Die große Oliver-Gehrs-Nacht

Leipzig, 23. August 2007, 06:23 | von Paco

Fast kein Mensch kennt WatchBerlin, und wer das da ist und was die da machen, scheint auch noch so ein Geheimnis zu sein, obwohl die Karten gut erkennbar auf dem Tisch liegen. Es ist mit Sicherheit kein neues 08/15-Videoportal nach dem youtube-sevenload-myvideo-Schema.

Die dort redaktionell betreuten Videoblogger sind die zurzeit besten Videoblogger around, das kann man ganz ohne Übertreibung mal hier hinschreiben, die Mischung ist rund und spicy, auch ein paar Duschbeutel sind dabei, aber die gehen schön unter.

Von Henryk M. Broder erscheint leider viel zu selten etwas Neues. Wenn man Harald Martenstein zuhört, weiß man endlich, dass man seine fetzigen Kolumnen langsam und bedächtig lesen muss, so wie er selber eben spricht, wenn er in seiner Küche vor der WatchBerlin-Kamera spricht.

Volker Weidermann bereitet sich in seiner schönen Videokolumne »Book.Book« hoffentlich auf Einsätze im Fernsehen vor, er wäre eine schöne Bereicherung zu den mittlerweile fast einzigen Buchmenschen im deutschen TV, Thea Dorn, Elke Heidenreich und Denis Scheck.

Und dann ist da noch die Rubrik »Blattschuss!«, in der Oliver Gehrs seit dem 30. April jeden Montag den neuen »Spiegel« kurz bespricht. Das ist so gut und so unterhaltsam, dass es im Prinzip auch ohne Kenntnis des kritisierten Gegenstands funktioniert.

Die 16 bisher geuploadeten Folgen ergeben bei einer durchschnittlichen Länge von 3 bis 5 Minuten einen kürzeren Spielfilm, und daher haben wir gestern Abend »Die große Oliver-Gehrs-Nacht« veranstaltet, im Bunkerkino im zweiten Stock.

Die Mädels waren hin und weg. Und das wöchentliche Verschwinden und Wiederauftauchen des Gehrs’schen 7-Tage-Barts war vielen schon Schauwert genug.

Das Kunststück von Gehrs ist es, immer grundsympathisch zu bleiben, obwohl er ja zuweilen recht beckmesserisch über das beste Magazin der Welt (so weit kann man immer mal wieder gehen) räsonniert, während die Handkamera um ihn herumtänzelt. Das könnte pedantisch bzw. total bescheuert wirken, tut es aber nicht.

Das Tolle ist ja, dass man sich über den »Spiegel« anders aufregt, als etwa über die »Bild«. Da haben Bezeichnungen wie »bodenlose Dämlichkeit« und »reinster Schrott«, die aus dem aktuellen Beitrag über die Titelstory »Europas coole Städte« stammen, noch eine unterscheidende Aussagekraft.

Gehrs lobt nämlich auch, meist zurecht, und dann plauzt eine »Spiegel«-Begeisterung aus ihm heraus, die jeder langjährige Leser kennt und die sofort ansteckt und besser wirkt als jeder Werbespot und jeder Titelbild-Aufsteller.

Trotz einiger Resonanz in der Blogosphäre – ganz vorn in der Gehrs-Berichterstattung liegt übrigens der popkulturjunkie Jens Schröder – fallen die Klickzahlen unverständlicherweise eher gering aus (immer so knapp oder auch mal etwas deutlicher über 1000). Immerhin habe ich im Institut schon mehrfach den Gehrs-Begrüßungstext »Hallo, liebe Zielgruppe« gehört, die Popularisierung schreitet also voran.

7 Reaktionen zu “Die große Oliver-Gehrs-Nacht”

  1. Wolfgang Hömig-Groß

    Auch ich hatte schon öfter mal die Idee, dass der Spiegel diese Beiträge exzellent als Werbung einsetzen könnte – trotz oder gerade wegen der kritischen Elemente. Wäre bestimmt mächtig viral!
    Und ansonsten gebe ich dir was watch.berlin betrifft völlig recht. Wenn ich einmal damit anfange, ist der Tag meist gelaufen, weil ich nicht wieder davon wegkomme. Auch immer sehr nett, ist jemand, den du nicht explizit erwähnt hast: Friedman. Im Fernsehen fand ich ihn immer arrogant und eklig, hier sagt er sehr schöne und gut durchdachte Sachen.

  2. Paco

    Ja, die Friedman-Sachen sehe ich auch immer an, wenn es was Neues gibt, ich fand den auch in seinen TV-Sendungen schon outstanding, gerade weil das so grenzwertige Moderationen und Interviews waren, aber wo hat man so eine Direktheit heute noch, dass man staendig glaubt, sich verhoert zu haben. Und dann hat er das doch wirklich alles gerade gesagt bzw. gefragt.

  3. Torsten Franz

    „Hallo, liebe Zielgruppe“
    Hat das nicht immer Dieter Mohr im Vox Medienmagazin „Canale Grande“ als Begrüßungsfloskel verwendet?

  4. Paco

    Good golly, in der Tat, ist das eine bewusste Hommage von Oli Gehrs? Ich selber hab Canale Grande nie gesehn, und das zeigt mir auch mal wieder schmerzlich, dass ich dir als Serien- und Medienjunkie immer nur hinterherhecheln kann. Man muss ja *alles* kucken, und da hab ich es einfach noch weit. ;-)

  5. Marcuccio

    Watch-Berlin-Greenhorn vom Bodensee meldet: Gehrs Begrüßungsformel ist wirklich Reminiszenz, sozusagen eine aktive Leihnahme auf Zeit, aber schaut selbst: In seinem noch nicht SPIEGEL-exklusiven Frühwerk »Bei Anruf Sex« redet er Tacheles.

  6. Paco

    Faque! Das hatten wir in der Setlist unserer Grossen Oliver-Gehrs-Nacht nicht mit drin, da es noch nicht unter „Blattschuss!“ lief. Anyway, Hommages sind etwas Hervorragendes, vor allem wenn sie keiner als solche erkennt, dann kommen sie nicht so schleimig rueber, hehe.

  7. Mathias Richel

    Ich möchte mich als Projektleiter und im Namen der gesamten Redaktion für Kritik und lobende Worte bedanken und schon einmal ein wenig Ihr Interesse für unseren Relaunch wecken.

    Am 31.10.2007 ist es soweit.

    Mit besten Grüßen
    Mathias Richel

Einen Kommentar schreiben