Archiv des Themenkreises ›Musikmusik‹


Der »Baukasten-Tito« an der Leipziger Oper

Leipzig, 14. Februar 2008, 08:01 | von Austin

Erinnert sich noch jemand an die »Fraggles«? Da gab es die Doozer, diese kleinen Bauarbeiterwichte, die manisch Plexiglasstäbe verbaut haben, die dann die Fraggles ihrerseits aßen wie Salzstangen. Es hat sich jetzt die Frage geklärt, was die Doozer die letzten Jahre getrieben haben, als sie nicht mehr im Fernsehen mitspielen durften: Sie haben die Plexiglaskonstruktion für Mozarts »Clemenza di Tito« in Leipzig fabriziert.

La clemenza di Tito/Titus, Oper Leipzig

Sie hatten Zeit. Und sie haben immer noch sehr viel Energie. Also haben sie sehr, sehr groß gebaut. Ein wackliges Haus leider, aber dafür ein Haus mit mehreren Etagen. Und so verstellt nun ein unbespielbares Monstrum die Bühne, mit dem niemand so richtig etwas anzufangen weiß.

So dass ersatzweise im Laufe des Abends, der als »Baukasten-Tito« Furore machen könnte, noch mehrere dieser setzkastenartigen Elemente vorgefahren werden. Das muss dann reichen an Action, denn ansonsten passiert nicht viel im 1. Akt. Szenisch nicht, und musikalisch leider auch nicht. Vitellia stolpert über ihr Kostüm, der Rest wirkt seltsam spannungslos.

Im 2. Akt dann Besserung bei allen Beteiligten. Das Gewandhaus hat über die Pause einen Sound gefunden, Kathrin »Sesto« Göring kriegt ihre Rolle respektabel in den Griff, zwei bis drei Ideen der Regie sorgen kurzzeitig für so etwas wie Atmosphäre auf der Szene.

Im Foyer sagt niemand etwas Despektierliches. In der Straßenbahn sitzt Herr Klotzy aus dem zweiten Stock. Versuche, ihn nicht zu sehen.


Jonas Kaufmann

Leipzig, 12. Februar 2008, 07:37 | von Austin

Die Jonas-Kaufmann-Wochen sind ausgebrochen im deutschen Feuilleton. Und schon allein das untergräbt die konsumkritische »Diese Marketing-Strategie machen wir nicht mit«-Haltung, die diese Artikel durchzieht. Ein Arien-Album ist erschienen, und Jonas Kaufmann sieht passabel aus – Kommerz! schreit das Feuilleton. Geil. Wie berechenbar ist das denn. Der Kulturbetrieb argwöhnt, mit einer neuen Anna Netrebko belästigt zu werden, und macht dann kräftig mit, sich auf das eine Kriterium zu stürzen, das offensichtlich dazu ausreicht: Aussehen. Ansonsten: Stille. Weiteres fachlich Relevantes wird letztlich nicht geliefert.

Kaum ist also Rolando Villazón dauerhafter abgemeldet, sucht man nach einem neuen Partner für die schuhschmeißende Netrebko. Der »Spiegel« hat dann neulich seinen Opern-Kisch Moritz von Uslar in die Spur geschickt (Ausgabe 3/2008, S. 132-133), und der fand eben dann offenbar Jonas Kaufmann und rief direkt gleich mal das »Kaufmann-Jahr« aus, was aber, Grüße an die PR, im Prinzip auch schon 2005, 2006 oder auch 2007 hätte ausgerufen werden können.

Hingegen wuchtet Axel Brüggemann in seinem Artikel »Auf der Tonleiter nach oben geschoben« in der von uns wie immer gefeierten vorletzten FAS (3. 2. 2008, S. 53) viele schöne Anekdoten aneinander, die man über jeden, der im Opernbetrieb halbwegs Erfolg hat, hören kann, wenn man nur lange und spät genug in der Kantine nachfragt.

Er gelangt dabei zu folgender Erkenntnis: Im Vergleich zu irgendwelchen (schuldigung, Fritz) Vorbildern »fehlt im offenbar (…) die Stimme«, es mangele ihm an »vokaler Kraft«. Und dann der ultimative Tiefschlag: »Bei Jonas Kaufmann klingt es ein bisschen, als habe er die CD wirklich unter der Dusche aufgenommen.« Herrliche Polemik, der wir nicht widersprechen wollen, wir behaupten nur das Gegenteil.

Und stellen zwei Fragen: Warum fällt man auf so ein klassikradiohaftes Best-of-Album herein, anstatt in den letzten Jahren, in denen es dazu mehr als reichlich Grund gegeben hätte, vernünftig über Kaufmann berichtet zu haben. Und ihn als eben doch talentierten Mozart- und Verdi-Tenor wahrzunehmen, der als Alfredo oder Rodolfo viele hinter sich lässt. Und das nicht nur gesanglich. Was uns zur zweiten Frage führt: Warum keiner diese Connaisseure den gerade in der Oper mehr als erwähnenswerten Aspekt erwähnt, dass J. K. einfach mal über ein mehr als nur überdurchschnittliches Schauspieltalent verfügt.

