Die Wurzelbürste in der deutschen Literatur

Berlin, 25. Februar 2011, 08:05 | von Josik

Ich beschäftige mich ja gerade mit der Wurzelbürste in der deutschen Literatur, da kam mir ein Text sehr zupass, den ich letzten Samstag in der FAZ gelesen habe. Und zwar durfte Berthold Kohler, einer der FAZ-Herausgeber, als einziger Journalist überhaupt Guttenberg auf seiner Reise nach Afghanistan begleiten.

Warum Kohlers literarisch hochambitionierter Text- und Bild-Essay allerdings im Politikteil statt im Feuilleton erschienen ist, wo er eigent­lich hingehört hätte, lässt sich nur damit erklären, dass sich dort gerade Thilo Sarrazin und Patrick Bahners ausgiebigst beharkten.

Aber zurück zu Kohler: Seinen Essay lässt er in einem dem Topseller des 19. Jahrhunderts nachempfundenen Tonfall beginnen, den »Schwarzwälder Dorfgeschichten« seines Vornamensvetters Auerbach:

»Ein Bauer pflügt mit einem Ochsengespann sein Feld, Meter um Meter, Furche um Furche. Ein Mopedfahrer knattert mit flatterndem Gewand vorbei. Von Osten her tippelt eine Gruppe verschleierter Frauen heran. In der Luft liegt ein Hauch von Frühling. Wo, bitte, ist hier der Krieg? (…) Der Krieg hat nur pausiert im Winter, um Luft zu holen für das Frühjahr und den Sommer. Auf den staubigen Hügeln zeigt sich schon ein erster Schimmer von Grün.«

Doch dann kommt die fulminante Volte: »15 Mann in einer schwer befestigten Stellung, die an Ernst Jüngers Beschreibungen der Gräben und Unterstände im Ersten Weltkrieg erinnert, (verteidigen) Deutsch­land am Hindukusch (…), wo Guttenberg am Donnerstag noch die Hühnerzucht eines weiblichen Oberfeldwebels besichtigte«!

Hier gelingt Kohler sozusagen die Legierung des frühen 20. Jahrhun­derts mit dem frühen 21. Jahrhundert, also mit dem berühmten Deutschland-muss-am-Hindukusch-verteidigt-werden-Spruch des Alt-68ers und Guttenberg-Vorvorgängers Peter Struck, der wie der unbekannte Afghane bekennender Mopedfahrer ist und wie Gutten­berg in Jura promoviert hat, allerdings über ein viel stylisheres Thema: »Jugenddelinquenz und Alkohol. Ein Beitrag zur Persönlichkeit des Alkoholtäters. Vergleichende kriminologische Untersuchung an 436 jugendlichen und heranwachsenden Hamburger Straftätern der Jahre 1968 und 1969«.

Schon bei Ernst Jünger geistert ja der Alkohol durch die Seiten, dass es dem Fass den Boden ausschlägt: »Reichlich verteilt wurde ein blass­roter Schnaps, der in Kochgeschirrdeckeln empfangen wurde und stark nach Spiritus schmeckte, doch bei der kalten und feuchten Witterung nicht zu verachten war.« (Seite 15) »Wir aßen kräftig und ließen die Flasche mit ›Achtundneunzigprozentigem‹ rundgehen.« (Seite 188) Usw.

Ziemlich überraschend stellt Kohler dann aber einen weiteren inter­textuellen Bezug her: »Ein großes rotes Licht, das über der Festung regelmäßig in der Finsternis aufflammt, verwischt weiter die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, zwischen Taliban-Country und Tolkien

Da Kohler der einzige Medienvertreter überhaupt war, der Guttenberg begleiten durfte, scheint er auch keinen Fotografen dabeigehabt zu haben (die Bilder sind alle »© Berthold Kohler, F.A.Z.«). So ist Kohler selbst offenbar auch nirgends mit abgebildet, aber immerhin kann man auf einem der Bilder erkennen, dass der dritte von rechts, der im Tropentarn mit dem Rücken zum Betrachter steht, den ersten von links fotografiert, der wiederum den Fotografen fotografiert, so dass die ganze Versuchsanordnung wirkt, als habe der Fotograf, also vermutlich Berthold Kohler, mal eine von Thomas Kapielski im Buch »Sozial­manierismus« beschriebene Versuchsanordnung imitieren wollen:

»ich fotografierte (…) einen Menschen, der fotografiert. (…) Mehr noch: ich stehe in einem Ring der apostolischen Sukzession von Fotografen die Fotografen fotografieren, denn ich fotografierte den hier abgebildeten Fotografen, während dieser seinerseits einen Fotografen fotografierte, der wiederum (…) mich fotografierte! Die Mindestzahl an Teilnehmern bei einer solchen Kreisesbildung ist Drei, nach oben aber offen bis unendlich, sofern unendlich viele Fotografen vorhanden wären, was unwahrscheinlich, aber denkbar ist. (…) So fotografiert in der sukzessiven Reihe also jeder Fotograf einen Fotografen, der beim Fotografieren eines Fotografen nicht bemerkt, dass er seinerseits von einem Fotografen fotografiert wird«. (Seite 169f.)

Nach Jünger, Tolkien und Kapielski kommt die beste literarische Anspielung freilich erst zum Schluss des Essays, als Guttenberg schon wieder nach Deutschland zurückgeflogen ist: »Er hat, als er ins Kanzleramt eilt, noch die Montur an, die er im Feldlager trug. Der Schlamm Afghanistans, der an den Stiefeln hängt, ist zäh, aber einer deutschen Wurzelbürste nicht gewachsen

Der mit Wurzelbürstenborsten hantierende Guttenberg’sche Stiefel­putzer, der hier vor dem geistigen Auge aufscheint, erinnert an jenen berühmten Ich-Erzähler, der (auf Seite 41) sagt:

»ich weiß noch, dass mir damals in der Kasematte von Breendonk ein ekelhafter Schmierseifengeruch in die Nase stieg, dass dieser Geruch sich, an einer irren Stelle in meinem Kopf, mit dem mir immer zuwider gewesenen und vom Vater mit Vorliebe gebrauchten Wort ›Wurzelbürste‹ verband«.

Wenn in Zukunft von der Wurzelbürste in der deutschsprachigen Literatur die Rede ist, müssen neben dem Grimm’schen Wörterbuch und W. G. Sebald auch Berthold Kohler und Karl-Theodor zu Guttenberg erwähnt werden.
 

Eine Reaktion zu “Die Wurzelbürste in der deutschen Literatur”

  1. Gregor Keuschnig

    Man sieht sie schon: Die Konservatoren, die den getrockneten Schlamm an den Schuhen des Verteidigungsministers mit entsprechendem Gerät abkratzen, tatort-gemäss in ein Plastiktütchen auffangen und für das Haus der Geschichte aufbereiten. Nicht weit weg von Kohls Krim-Pollunder und Jens Lehmanns Elfmeter-Zettel.

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