Die Feuilleton-Verkehrswacht informiert:
Fahrradhelme sind das neue Ampelgelb

Konstanz, 13. November 2011, 15:09 | von Marcuccio

Peter Ramsauer hat letzte Woche sein »Verkehrssicherheitsprogramm 2011« vorgelegt und nebenbei gedroht: Das Helmtragen beim »Fahrraden« (Sascha Lobo) soll zwar erst mal keine Pflicht sein, aber:

»Wenn sich die Helmtragequote nicht signifikant erhöht, auf über 50 Prozent, dann muss man über weitere Maßnahmen nachdenken.«

Freiheit (auch die Freiheit zu verunfallen) und Eigenverantwortung im Straßenverkehr – ein feuilletonistisches Thema mit Tradition. Vor 80 Jahren war der Fahrradhelm noch nicht erfunden. Da diskutierte man, ob denn die Ampelfarbe »gelb« akzeptabel sei.

Der große Siegfried Kracauer meinte gar nicht kleinlich, sondern grundsätzlich: nein! Unter der Überschrift »Kleine Signale« schrieb er in der Frankfurter Zeitung vom 10. Oktober 1930:

»An den wichtigsten Straßenkreuzungen in Berlin wird der Verkehr bekanntlich durch bunte Lichtsignale geregelt. Das rote Sperrsignal weicht aber nicht gleich dem Grün, das die Straße freigibt, sondern verwandelt sich zunächst in ein leuchtendes Gelb.«

Kleine Semiotik des Ampelgelbs

Kracauer war gegen diese farbliche Zwischenstufe, weil sie die Fähigkeit zur Rücksichtnahme versaue. Gelb, so schreibt er,

»ermahnt Passanten und Wagenlenker zur Aufmerksamkeit und befreit sie von allen Überlegungen, die der Zwang zur Rücksicht auf Menschen und Fuhrwerke bei einem plötzlichen Wechsel der Signale erheischte. Durch die Einschaltung des Zwischenlichts wird die Rücksichtnahme gewissermaßen objektiviert und aus den Menschen herausgesetzt.«

Und dann schwenkt sein Ampelfeuilleton westwärts:

»Auch in Paris finden sich an einigen Hauptstaßen Lichtsignale. Nicht Signale eigentlich, sondern jeweils ein einziges rotes Lichtzeichen, das Halt gebietet. Erlischt es, so ist die Straße sofort wieder dem Verkehr freigegeben. Was völlig fehlt, ist der gelbe Übergang. (…) Die Verantwortung ist bei den Menschen geblieben. Ich wünschte, daß auch bei uns das gelbe Licht draußen erlöschte und in die Menschen zurückkehrte.«

Anhänger der politischen Farbenlehre dürfen da jetzt, hehe, ein Bekenntnis zur Eigenverantwortung, aber irgendwie ohne FDP herauslesen. Und feuilletongeschulte Leser ahnen: Fahrradhelme sind das neue Ampelgelb. Erst exotisch, dann umstritten, und früher oder später Teil der StVO.
 

2 Reaktionen zu “Die Feuilleton-Verkehrswacht informiert:
Fahrradhelme sind das neue Ampelgelb”

  1. Gregor Keuschnig

    Wie gut, dass es das „Spiegel“-Archiv gibt. So kann man auf das Pro und Contra zur Anschnallpflicht der 70er Jahre hinweisen – die Gegner des Anschnallzwangs argumentierten damals immer hin mit Kant. Leider gibt es ad hoc keine Hinweise, was Günter Grass oder Martin Walser dazu zu sagen hatten.

  2. Jeeves

    Ähnliche Zweifel las man en masse in der Presse, bevor das Anschnallen im Auto durchgesetzt wurde.
    Davor las man viele kritische Anmerkungen und Zweifel, als man Fußgängern auf Zebrastreifen die Vor“fahrt“ lassen wollte (und ließ).

    Heute ist’s normal und niemand regt sich mehr darüber auf.
    Disclaimer: Bin Radfahrer ohne Helm. Vorsicht & Aufpassen hilft.

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