. Goetz ergeht sich in einem Lob der FAZ-Zeitungsseite im Allgemeinen, der Struktur und Bebilderung. Demonstriert wird das anhand der Aufmachung und Anordnung des Hettche-Artikels »Wenn Literatur sich im Netz verfängt«, dem FAZ-Feuilleton-Aufmacher des 8. April 2010. Neben dem Hettche-Artikel steht ein Bild, Goetz hält die Seite hoch und sagt: »Ich finde, das schaut einfach super aus irgendwie.«

Eine Kaffeehausaussage vom Feinsten, aber Schmidt muss das Gespräch woanders hinziehen, auf eine vermittelbarere Ebene. Das Eis bricht glücklicherweise sofort, als sich Schmidt selbst an einer vorsichtigen Zusammenfassung der Hettche-Ideen versucht, und Goetz stimmt dann mit Vorbehalt zu und ergänzt mit herrlicher Unspezifischkeit: »Es ist mehr.«

Dann geht es erst mal mit der FAZ-Apotheose weiter, Schmidt fragt, was Goetz so in die FAZ hineinziehe. Antwort: »Es ist einfach die Faszination der sozang maßgeblichen Stelle, die spricht.« Usw. usw. »Aber, jedenfalls, FAZ, Harald-Schmidt-Show, sozang der maßgebliche Ort, wie verhält der sich, sozang wie nimmt der die intellektuelle Situation, wie antwortet der darauf.« Dann geht es, in Anlehnung an Schmidts Gespräch mit Hans Zippert vor ein paar Wochen, um die »Welt« und den »Orkus Springer« und dann kommt das oben schon erwähnte »Ja! Ja! Jaaa!«

Endlich gibt sich eins ins andere. Es geht um Schirrmachers »Payback«-Buch, Goetz‘ Kritik hat vor allem den Zweck, sein Lieblingsadjektiv »wirr« noch mal hier vor großem Publikum unterzubringen. Schmidt erzählt die Episode aus »loslabern« nach, die beim FAZ-Herbstempfang 2008 spielt. Darin fragt Schirrmacher Goetz nach seiner Eintrittskarte und vermutet, er habe sich »eingeschlichen« (das schönste Wort des Buches, das sich qua Wiederholung so richtig schön entfalten kann).

Maxim Biller wird noch gefeiert, »weil der einfach so tolle Bücher schreibt, ja, absolut, also, das letzte Buch, das ist so ein unglaublicher Hammer, ›Der gebrauchte Jude‹«. Tellkamps »Turm« wird noch angerissen, das Betuliche daran, aber dann nicht diskutiert, es ist einer dieser Sätze, der während des Sprechens mehrmals das Thema ändert. Denn schon muss David Foster Wallace gebasht werden. Helge Malchow habe die Leute »so bequatscht, dass alle Angst hatten irgendwie, dieses sehr schlechte Buch schlecht zu finden«. Eine in »loslabern« beschriebene Malchow-Anekdote von der Frankfurter Buchmesse interessiert Schmidt, ist ja selber KiWi-Autor.

Eine Szene mit Döpfner, Poschardt und Stuckrad-Barre vor der Paris Bar wird beschrieben und an diesem Exempel DAS LOB als Herrschafts­methode erläutert. »Der Rohling muss erst erfunden werden, den gibt es nicht, der auf eine solche Schmeichelei des Chefchefs von solcher Suggestivität nicht weich werden würde« (S. 171), und um ein weiteres Beispiel zu bringen sagt Goetz jetzt zu Schmidt: »Ich blühe ja jetzt auch auf, wenn wir reden, das ist ja ganz normal.«

Dann sind 10 Minuten rum, die letzte Minute ist Ausklang, Overhead, Blumengirlanden, danke schön, bis dahin. Schmidt: »Sie könnten ja mal wiederkommen, länger.« Und Goetz lacht sich kaputt über diese in der Tat furchtbare »Kommen Sie mal wieder«-Rhetorik, auch das ja eine Herrschaftsmethode. Als krönenden Abschluss gibt es noch diesen bereits hier zelebrierten Dialog:

Schmidt: Das Buch, soll ich noch drauf hinweisen?
Goetz: Wie Sie wollen.

