Die großen Fritz-J.-Raddatz-Festwochen (Tag 3):
»Tucholsky« (1961)

Berlin, 3. Dezember 2013, 08:00 | von Josik

(= 100-Seiten-Bücher – Teil 84)

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(Vorwort zur Festwoche hier. Inhaltsübersicht hier.)

Dieses Kleinod ist die erste von mehreren Tucholsky-Betrachtungen aus Fritz J. Raddatz’ Feder. Der direkte Vergleich zeigt, dass Raddatz in späteren Tucholsky-Essays gravierendste Änderungen vorgenommen hat, betreffen sie nun Jahreszahlen, Monatszahlen, Tageszahlen oder einfach ganz natürliche Zahlen.

Heißt es in dieser Bildbiografie von 1961 noch: »Mord wurde die legitime politische Waffe, sie stand billig im Kurs: (…) am 8. Oktober 1919 Hugo Haase« (S. 60), so steht 1989 in »Tucholsky. Ein Pseudonym« plötzlich etwas völlig anderes: »Mord wurde die legitime politische Waffe: (…) am 7. November 1919 Hugo Haase« (S. 24).

Heißt es 1961 noch: »Am 23. Februar 1922 erschien der Artikel Die Reichswehr, dessen Klarsicht uns noch heute entsetzen kann (…). Schon sieben Jahre später, 1929, zog Hitler mit 106 Abgeordneten in den Reichstag« (S. 63), so heißt es 1989: »Am 23. Februar 1922 erscheint der Artikel ›Die Reichswehr‹, dessen Klarsicht uns noch heute entsetzen kann (…). Genau acht Jahre später – 1930 – zieht Hitler mit 107 Abgeordneten in den Reichstag« (S. 24). Am 23. Februar 1922 erschien Tucholskys Artikel und tatsächlich fanden die Reichstagswahlen genau acht Jahre später statt, am 14. September 1930. Auf Genauigkeit legt Raddatz nämlich besonderen Wert und 1922+8 ist, das wird jeder Mathematiker bestätigen, genau 1930.

Auffallende optische Verbesserungen hatte Raddatz bereits in dem 1972 erschienenen Band »Erfolg oder Wirkung« vorgenommen, dort war z. B. die Zahl 106 ausgeschrieben: »Mord wurde die legitime politische Waffe: (…) am 8. Oktober 1919 Hugo Haase (…). Am 23. Februar 1922 erschien der Artikel ›Die Reichswehr‹, dessen Klarsicht uns noch heute entsetzen kann (…). Sieben Jahre später – 1929 – zog Hitler mit hundertsechs Abgeordneten in den Reichstag« (S. 17f.) Seltsam, dass Raddatz dann wiederum im Jahr 1989 die Zahl 107 nicht ausgeschrieben hat. Hoffentlich bringt Klett-Cotta bald eine historisch-kritische buntscheckige mehrfarbige Synopse dieser höchst unterschiedlichen Tucholsky-Abhandlungen heraus, damit man ihre Genese kritisch nachverfolgen kann; was für Ernst Jüngers »In Stahlgewittern« recht ist, sollte für Raddatz doch billig sein.

Länge des Buches: > 100.000 Zeichen. – Ausgaben:

Fritz J. Raddatz: Tucholsky. Eine Bildbiographie. München: Kindler 1961. S. 3–141 (= 139 Textseiten).

(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)

Eine Reaktion zu “Die großen Fritz-J.-Raddatz-Festwochen (Tag 3):
»Tucholsky« (1961)”

  1. Gregor Keuschnig

    FJR an den Lippen von Hans Mayer bei Gastvorlesungen in Leipzig hängend, davon später berichtend: „Gelernt habe ich da weniger Fakten und Zusammenhänge – die stimmten oft nicht -, sondern von seiner funkelnden Intellektualität. Frei nach Hegels Diktum ‚Um so schlimmer für die Realität‘ – wenn seine Thesen der Wirklichkeit nicht entsprachen – konnte er sich über Details hinwegsetzen.“ [Hervorhebung von mir]

    Mayer ist in FJRs „Erinnerungen“ mit dem merkwürdig resignativen Titel „Unruhestifter“ sinnigerweise „der Lehrer“. (List Taschenbuch, 2. Auflage 2006, S. 409f.)

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