Lost: 6. Staffel, 1. und 2. Folge

Paris, 25. Februar 2010, 08:00 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »LA X (Parts 1 + 2)«
Episode Number: 6.01+02 (#103+#104)
First Aired: February 2, 2010 (Tuesday)
Deutscher Titel: »Los Angeles (Teil 1 + 2)« (EA 17./24. 3. 2010)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

»Lost«, 6. Staffel, wir sind ein bisschen hinterher, auf geht’s.

Das Gute zuerst: Gleich zu Beginn dieser initialen Doppelfolge wird ein alternativer Zeitstrang eingeführt, diesmal ganz ohne Weißflash-Orgien. Auf dieser zusätzlichen Erzählebene stürzt der Flug Oceanic 815 nicht ab und kommt demzufolge also im September 2004 wohlbehalten in L.A. an, vielleicht als Ergebnis der Jughead-Explosion am Ende von Staffel 5. (Die Spiegel-Online-Recapper nennen es die »Nicht-Absturz-Welt«, diese Bezeichnung übernehme ich mal.)

Trotzdem läuft natürlich der 2007er Zeitstrang auch weiter, und da kommt mit dem Temple eine neue Insel-Location dazu, neue Klischeecharaktere, neues mystisches Geraune und Getue, und außerdem wird dort weiter am mythologischen Überbau gearbeitet (Jacob vs. böser Erzfeind).

Vor lauter Enträtselungssucht scheint den meisten zu entgehen, wie bescheuert sich auf dieser Ebene Plot und Charaktere entwickelt haben. Jack hat alle paar Minuten dieses angepisste Überraschungs­grinslachen im Gesicht. Ben ist vom coolen Machtbolzen zum Lutscher geworden, der nur noch blöd in den Kulissen herumlungert. Sawyer ist vom Slanger und Checker zum romantischen Vollpfosten abgestiegen. Mit andern Worten: Diesen ganzen Zeitreisemist der Vorgängerstaffel haben die Figuren nicht gut überstanden.

Unter den neu eingeführten Charakteren sticht sofort dieser nicht Englisch sprechen wollende Japaner hervor (wir werden erst am Ende von Folge 3 erfahren, dass er sich Dogen nennt). Der ist von Anfang an eine auf Big Mystery machende Klischeefigur à la »Lost«. Allein dieser kaftanartige Umhang, den er trägt und der aussieht wie eine billige Longjacke von Quelle. Dogen ist irgendwie der Häuptling einer versprengten Others-Gruppe, die im Temple residiert. Nebenbei, dieser Bau sieht aus wie eine Maya-Pyramide für Arme und wirkt so billig zusammengeklebt wie damals das Pappmaché-Drehrad, mit dem Ben die Insel hat verschwinden lassen.

Der »Lost«-Stil scheint endgültig an sein kreatives Ende gekommen zu sein. Schon 150 Mal wurde in der Serie jemand im Dschungel abgegriffen und irgendwohin abgeführt. Und das geht einfach so weiter. Dann finden durch diverse Umgruppierungen Leute wieder zusammen und fragen sich gegenseitig, wo sie gewesen sind, erhalten als Antwort dann aber nie mehr als irgendwelche ungenauen Mystikkommentare. Das, liebe Freunde, ist die totale ERZÄHLHÖLLE. Und man will gar nicht mehr darüber nachdenken, welche Pfeile am Figuren-Reißbrett wohin gezogen worden sind von den Autoren, um einerseits das Serienende eine weitere Staffel lang hinauszuzögern und die Serie dann andererseits irgendwie doch noch zu Ende zu schaukeln.

Aber der Reihe nach: drei Schauplätze, zwei Zeitebenen.

1. – Flugzeug und Flughafen, September 2004

In der Nicht-Absturz-Welt wird Oceanic 815 zwar von irgendeiner Luftwelle erfasst, aber es geht alles gut. Die »Lost«-Insel wird reibungslos überflogen, und das wissen wir so genau, weil die Kamera kurz auf Tauchfahrt geht, durch die Wolken hinab und bis auf den Meeresgrund hinunter, wo ein vom Wasser verschlucktes Dharma-Dorf durchflogen wird bis hin zum ebenfalls unter Wasser befindlichen vierzehigen Statutenfuß. Nicht so schlecht, das sieht dann gleich wie eine Atlantis-Story aus, mal sehen.

Ansonsten hat Jack an Bord einen kurzen Chat mit der Stewardess Cindy, die wir nachher auch auf der Insel unter einer Abordnung der Others wiedertreffen. Außerdem begegnet Jack noch kurz Desmond (»Do I know you from somwhere?«), der ja zeitgleich eigentlich einen Button im Hatch zu drücken hat. Und es gibt ein Wiedersehen mit dem am Ende von Staffel 3 abgesoffenen Charlie, der jetzt hier im Flugzeug bewusstlos auf der Toilette liegt und von Jack gerettet wird.

