100-Seiten-Bücher – Teil 1
Klabund: »Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde« (1920)
Leipzig, 14. April 2011, 01:00 | von Paco
Ich habe für dieses angebliche Ein-Stunden-Buch drei Stunden gebraucht. Eine Paketlieferung für Nachbars hat mich aus dem Tritt gebracht, und eins zwei andere Ausreden habe ich auch noch. Dabei ist das Buch eine gelungene Begeisterungsshow für deutsche Literatur aller Epochen, eine Art Deutsch-Grundkurs in gut.
Klabund beginnt beim Althochdeutschen um 800, beim Wessobrunner Gebet, und springt und hüpft und stolpert sich durch die Jahrhunderte, zu den Minnesängern, zu Luther, zu den Barockdichtern und Klassikern, den Vormärzlern, Realisten und Expressionisten, bis zu seinen Zeitgenossen um 1920. Wie ein Theaterkorrespondent direkt nach der Premiere berichtet er uns von uralten Texten, man kann ihn sich gut mit Deutschlandfunk-Stimme vorstellen.
Und fast hätte man es nicht gemerkt, Klabund hat sich auch selbst mit viereinhalb Zeilen in seine Literaturgeschichte hineingeschrieben, hehe. Ansonsten kommen natürlich alle üblichen verdächtigen Autoren vor, allerdings ebenso viele inzwischen Vergessene. Am Überraschendsten ist Klabunds Vorliebe für Johann Christian Günther (1695–1723), vor dem selbst der Lyriker Schiller zurückstehe.
Günther wird neben Goethe an mehreren Stellen als wichtigste Referenzgröße herangezogen, bis ins Schlussgedicht hinein, in dem dann doch Goethe dominiert: »Und du, o ewige Früh- und Abendröte: / Du Turm, du Sturm, du erster Mensch, du: Goethe!« Über das gelegentliche Pathos liest man lachend hinweg, die knallharte Schwärmerei nervt an keiner einzigen Stelle. Das einzige, was bei der Lektüre stört, sind fremde Paketlieferungen.
Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Vierte, vom Autor neu durchgesehene und überarbeitete Auflage. Leipzig: Dürr & Weber 1923. S. 5–97. (= 93 Textseiten)
Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. (»Die Ausgabe folgt der zweiten vom Autor durchgesehenen Auflage, Leipzig 1921. Der Epilog folgt der Fassung der dritten vom Autor durchgesehenen Ausgabe, Leipzig 1922.«) Hamburg: Textem 2006. S. 9–121. (= 113 Textseiten)
(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)
Am 14. April 2011 um 08:21 Uhr
Also Johann Christian Günther gehört doch weißGOtt nicht zu den „Vergessenen“! Schließlich hat Karl Kraus am 15. März 1921, halb 7 Uhr, im Festsaal des Niederöst. Gewerbe-Vereines und dann abermals am 5. März 1927 im Architektenvereinssaal Günthers berühmte „Trost-Aria“ vorgetragen. Meine Lieblingsverse dort lauten: „Endlich macht die Sclaverey / Den gefangnen Joseph frey“, und: „Endlich macht die Zeit den Saul / Zur Verfolgung schwach und faul.“
Am 14. April 2011 um 10:23 Uhr
1921? 1927? Und danach? Heute?
Am 14. April 2011 um 10:35 Uhr
Genau, und wer ist gleich noch mal dieser Karl Krauss? So, mit zwei Mal s, schrieb ihn ja Piscator mal falsch, woraufhin Kraus meinte, das zweite s passe zu ›Piscator‹ viel besser, hehe.