Gut gemalt

Leipzig, 20. Juli 2007, 21:07 | von Paco

SL-IconDie Dresdner Gemäldegalerie »Alte Meister« kann man ja seit gut zwei Monaten im Second Life re:visit:en. Da lohnen sich das Booten von Windows und der Klick auf das SL-Icon endlich mal wieder, trotz des zu Recht nachlassenden Hypes.

Das ist gleichzeitig eine gute Gelegenheit, um von einem Initialerlebnis des Umblätterers zu erzählen, auf das immer mal wieder verwiesen werden wird. Es geht um die Hybris der Kritik: im Prinzip ein Verbrechen, das wir alle ständig begehen, indem wir uns über Kunst und Literatur äußern.

Irgendwann im Jahr 2003, also nach der Flut und der Wiedereröffnung. Austin, Dique und ich im Semperschen Museumsbau am Zwinger. Nach dem Treppenaufgang gingen wir schnell noch die Canaletto-Galerie ab …

Canaletto-Galerie

… und wollten dann, dem natürlichen Linksdrall folgend sozusagen automatisch in der Parmigianino-Ecke in Saal 118 landen. Von ganz weit hinten schimmerte schon die Sixtinische Madonna so halb durch die Saaltüren. Drei Säle vor unserem Ziel hielten wir aber an, denn …

Rubens: Der trunkene Herkules

… vor dem Rubensbild mit dem trunkenen Herkules (1613/14) stand eine Touristengruppe, zu der ein Mann sprach: Der dunkelblaue Museumsführer (M.F.) bemühte sich in seinem jovial-kernigen Dresden-Idiom um die Kunst der äußersten Verknappung. Er verglich das Gemälde mit seiner Werkstatt-Kopie, die unwesentlich später entstand und im selben Saal genau gegenüber hängt. Er zeigte auf verschiedene Stellen des Bildes und sagte:

»Und wenn Sie mal kucken, hier und da, und dort und dort, das ist auch gut gemalt.«

Gut gemalt! Das hatte er in vollem Ernst gesagt, und wir sahen uns an und empfanden diesen Satz gleichermaßen als einen absoluten Hammer. Gut gemalt! Sagte da dieser M.F. über das Rubensbild, das war einfach nur geil.

Eigentlich folgte der M.F. damit nur der Tradition, die dazu geführt hat, dass Rubens nun mal in Museen hängt und für ›gut‹ gehalten wird. Und das haut er jetzt eben einfach noch mal raus. Gleichzeitig gibt er den Touristen einen Happen stark reduzierter Kunstkritik mit auf den Weg: Statt Pinselstrich und Farbauftrag zu erläutern, fasst er einfach mal alles zusammen (wie sonst nur Artoun Dilsizian und Elke Heidenreich).

Der Kommentar ist so herrlich vermessen. ›Gut gemalt‹, das ist eine unverantwortliche Bemerkung zu diesem Rubensbild (die nicht mal stimmt, hehe). Der Satz ist beliebig und unpräzise, und der M.F. hält ihn sicher sowieso für alle möglichen Bilder der Galerie parat.

So funktioniert das deutschsprachige Feuilleton im Grunde auch. Das ist das Skandalöse und Brauchbare an dieser Form der Kulturberichterstattung, diese Begrenztheit des Raumes und die dadurch unumgängliche Unterkomplexität, die etwa einen wie Gómez Dávila davon abhält, überhaupt Zeitung zu lesen.

Der Satz vom gut gemalten Bild schließt auf eine sympathische Weise die Vorstellung eines Werks ab. Das funktioniert natürlich auch als Verriss. Egal, Hauptsache, es geht irgendwie weiter. Es gibt zu viele gut gemalte Sachen auf der Welt, die eben vielleicht gerade nicht gut gemalt sind und von denen man sich sofort wegbegeben sollte zum nächsten gut gemalten Ding, Film, Buch, Artikel.

Und da standen wir dann vor den beiden Parmigianinos und es machte klick:

Parmigianino: Die Rosenmadonna und die Madonna mit dem Kind, dem Heiligen Stephan, dem Heiligen Johannes dem Täufer und dem Stifter

Usw.

2 Reaktionen zu “Gut gemalt”

  1. Horatiorama

    Sehr schön. *) Zum Thema „Nachlassender Hype“ fällt mir die Buchmessenbloggerlesung ein: „Wer von Ihnen hat SL schon einmal ausprobiert?“ Fünf Leute melden sich (von ca. 70). „Wer von Ihnen nutzt es immer noch?“ Niemand meldet sich. Man lacht. **) Die persönliche Note ist schön–wie neulich auch bei der Geschichte mit der Jacke. Schade, dass sich so etwas oder auch griesgrämige Museumswächter eben nicht im SL zutragen.

  2. Paco

    Das hat aber auch den schönen Nebeneffekt, dass das Museum komplett leer ist. Leider kann man innerhalb des Museumsbaus nicht fliegen, das haben die irgendwie abgestellt, aber man kann ja so halb rennen und endlich für Museumswettläufe trainieren – wie das im Louvre ja schon Tradition hat – ohne unbescholtene Avatare umrennen zu müssen.

    Der Louvre-Rekord aus diesem Godard-Film (« Bande à part ») stammte ja schon aus dem Jahr 1964, war also älter als der Weitsprungrekord von Beamon (1968). Und neulich in Bertoluccis »Dreamers« wurde er ja endlich gebrochen.

    Bis dann in den »Alten Meistern«.

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