Mein Krüger

Düsseldorf, 11. November 2013, 19:47 | von Luisa

Vor einigen Jahren geriet ich mal wieder in den Borges-Rausch, las ihn mitten im Juli auf dem Balkon, um die argentinische Hitze zu ahnen, dann wieder drinnen, im Dämmer der Jalousien. Borges war lange tot und sehr weit weg, also richtete ich die Begeisterung und Dankbarkeit auf seinen deutschen Verlag und den Verleger. Als ich erfuhr, dass Michael Krüger in die Buchhandlung Müller & Böhm im Heine-Haus kommen würde, um sich mit einem ehemaligen Professor der Kunstakademie zu unterhalten, ging ich sofort hin.

Der Abend war heißer als mancher Mittag, aber ich musste ja nur ein paar Straßen und über den Rhein und noch ein bisschen weiter laufen. Nach ein paar Metern allerdings dachte ich, dass kein Mensch bei dieser Hitze ein Kunstgespräch zwischen einem nicht mehr jungen Verleger und einem alten Professor ertragen könnte. Die werden allein auf dem Podium sitzen, dachte ich, niemand tut sich so einen Unsinn an, jeder trifft Freunde und trinkt und lacht und amüsiert sich, also was hat Borges davon, wenn ich im Heine-Haus unter dem Glasdach sitze und zerfließe?

Andererseits war Michael Krüger extra von München nach Düsseldorf gekommen, um jenem längst emeritierten Professor, dessen Namen ich nicht kannte, einen Gefallen zu tun, und schuldete ich etwa Krüger keinen Gefallen? Also reiß dich zusammen, sagte ich mir, wisch dir die Stirn, halt es aus und sitz mit drei, vier Leuten einfach einen Dank ab, von dem er nichts weiß, und fertig.

So schleppte ich mich über den Rhein in die berühmte Düsseldorfer Altstadt, die ja bis an den Fluss reicht und wo an Sommerabenden ein fürchterliches Gedränge herrscht. Dazu Frittendampf, Bierdunst, Bässe, Gejohle, Geschrei. Dass Heine hier zur Welt kam, ist seine Rache.

Kurz vor dem Ziel blieb ich dann in der Menge stecken, bloß um festzustellen, dass die Leute um mich herum weder johlten noch tranken, vielmehr nervös auf den Zehen wippten und die Hälse verrenkten. Kriegen wir noch Karten?, tuschelten sie. Ich komm extra aus Korschenbroich! Das ist doch nicht ausverkauft? Nicht im Ernst, an so einem Abend, in Düsseldorf? Was, ausverkauft? Wirklich??

Ich wage hier mal die These, dass in einem Monat, wenn Michael Krüger 70 wird, jeder deutsche Leser auf mindestens eine Krüger-Begegnung zurückblicken kann. Oder auf eine Nicht-Begegnung. Damals waren die Leute übrigens nicht des großen Michael wegen angereist. Sie wollten den kleinen Fritz Schwegler sehen.
 

2 Reaktionen zu “Mein Krüger”

  1. Gregor Keuschnig

    Das Heine-Haus auf der Bolkerstrasse ist ja selber sozusagen umzingelt von Kneipen, Restaurants (u. a. „Hausbrauerei zum Schlüssel“, „Im Goldenen Kessel“) und Imbißbuden.

  2. Rainer Rabowski

    Dazu fällt mir jetzt zuerst meine eigene Borges-Lektüre ein … bei der ich an den Verlag oder den Verleger aber, glaube ich, keinen Gedanken verschwendete.

    Und dann gleich als nächstes die Lyrikreihe Hanser, und wie ich sei damals für mich entdeckte. Tomas Tranströmer UND John Ashbery in einem Verlag! (Und natürlich noch etliche andere.) Und wie ich, weil ich so begeistert war (was, so formuliert, eine ziemliche Übertreibung darstellt), in unsere gute alte Stadtbibliothek bin, damals noch auf der Berliner Allee, und mir die Gedichtbände von Michael Krüger angesehen habe. Ich hatte gedacht …

    Ist vielleicht gemein, so einen Zusammenhang herzustellen (noch dazu, wenn man sich selber nur als Gelegenheitsdichter begreift), aber … es war sozusagen eine deutliche Nicht-Begegnung. Die seitdem, immer wenn ich seinen Namen höre, …

    Ich denke, sie zählt.

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