Irgendwann landet Oceanic 815 ganz normal in L.A., eine nachdenkliche-süß-saure Happy-End-Melodie setzt ein, alles wird in Zeitlupe getaucht.

Im zweiten Teil der Doppelfolge geht es im L.A.-Plot dann vor allem um Kates Flucht. Es gelingt ihr, den Marshal loszuwerden, sie klaubt sich noch seine Pistole und wuuuuush, weg ist sie. Sie flieht weiter in ein Taxi, wo neben ihr dann die schwangere Claire sitzt. Ansonsten ist nicht viel los auf dem Flughafen: Der Sarg von Jacks Vater ist abhanden gekommen. Der wartende Jack verfängt sich in ein Gespräch mit Locke und gibt ihm seine Visitenkarte mit Aussicht auf Hilfe für den Querschnittsgelähmten (»Nothing is irreversible!«).

2. – Auf der Insel, nach Jacks Atombombenabwurf

Falls der weiß aufgeblendete Bildschirm am Ende von Staffel 5 einer Detonation gleichzusetzen ist, dann war das eine physikalisch recht merkwürdige Angelegenheit. Denn der Stammcast liegt lediglich bewusstlos irgendwo im Dschungelgras herum und versammelt sich jetzt wieder, als sei nichts geschehen (Kate, Jin, Jack, Sawyer, Miles, später kommen Hurley und Sayid dazu). Sie finden dann auch noch die Überreste des zerstörten Swan-Hatch, der nach dem Atombomben-Incident im Jahr 1977 eigentlich gar nicht hätte gebaut werden dürfen.

Die an Goethes »Wahlverwandtschaften« angelehnte Vierecksstory zwischen Juliet, Sawyer, Kate und Jack wird auf die nächste Ebene gewuchtet. Sawyer ist jetzt nämlich sehr sauer auf Jack, weil er Juliet auf dem Gewissen habe. Noch aber ist Hoffnung, eifrig graben die gebeutelten Lostianer einem leisen Wimmern entgegen, und tatsächlich, Juliet ist blutüberströmt, wie sich das nach einem Sturz in den Brunnen und einer kurz darauf folgenden Atombombenexplosion gehört, hehe, lebt aber noch so ein bisschen.

Die Schreiber wollten hier ganz offensichtlich noch mal die unaushaltbar emotionale Abschiedsszene vom Ende der 5. Staffel wachrufen, die kam bei den Fans ja supergut an (cf. noch mal das sablog). Juliet und Sawyer knutschen jedenfalls, blutverschmiert und schweißgebadet, Kate schaut zu, Jack schaut zu, alle schauen zu. Dann stirbt Juliet doch noch, ca. eine Sekunde, bevor sie Sawyer noch etwas Ultrawichtiges sagen kann. Der saure Sawyer zu Jack: »You did this!«

Nachdem Sawyer Juliet begraben hat, sucht er die Nähe zu Miles, der ja auch als Transmitter für Nachrichten von Toten arbeitet. Er horcht ins Grab hinein: »It worked!«, das wollte Juliet noch gesagt haben kurz vor ihrem Tod. »What worked?«, will Sawyer wissen, und wir mit ihm, aber statt Miles weiter zu befragen, macht sich Sawyer von dannen, wie logisch!

Irgendwo um die Ecke hat die Kamera wieder mal ein wenig tiefgrünes Inselgras eingefangen, bis aus dem Nichts Jacob erscheint und Hurley um ein kurzes Gespräch bittet. Jacob, eigentlich ja von Ben ordnungs­gemäß gekillt und danach verbrannt, gibt hier, sicher nicht zum letzten Mal, den Deus ex machina und spornt Hurley mit wichtigen Anweisun­gen an. Außer Hurley könne ihn übrigens keiner sehen, meint Jacob noch, »because I died an hour ago«. Dieser Satz ist mindestens genauso schlecht wie Faradays einstiges »I’m from the future!« in Folge 5.14. Wie auch immer, Hurley soll Sayid zum Temple bringen, und die anderen, bis auf Sawyer und Miles, begleiten ihn selbstverständlich, Jin weiß, wo’s langgeht.

Sie erreichen ein altbekanntes Gemäuer mit einem Loch darin und steigen hinab. Im ersten Raum finden sie einen der toten Franzosen (Opfer des Rauchmonsterviechs), sie schütten einen Proviantsack aus, ein Buch von Kierkegaard ist darin, »Crainte et tremblement«, mal wieder das typische pseudointellektuelle Namedropping der »Lost«-Autoren. (Ist übrigens ein schönes kleines 100-Seiten-Buch, das wir auch in unseren Kanon der schönen kleinen 100-Seiten-Bücher aufgenommen haben.)

