100-Seiten-Bücher – Teil 77
Philip Roth: »Die Brust« (1972)

Solingen, 14. August 2013, 18:49 | von Bonaventura

In den frühen Morgenstunden des 18. Februar 1971 erleidet der New Yorker Literaturprofessor David Kepesh in seiner Wohnung einen körperlichen Zusammenbruch und wird ohnmächtig. Als er im Krankenhaus wieder erwacht, hat er sein Sehvermögen eingebüßt und kann sich nicht mehr bewegen. Ihm wird mitgeteilt, er habe sich in eine 155 Pfund schwere, weibliche Brust verwandelt. Dabei bleibt’s. Handlung in einem wesentlichen Sinn hat die Erzählung weiter keine; Kepesh verbringt seine Tage als Brust zwischen Erinnerungen, Gesprächen, Selbstbespiegelungen und erotischen Fantasien.

»Die Brust« ist einerseits ein selbstironischer und leicht satirischer Erguss über die immerwährende Präsenz der weiblichen Brust in der männlichen Psyche, andererseits ein hübsches Beispiel für Literatur aus Literatur. Die Erzählung speist sich im Wesentlichen aus drei literarischen Quellen: Franz Kafkas »Die Verwandlung«, Nikolai Gogols »Die Nase« (die Kepesh als Professor regelmäßig in seinen Kursen behandelt) und Jonathan Swifts »Gullivers Reisen« (speziell der Reise nach Brobdingnag). Damit das auch der US-amerikanische Leser begreift, hat es Roth freundlicherweise gleich mit ins Buch hineingeschrieben. Irgendjemand muss halt gebildet sein.

Die in der »Brust« erfundene Figur Kepesh hat sich dann noch als sehr fruchtbar erwiesen: Roth hat zwei weitere, deutlich umfangreichere Bücher – »Der Professor der Begierde« (1977) und »Das sterbende Tier« (2001) – aus der narzisstischen Gedankenwelt des Professors erzeugen können.

(Gesamtbesprechung der Kepesh-Trilogie hier.)

Länge des Buches: ca. 93.000 Zeichen (engl.) (?). – Ausgaben:

Philip Roth: Die Brust. Aus dem Amerikanischen von Kai Molvig. München; Wien: Hanser 1979.

Philip Roth: Die Brust. Deutsch von Kai Molvig. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 2004.

(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)

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