100-Seiten-Bücher – Teil 107
Maurice Blanchot: »Das Todesurteil« (1948)

Düsseldorf, 28. Januar 2014, 19:50 | von Luisa

Unter hundert Hundertseitern muss natürlich auch einer sein, der sich verbirgt. Korrekte Sätze und trotzdem nicht zu entschlüsseln. Seitenlang schildert ein abwechselnd selbstgewisser und zaghafter Ich-Erzähler seine abrupten Begegnungen mit Frauen, und weil der Tod nahe und alles möglich ist (durch Wände gehen, sterben und wieder erwachen), wechselt die Geschichte (aber es gibt eigentlich keine) nach Belieben die Richtung. Doch trotz aller Wirrnis ist es ein sehr nützliches Buch. Es bietet eine Menge Sätze, die als Spickfäden die eigenen alltäglichen Gedanken deutlich upgraden können:

»Was spricht, ist die jetzige Minute und die, die darauf folgt.«

»Das Außerordentliche beginnt in dem Augenblick, wo ich aufhöre. Aber darüber zu sprechen, liegt nicht mehr in meiner Hand.«

»Wenn ich Romane schrieb, entstanden sie dann, wenn die Worte anfingen, vor der Wahrheit zurückzuschrecken.«

»Übrigens sah ich die Unschuld dieses Angebotes durchaus, aber ich sah das gespaltene Herz der Unschuld nicht.«

»Wer hat mich denn geblendet? Meine Klarsicht. Wer hat mich in die Irre geführt? Mein aufrechter Sinn.«

Das Buch erschien zuerst bei Suhrkamp, dann bei Urs Engeler, der auch die Auflagenhöhe hineindruckte: nur 500 Exemplare, erstaunlich. Dabei sind solche récits eine schöne Kurzkur, um von Familienromanen und Historienwälzern zu gesunden. Oder nachdem jemand auf tausend Seiten die Welt erklärt hat. Dann ist so eine Blanchot’sche Betäubung einfach eine Wohltat, vom ersten bis zum letzten Satz.

Länge des Buches: > 115.000 Zeichen. – Ausgaben:

Maurice Blanchot: Das Todesurteil. Aus dem Französischen von Jürg Laederach. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1990.

Maurice Blanchot: Das Todesurteil. Aus dem Französischen von Jürg Laederach. Frankfurt/M.: Basel; Weil am Rhein: Engeler 2007.

(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)

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