Nyborg Strand

Leipzig, 24. August 2011, 18:50 | von Hiller

Konferenzreisen im Sommer sind abzulehnen. Ebenso sind Konferenz­reisen an langweilige Orte abzulehnen. Eng wird es (ums Herz, und weit der Weg nach Hause), wenn man gegen beide Axiome auf einmal verstößt, so wie vor genau einem Jahr, als man mich nach Spanien geschickt hatte. Und diesmal schwebte ich zwecks eines eingeladenen Vortrags über vorauszusehende Anstrengung und unerwartete Leichtigkeit beim Hörverstehen vermittels zweier baugleicher Bombardier CRJ900 mit den klingenden Namen »Tuttlingen« und »Wittlich«, quasi als weltgeschichtliche Einstimmungsmeditation, faul übers Meer nach Dänemark ein.

(Aus Tuttlingen gibt es nur die großen Holz-Oszillatoren der Weltmarke HOHNER zu vermelden, ach nein, das war Trossingen; und Wittlich hat sich meiner Kenntnis nach auch nur durch das wahrlich die falschen Assoziationen weckende Foto des dort zu Tode gekommenen Extrem-Dialektikers Holger Meins verdient gemacht; aber das denke ich bestimmt, weil ich mich mit einer taxonomisch gehaltenen Monografie über Lufthansa-Fluggerät-Namen und deren Querbezüge – Intertextu­alität; wenn Sie wissen was ich meine – zum israelisch-palästinensi­schen Konflikt habilitieren werde.)

Aber Dänemark? Dies fragen sich sicherlich auch die dort Verantwort­lichen, und machen deshalb ihre Grenzen wieder dicht, auf dass nur keiner komme, um allen zu erzählen, wie langweilig es hier ist.

Noch im deutschen Luftraum konsultiere ich meine speckige Ausgabe des Weltweisen Henning Ritter: Irgendwas über Dänemark? Irgendein Aperçu über diese Hamlet-Maschine! Nichts. Genauso wenig halten die beiden Psychopharmakologen und Volkswirtschaftler Kracht–Woodard es für nötig, in ihrem neuen Standardwerk ihren Studenten den Geld- oder Drogenmarkt ausgerechnet Dänemarks zu erklären; wer würde dies auch wollen, und wozu: Der dänische Hotdog zu inflationsbereinigten 14 Euro, den ich bei meinem letzten Stopover, wenigstens im Frühjahr, auf mein Gepäck wartend verzehrte, illustriert beide Hauptthemen des Werkes ausreichend. »Denmark won’t be that hot«, beschwichtigt eine Nonne einen Amerikaner vieldeutig im Flug­hafenbus.

Seien Sie ehrlich: Sie alle sind kulturbeflissene Leser des Feuilletons, und Olafur Eliasson mit seinem Budenzauber hat Ihnen doch auch gefallen; aber was fällt Ihnen denn sonst Schönes, Spannendes ein zu Dänemark? Ach, in das Land des Lars von Trier wolle sie so gerne auch einmal reisen, schrieb eine Kollegin. Den könne man mit Hilfe von viel Sekundärliteratur schon sehr genießen, und er habe einen intellek­tuellen Anspruch, und präsentiere viele Bezüge zur Kunst- und Filmgeschichte. Da wollte ich gleich noch ein wenig weniger aufbrechen nach Kopenhagen, Nyborg Strand, die große Leerstelle im Norden. ›Nahost‹ möchte mein Intelligenz-Telefon lieber schreiben, anstatt ›Nyborg‹, als wüsste es, wie viel Spaß der nahe Norden verheißt.

Wie in jedem guten Reiseführer hier noch schnell die größten Kultur­leistungen meines freundlichen Gastlandes: Erstens, Bjarne Riis, ein Situationist der letzten Stunde, krampfte sich 1996 an einem Radlenker fest und fuhr mit dünnem Resthaar und Sirup im System sehr steile Berge sehr schnell hinauf. Zweitens, »The Sods«, eine lokale Punk­band, die ihren Namen schon von einer anderen Punkband stehlen mussten, um der Namenlosigkeit zu entgehen, nahmen circa 1979 mit mesmerisierend verstimmter Bassgitarre einen völlig unbekannt gebliebenen Monster-Reggae-Hit auf, den sie wiederum nach ihrer ja sonst nichts geschenkt bekommenden Hauptstadt benannten und dem sie als Schlusschor das eingängige Quadrupel »Copenhagen Cancer City Kill« mitgaben. Drittens, irgendetwas Ihrer Wahl mit Niels Bohr oder Hans Christian Andersen.

Ein freundlicher junger Mann mit einem dieser Islamisten-Bärte – er trägt eine teure Sonderedition eines Ralph Lauren-Polohemds – murmelt im Zug nach Nyborg famos zu seinem Nachbarn: »It’s funny, when I hear the words, I can remember them«, und ganz ähnlich geht es mir jetzt nach der Ankunft mit diesem Land, mir fällt das Schöne plötzlich wieder ein, wie ich es so sehe; die weiten Flure, die schlichten Sessel, und, wenn Sie es bitte niemandem weitersagen: auch der Blick aufs Meer. Und natürlich wird es hinterher wieder eine prima Tagung gewesen sein, die Hörforschung und ich werden wieder Freunde sein, und Dänemark wird sich wieder seinen Grenzen und seinen Karikatu­ren widmen können – aber: nicht mehr hier, und nicht mehr im Som­mer. Fahren Sie dort bitte niemals hin.
 

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