Die Wahrheit über Joachim Lottmann

Dresden, 8. Dezember 2008, 10:30 | von Paco

Die sicherste Weise, einen Stammplatz in der Literaturgeschichte abzukriegen, ist, sich mit allen Mitteln unumkehrbar mit dem Namen des größten lebenden Dichters aller Zeiten zu verknüpfen. Früher schrieb man irgendeinen belanglosen Brief an Goethe – dann wird man noch hunderte Jahre später mindestens in einer Regestausgabe namentlich erwähnt. Und, anderes Beispiel, Karl Ludwig Sand hat Kotzebue ermordet – das reicht immer noch für jedes mittlere literaturgeschichtliche Kompendium. Usw.

Und Joachim Lottmann hat als Erster überhaupt erkannt, dass Rainald Goetz, zumindest in den Jahren 2001 bis 2006, in denen er durch Nichtveröffentlichung hervortrat (ein performativer Akt, der unbedingt zum Œuvre zu rechnen ist), der Goethe unserer Zeit war. Schon vorher hatte Lottmann kaum einen Text geschrieben, ohne Goetz zu erwähnen, und das setzte er systematisch fort (zuletzt hier, hier, hier). Es hat ganz sicher funktioniert: Keine Literaturgeschichte wird je über Goetz sprechen können, ohne »Die Goetz-Rezeption bei Joachim Lottmann« unerwähnt zu lassen.

Doch dann passierte etwas. Unabhängig davon war Lottmann so eine Art guter Schriftsteller geworden, einige sagen sogar: sehr guter. Dabei hatte ihn die »Literarische Welt« ihren Lesern noch im Jahr 2003 als »Jürgen Lottmann« vorgestellt (und sich dafür entschuldigt). Die Namensvariante scheint sich allerdings langsam durchzusetzen (DeutschlandRadio Berlin, literaturkritik.de, Tivoli-Blog und noch mal die »Welt«) und zur Popularität des Autors beizutragen.

Denn spätestens seit 2004, 2005 oder 2006 wird Lottmann – vorerst noch in nicht-öffentlichen Gremien – der Klassikerstatus zugesprochen. Und Goetz musste das mitbekommen haben. Nachdem er Lottmann in »Abfall für alle« (1998/99) nur kurz und relativ negativ erwähnt hatte, kam er nun in seinem Vanity-Fair-Projekt »Klage« (2007/08) mehrfach auf ihn zu sprechen. Jedes Lottmann-Kapitel in jeder durchschnittlichen Literaturgeschichte wird nun umgekehrt auch Goetz mit nennen müssen, als Teilnehmer an der »Frühgeschichte der Lottmann-Rezeption in Europa«.

Doch dabei bleibt es nicht. In diesen Wochen und Monaten, wir alle spüren es, ist einer dieser schwer erklärbaren literaturgeschicht­lichen Synergieeffekte am Werk.

Goethe und Schiller. Grass und Walser. Goetz und Lottmann.

8 Reaktionen zu “Die Wahrheit über Joachim Lottmann”

  1. rp__

    „… kam er nun in seinem Vanity-Fair-Projekt »Klage« (2007/08) mehrfach auf ihn zu sprechen“ …

    Nö, der Gag war doch, dass Rainald Goetz nicht nur auf Lottmann „zu sprechen“ kam, sondern eine Appropriation versucht hat: Der Ton wechselte im „Klage“-Blog plötzlich zum ausufernden Lottmann-Sermon. Goetz ging sozusagen mit dem anderen Schreibstil fremd – und hat dies wiederum inhaltlich verarbeitet, indem er sein lyrisches „Klage“-Ich (wenn ich mich richtig erinnere) mit Lottmans Ex eine Affäre haben ließ, d. h. mit der fiktionalen Version der Frau aus den Romanen. Ein hübsches Verfahren, um Lottmanns Vertextung seiner selbst und seiner Umwelt mal vorzuführen.

  2. Paco

    ja klar, rp, das wissen wir ja alle. dir ist da sicher die systematische untertreibung dieses beitrags entgangen, deswegen nämlich heißt es »kam … zu sprechen«. in wirklichkeit ist alles noch viel schlimmer.

  3. Dorin Popa

    Mein Gott, ich habe Lottmann in zwei von drei Blogeinträgen verjürgent. Danke für den Korrekturhinweis!

  4. Paco

    @dorin: »verjürgent«, sehr gut. aber zu einer voreiligen korrektur besteht kein anlass. wie auch immer alles zusammenhängt, die zahlen sprechen für sich, in den neuauflagen der literaturlexika ist ein nebenlemma à la tucholsky (»auch: peter panter«) fällig.

  5. Gregor Keuschnig

    Ich glaube, es handelt sich in Wirklichkeit um eine perfide Marketingstrategie, die beide (Goetz und Lottmann) da betreiben und füreinander schleichwerben.

    (Der Gedanke kam mir, weil ich neulich im tagesschau.blog las, die Statements der Politiker in den Nachrichtensendungen seien „Schleichwerbungen“ für die entsprechenden Parteien. Ich würde sie zwar eher als „Schleichabschreckungen“ sehen, aber…)

  6. Adèle

    der Blick ist das entscheidened: warum nicht eine Liebesgeschichte darin sehen? Natürlich liebt Joachim – ein guter Schreiber – den Goetz – ein guter Denker, Erkennender und Schreiber. So dreht sich die Welt – manche nennen das Schleichwerbung, manche Liebe. da kann man sich entscheiden. Im Grunde ist es Geflimmer von verschiedenen Informationen.

  7. Gregor Keuschnig

    @Adèle
    Welchen Goetz meinen Sie mit Ihrer Charakterisierung?

    (Okay, es ist eine rhetorische Frage. Aber ich konnte nicht widerstehen. Pardon.)

  8. Rainald Goetz über „radikalen Feuilletonismus“

    […] knapp gehalten. 2008 wurde ich schon mal vom Umblätterer getadelt – wegen einer schlaumeieristischen Bemerkung zu einem Beitrag über das Scharmützel zwischen Rainald Goetz und Joachim Lottmann, das […]

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