Sie sind wohl nicht von hier?

St. Petersburg, 30. Juli 2017, 17:12 | von Baumanski

Dienstagabend, Nieselregen, 14 Grad. Juli.

Eben war ich mit unserem Freund, dem Opernsänger, im Konzert, wir hatten spontan noch günstige Karten für Bruckners Achte bekommen, und weil Gergiev mal wieder eine halbe Stunde zu spät kam – »ein Durchschnittswert«, wie die ältere Leningraderin neben uns grosszügig kommentierte – ist es nun doch schon fast zehn Uhr. Die U-Bahn-Station Teatralnaja, seit zehn Jahren geplant, wird zwar nun pünktlich zur Fussball-WM endlich gebaut, aber momentan ist es immer noch ein gefühlt endloser Fussmarsch zurück ins Zentrum. Aber wir haben ja Zeit, machen noch den Umweg zum Nabokov-Haus, obwohl es dort eigentlich nicht viel zu sehen gibt.

Als wir später in einem Hinterhof etwas trinken, kommen ein paar Filmregisseure dazu. Einer davon beginnt gleich, mich über verschiedene legendäre Schweizer Filme auszufragen, die alle eines gemeinsam haben, nämlich dass ich noch nie von ihnen gehört habe. Nach der halbstündigen Unterhaltung weiss ich aber alles über sie, ausser die Titel, die meinem Gesprächspartner partout nicht einfallen wollen. Dann zeigt er uns die Stelle, wo er damals die Szene in »Golden Eye« gefilmt hat, in der Pierce Brosnan mit einem Panzer durch Petersburg brettert und zwei der ihn verfolgenden Laster durch die Brüstung ins Wasser der Moika stürzen. Bei dieser Gelegenheit erzählt ein anderer der Regisseure, wie Bekannte von ihm in den Neunzigerjahren ihren Rottweiler töteten und verzehrten. »Furchtbare Leute, und das Fleisch war bitter, völlig ungeniessbar.«

Irgendwann, es beginnt bereits wieder zu dämmern, will sich eine von uns an ein Klavier setzen, das mitten auf der Strasse steht. Sofort wird sie von einem mürrischen Nachtwächter zurechtgewiesen, Typ Gopnik, Adidastrainingsanzug und zerdrückte Schirmmütze. »Sagen Sie, was ist das für ein Gebäude?«, frage ich ihn, mehr um von der unangenehmen Situation abzulenken. »Sie sind wohl nicht von hier?«, fragt er zurück, bereits deutlich entspannter. »Das ist die Akademie der angewandten Künste, Baujahr 1885. Schauen Sie mal, die Engel hier an der Strassenlaterne sind thematisch daran angepasst. Die Kirche dahinter wurde noch unter Peter dem Grossen zum Dank für die Siege seiner Flotte über die Schweden gebaut. Die müssen Sie sich mal von innen ansehen.«

Auf dem Heimweg treffen wir noch einen alten Bekannten, der behauptet, er komme eben von einem »intellektuellen Rave« im Generalstabsgebäude, aber ob das auch stimmt? Ausserdem müssen wir sowieso weiter zur Neva, die Тroizkij-Brücke wird um drei nur für ein paar Minuten gesenkt, und wir wollen ja rüber auf die Petrograder Seite, weil mir der Opernsänger unbedingt noch eine Jugendstilfassade am Kamennoostrovskij Prospekt zeigen will.
 

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