100-Seiten-Bücher – Teil 14
Julien Green: »Der andere Schlaf« (1931)

Düsseldorf, 8. September 2011, 00:35 | von Luisa

Hallo Hauch, dachte ich, als das letzte Wort gelesen war, weh weiter aus jenem verwilderten Garten, wo ein junger Mann auf der Wiese liegt und schläft, während der andere, jüngere, der davon erzählt, sich über ihn beugt, bis sein Schatten den Schlafenden zudeckt, dann aber aufsteht und davon geht, langsam, durch andere Gärten, in der Gewissheit zukünftiger Leiden, aber auch in der plötzlichen Erkenntnis, dass er tatsächlich eines Tages sterben wird und also die Leiden endlich sind. Eine Liebesgeschichte, ein Coming-out aus alter Zeit (1931), erzählt in langen, sanften Schwindel erzeugenden Sätzen, die das Hirn runterdimmen zu allerschönstem Dämmern, im Bett zu lesen oder auf einem Schiffsdeck mit nichts als dem Meer vor Augen oder, am besten, in einem Liegestuhl im Sommergarten zwischen wuchernden Hecken, wo es nach trockenem Holz riecht und ganz still ist und man auf angenehme Weise nur die Hälfte mitkriegt von dem, was die Seiten füllt (obwohl ja die Personen mit einer Schärfe und Kälte analysiert werden, dass einen immer mal wieder der Frost schüttelt). Träumend von einem Schatten, der dunkelt und kühlt, umsponnen vom elastischen Faden französischer Erzähltradition, spürt man am ganzen Leibe, wenn man sich zwischendurch reckt und ein bisschen gähnt, dass es, bis auf das unschlagbare Eine, kaum etwas Schöneres gibt als die Hingabe an einen kurzen, brillanten, trägen Roman.

Länge des Buches: ca. 161.000 Zeichen (Schmid-Übersetzung). – Ausgaben:

Julien Green: Der andere Schlaf. Roman. Deutsch von Carlo Schmid. Berlin; Frankfurt/M.: Suhrkamp 1958.

Julien Green: Der andere Schlaf. Roman. Aus dem Französischen von Peter Handke. München; Wien: Hanser 1988.

Julien Green: Der andere Schlaf. Roman. Deutsch von Peter Handke. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag 2008.

(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)

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