Während die Lostianer die unterirdischen Gänge durchforsten, werden sie wieder mal überfallen, nach draußen geführt und at gunpoint gehalten. Eine wieder neue Abteilung Waffennarren führt sie rüber zum Temple. Die dort dann dazueilenden Tempelritter haben auch die Stewardess Cindy unter sich, die ihren unfreundlichen Kompagnons mitteilt, dass die Neuankömmlinge aus dem »first plane« stammen, wie sie selber auch. Wie Cindy zu dieser Others-Abteilung gelangt ist, keine Ahnung.

Jedenfalls tritt als Anführer dieser Dogen auf und befiehlt die sofortige Erschießung aller Aufgegriffenen. Darauf Hurley: »Jacob sent us!« Und das ist die Rettung, das Zauberwort, allerdings nur gepaart mit dem Addendum: »He gave me that guitar case!« Im Gitarrenkoffer findet sich ein großes hölzernes Anch-Kreuz, vor dem sich der Japaner kurz verbeugt, bevor er es über dem Knie zerbricht und ihm einen Zettel entnimmt. Sayid muss gerettet werden! Das steht da angeblich. Sonst seien alle seriously fucked, auch die Tempelritter.

Im Inneren des Temples gibt es einen riesigen Whirlpool. Dogen schneidet sich die Hand auf und hält sie blutig ins Wasser. Danach wird Sayid gebadet, eine Art Mikwe vielleicht, aber dann sieht es doch nach klassischer Ersäufung aus, und dann scheint er auch tatsächlich abgenippelt zu sein.

Etwas später gibt Dogen dann den Klischeejapaner, der in seinen Privatgewölben seine Pflanzen zurechtschneidet. Hurley wird zu ihm gebracht und wundert sich, warum Dogen zwar Englisch versteht, es aber nicht spricht. Darauf eine coole Antwort: »I don’t like the way English tastes on my tongue!« Hurley verklickert Dogen und seinem Dolmetscher, dass Jacob tot sei, und sofort ist Action im Bienenstock! Eine rote Signalrakete wird abgesetzt, »to keep him out«, und da raten wir mal, wer das sein wird.

Als Cliffhanger der Doppelfolge gibt es einen von den Toten auferstehenden Sayid, der mit ultrabläädem Gesichtsausdruck fragt: »What happened?«

3. – Auf der Insel, am Strand beim Statuenrest

Und noch ein Schauplatz: Im Bunker unter dem Statuenrest hängen der Fake-Locke und ein konsternierter Ben herum, der mit seinem Mord an Jacob hadert: »Why didn’t he fight back?!« Draußen sieht Ben den Leichnam des echten Locke und tut verständnislos. Statt wie befohlen Richard mitzubringen, wird Ben von ein paar Gewehrleuten zurück in diese Bunkersituation gestoßen. Es sind Jacob-Leute, die auf den falschen Locke zu schießen beginnen, der aber irgendwann einfach weg ist und als Rauchmonster samt Klapperschlangengeräusch zurückgesaust kommt.

Jedenfalls schleudert das Black Smoke Monster die Jacob-Leute ein paar Mal um ihre eigenen Gedärme. Einer kann sich retten durch einen Kreis, den er um sich zieht, aber dann fällt er um, der arme Kerl, und wird vom Monster malträtiert. Richtig schlimm ist dann die Deutlichkeit, die dem Geschehen aufgepfropft wird. Der Fake-Locke sagt zu Ben, der das alles beobachtet hat: »Sorry you had to see me like that.« Man muss diese Aussage mal auf Deutsch hier hinschreiben, um den Horror der Explizitheit, der hier sicher noch nicht seinen Gipfel erreicht hat, nachzuvollziehen: »Äh, tschuldige, dass ich mich grad in ein Rauchmonster verwandeln und diese Typen durch die Luft schleudern musste, kommt nicht wieder vor.«

Im zweiten Teil der Folge äußert der Fake-Locke gegenüber Ben dann seinen dringlichsten Wunsch: »I want to go home!« Er ist also wahrscheinlich so eine Art E.T. des 21. Jahrhunderts, hehe. Aber egal, draußen sehen die Others um Richard die rote Signalrakete. Fake-Locke kommt dann aus dieser Bunkerhalle stolziert, haut Richard ordentlich zusammen, schultert ihn und trägt ihn davon. »I’m very disappointed, in all of you!«, schreit er der Strand-Crowd noch zu.

Soweit, Recap zur dritten Folge kommt morgen.

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