Im Hintergrund laufen übrigens gerade Kaufmanns Strauss-Lieder, wobei, Moment, die Nummer 3 (»Die Nacht« von Hermann von Gilm zu Rosenegg, was für ein Name) scheint gerade einen Sprung zu haben, mal nachschaun.


Im Gewandhaus: Dimitrij »Chailly« Kitajenko

Leipzig, 25. Januar 2008, 00:02 | von Austin

Bin also diese Woche überhaupt nicht mehr zum Kaffeeautomaten. »Na, wieder plötzlich Karten über für heute Abend?« Ja. Doch. Und auch heute Abend wieder konsequent selbst hingegangen zu den Einspringer-Wochen im Gewandhaus.

Der erste Eindruck heute: Ein Schlachtfeld. Alte Herrschaften belagern Tische im Foyer. Das Programm für die nächste Saison ist da. Das Gewühl gibt schlaglichtartig Blicke frei auf ältere Damen, die sich gleich fünf Broschüren in ihre Handtaschen laden. Eine davon treffe ich wieder, als sie mich fragt, mit Blick auf meine Jeans, ob der eine Anzug in der Reinigung sei.

Das Gewandhausorchester selbst setzt nahtlos dort an, wo es letzte Woche mit Dvořák aufgehört hat. Ansatzlos zieht Kitajenko die Streichereröffnung von Beethovens »Egmont«-Ouvertüre in die tiefsten Tiefen. Was für ein satter Sound. Und eisenhart dirigiert er weiter. Ein in Erz gegossenes Klangbild. Respekt. Was für ein Einstieg.

Und so geht es weiter in Beethovens 8. und Bruckners 4. Wunderfein, wenn ältere Dirigenten sich darauf verlassen können, sonnenklare Einsätze zu geben, die souverän den Klangfluss facettieren.

Die Lady auf dem Nachbarplatz hingegen – »eine Egmont-Ouvertüre ist doch kein Grund zum Jubeln« – setzt ihre eigenen Akzente mit conaisseurhaftem Gespür für die pianissimo-Passagen. Und sie ist nicht alleine. Idee für »Wetten, dass …?«: Erkennen Sie anhand des Auswurfs und der Röchler den Konzertsaal.

22.30 Uhr. Konzert vorbei. Ovationen für den Solo-Hornisten. Draußen regnet es. Warum das? Neben mir hustet jemand, ich weiche aus, und mein Blick fällt wieder auf Masurs Robotron-Digitalanzeige. Heute ist sie defekt.


Im Gewandhaus: Axel »Chailly« Kober

Leipzig, 19. Januar 2008, 08:30 | von Austin

Ich muss unbedingt die Karte loswerden. Gewandhaus, Riccardo Chailly, Mahlers Erste, Seitenrang. Eigentlich. Bis ich am Donnerstag mit der Straßenbahn am Gewandhaus vorbeifuhr, mein Blick streifte diese sicher noch von Masur eingeweihte Anzeigentafel in Robotrongrün: Heute und morgen Großes Concert, Dirigent Axel Kober. Schnell mit Opera Mini ins Netz. Chailly im Krankenhaus. Und Mahler war auch weg vom Plan.

Also: Weg mit den Karten. Im Institut Mail an alle, will jemand zu Chailly, ich kann kurzfristig nicht. Dann stehe ich beim Automatenespresso und lese in der S-Zeitung, wie Jossi Wieler und Sergio Morabito ihre Regiezusammenarbeit erklären (und die gute Frage von Jörg Königsdorf nicht erklären, warum nur in der Oper und nicht im Schauspiel).

Während ich noch hoffe, dass Wieler/Morabito nicht auch noch krank werden und meine »Maskenball«-Karte am 30. sinnlos machen, zieht das halbe Institut an mir vorbei, Seitenblick mit knapper Frage: Ist Chailly nicht krank? Die scheinen das irgendwie alle schon zu wissen. Mache den Stromberg und tue überrascht. Hilft nix, gehe nun doch selber hin.

Axel Kober, Notprogramm des Gewandhauses

Muss man dem Gewandhausorchester lassen: Edel gerettet.

Auf dem Rang genau mir gegenüber sitzt die Einlasserin, wie immer mit dem Rücken zum Orchester, den Blick voll auf den Mittelblock vor sich.

Idee für einen Film: Was diese Einlasserin alles nicht sieht, wenn sie starr in die Reihen schaut und aufpasst, ob nicht doch jemand stirbt in ihrem Block. Immer mittendrin, aber nie dabei. Tausend Konzerte gehört, aber Masur nie gesehen. Und Chailly auch nicht. Wie wir alle heute nicht, die wir stattdessen Axel »Chailly« Kober sehen – und hören, wie zwar am Anfang alles ein bisschen zur großen Oper wird als wär’s Verdis »Otello« im Dauersturm. Aber dann holen sie doch das gigantische Finale von Dvořáks Achter aus dem Handgelenk, als wär’s Alltag.

Und immerhin hören wir den sensationellen Benjamin Schmid, Violine. Und wie der dann die Zugabe ankündigt und in feinstem Wienerisch die Worte in den Saal fallen lässt: »Heinrich–Ignaz–Franz–Biber. Die Passacaglia.«

Zweiter Gedanke: dass man tatsächlich auch wienerisch Violine spielen kann. Dritter Gedanke: wieder mal nach Wien fahren, wieder mal ins Diglas.