Das Schlimme am Goetz-Effekt ist ja nun, dass man jetzt sofort lesen will, wie Goetz selber diesen Auftritt fand, sein eigenes Rüberkommen, das Gespräch mit Schmidt davor, dabei, danach, die YouTube-Kommentare und so weiter, und die GROSSE ERKENNTNIS, die daraus folgt.

Und wenn sich schon mal jemand gefragt hat, ob man Goetz-Bücher irgendwie verfilmen könnte: genau so.

9 Reaktionen zu “Rainald Goetz bei Harald Schmidt”

  1. Jonas

    “Sie könnten ja mal wiederkommen, länger.” — damit wurde ja, nicht nur sinngemäß, sondern fast wörtlich, auch Krachts Besuch beendet. “Wir hatten mal eine [Champagnernacht; o.ä.], aber es fehlte die gewisse – Eminenz.” Ach, und 100 Punkte für den perfekt getroffenen alten Uslarsound in “Dann sind 10 Minuten rum, die letzte Minute ist Ausklang, Overhead, Blumengirlanden, danke schön, bis dahin.”

  2. Paco

    Beim Verlinken ist mir übrigens aufgefallen, dass es davon mittlerweile die oben verlinkte kristallklarere Version gibt. Die ursprüngliche Version ist allerdings ja historisch, Goetz hat sie zur Grundlage gehabt, als er in »Klage« über den Kracht-Auftritt bei Schmidt schrieb, außerdem wird die URL noch in dem Eckhard-Schumacher-Artikel in dem von Conter und Birgfeld herausgegebenen Kracht-Band erwähnt.

  3. bosch

    Und ganz groß, das Hörspiel von Loslabern kostenlos auf br-online:

    http://www.br-online.de/bayern2/hoerspiel-und-medienkunst/pool-rainald-goetz-loslabern-ID1268309896375.xml

  4. fabe

    Danke für die präzise Zusammenfassung des wirklich ja sehr kurzen Auftritts, damit nun auch historisch archiviert!

  5. Kunst Blog Buch » Blog Archiv » Grimme Online Award 2010

    […] des Consortium Feuilletonorum Insaniaeque kommt keiner an. Wo sonst liest man so detailgenau von Rainald Götz’ Auftritt bei Harald Schmidt? Wer sonst sammelt so schöne Vossianische Antonomasien? Und wo sonst werden heute noch Leo Perutz […]

  6. amo

    da wäre mir doch die weiterführende rezeption dieses grandiosen besuchs fast entgangen! danke!

  7. Arabesken

    Loslabern…

    Ja, ja, Loslabern ist ein alter Hut – in Anbetracht der Halbwertzeit feuilletonesker Texte. Den Herbst 2008 behandelnd, im Herbst 2009 erschienen, kurz danach im Begleitschreiben aufgefallen (als die Rezension noch kommentarlos da stand), verschw…

  8. Zeitung mit Ich-Schwäche

    […] sondern als Bedrohung gesehen. Der „Faszination der maßgeblichen Stelle“ (Rainald Goetz neulich bei Harald Schmidt) ist man dort vielleicht selbst noch zusehr erlegen. Das zeigt sich auch in […]

  9. mat10

    Lob oder nicht: Jede Biller-Faser ist entbehrlich, in jedem Moment, das Schlechte und Verstockte, das was niemand sein will, stumpf und blind und von A bis Zett für den finstersten Winkel gemacht, und hässliches Weinen.

    Goetz ist genau das Gegenteil davon, licht und kühn, um Offenheit bemüht gegen alle Widerstände.
    Seit 83 einzigartiger Held der deutschsprachigen Öffentlichkeit.

Einen Kommentar schreiben