Die FAS vom 12. Dezember 2010:
Nougattorte, Wirtschaftsteil, Runge
Hamburg, 12. Dezember 2010, 23:45 | von Dique
Was davor geschah
Auf dem Weg zur Konditorei Lindtner in Eppendorf, die FAS in der Manteltasche. Ich mache die letzten Schritte auf die Eingangstür zu, vorbei an einem beleibten und unscheinbaren Paar Ende 40, Typ Wochenendurlauber.
Als die Frau bemerkt, dass ich dasselbe Ziel habe wie sie und ihr Mann, rennt sie plötzlich kurzentschlossen los und an mir vorbei, wackelnd wie ein kleiner Elefant, das Gesicht zwischen Anstrengung und Empörung. In der Netztasche ihres Outdoor-Rucksacks plätschert in einer Halbliter-Cola-Light-Plastikflasche das nachgefüllte Leitungswasser.
Fassungslos über soviel Ehrgeiz betrete ich die Konditorei und sehe, wie sich die beiden Urlauber aus ihren Outdoorjacken schälen und befriedigt niederlassen. Der Kampf der beiden um die letzten freien Plätze war aber voreilig, das Lindtner ist im Moment nur zur Hälfte gefüllt.
Ich bestelle eine Tasse Kaffee und, Hauptgrund für mein Hiersein: ein Stück von der Nougattorte. Am Tisch neben meinem sitzt ein Mann mit abgelegtem Hut, der seine FAS schon aufgeblättert vor sich hält. Er schöpft gerade den letzten Schaum aus seinem Latte-Macchiato-Glas, als zwei ältere Herren auf ihn zugestürzt kommen und behaupten, dass der Tisch gar nicht frei gewesen sei.
Jedenfalls schnappt sich der eine erbost ein Gläschen vom Rand des Tisches, in der nicht mehr als noch ein Schluck Orangensaft schwappt. Der Hutmann lacht die beiden auf sympathische Weise aus und vermeldet, dass er da jetzt schon 30 Minuten an diesem Tisch sitze und Zeitung lese. Die Bedienung kommt herbeigeeilt und beschwichtigt, und bald verschwinden die beiden älteren Herren nach draußen, die Mäntel hatten sie eh schon übergezogen.
Was in der FAS geschah
Ok, wie immer lese ich zuerst den Wirtschaftsteil. Der sogenannte »Sonntagsökonom« gefällt mir heute mal sehr gut, es geht um Prognosemodelle, und in der Literaturliste wird das »International Journal of Forecasting« erwähnt, was für ein schöner Titel!
Auf der nächsten Seite steht ein Interview mit Norbert Rethmann, der gleich zu Beginn zu Georg Meck sagt: »Ich stelle fest: Dies ist mein erstes großes Interview. Übrigens nicht, weil ich Sie unbedingt kennenlernen wollte.« Meck nennt ihn im Gegenzug »Europas Müllkönig«, auch nicht schlecht, und es geht also leicht provokativ zur Sache, in diesem Fall vor allem um Müll und Schrott, mit deren Entsorgung bzw. Recycling Rethmann aus einem kleinen Familienunternehmen einen weltweit agierenden Konzern geschaffen hat.
Nach dem Umblättern wird es erwartungsgemäß krisig, Lisa Nienhaus spekuliert auf einer Doppelseite über die Rückkehr der D-Mark, Petros Markaris (Berufsbezeichnung: »griechischer Krimiautor«) erzählt im Gespräch mit Winand von Petersdorff, wie leer die Straßen Athens inzwischen leider seien: »Athen ist so tot wie eine Kleinstadt in Skandinavien.« Und Lena Schipper schreibt einen beeindruckend schneidigen Artikel über die Hochschulreform in England, die ursprünglich von Lord Browne angeregt wurde, dem ehemaligen BP-Chef (und nunmehrigen Peter Hartz des englischen Universitätswesens).
So vergeht eine kleine Weile, und es bleibt eigentlich jetzt keine Zeit mehr fürs Feuilleton, ich schaffe vor lauter Zeitdruck nur Jan Freitags sensationelles Interview mit Gung aus der »Lindenstraße«.
Was in der Kunsthalle geschah
Aber nun muss ich Paco treffen, er war zu einem Stück Nougattorte im Lindtner nicht zu überreden gewesen und wartet nun am Bühneneingang des Schauspielhauses, wo er sich noch angeregt und lachend mit der Einlassfrau unterhält, als ich ankomme. Das Gung-Interview hat er ebenfalls längst gelesen, und schon sind wir auf dem Weg zur Kunsthalle, um die allseits gepriesene Runge-Ausstellung zu sehen.
Regelrecht erschrocken gehen wir durch die Räume! Die Ausstellung ist zwar didaktisch ein Hit, siehe Swantje Karich in der FAZ, aber in so einem Gesamtüberblick macht die Lokalgröße Runge einfach keinen Spaß, seine mittelmäßige Begabung überschreitet selten die Qualität gehobener Akademiestudien.
Am Schlimmsten sind aber eigentlich die »Hülsenbeckschen Kinder«, leblos wie tote Puppen stehen sie da vor dem Gartenzaun, zum Fürchten! Also schnell weiter ins kunsthalleneigene Café Liebermann, und plötzlich ist alles wieder gut: Nougattorte!
Am 13. Dezember 2010 um 00:03 Uhr
Wunderbar. So schön kann Zeitunglesen sein.
Am 13. Dezember 2010 um 09:03 Uhr
Fast jeder Satz ein Treffer. Wunderbar.
Und besonders gefällt mir: „seine mittelmäßige Begabung überschreitet selten die Qualität gehobener Akademiestudien.“
Am 13. Dezember 2010 um 12:38 Uhr
Das autoritäre Potenzial der FAS ist unerreicht. Seit diesem Wochenende steht auch der Hamster als Haustier nicht mehr auf der Wunschliste. Wozu den Eltern in Monaten die Überzeugungskraft fehlte, wischten zwei Sätze einer Doppelseite im Handumdrehen bei Seite.
Diese Fünfjährigen heutzutage.
Am 15. Dezember 2010 um 09:01 Uhr
ein glück, runge hab ich mir erspart. dafür war chagalls „mondschein“ im bucerius-forum – ein werk, von dem ich leider nirgends eine abbildung im web finde – eine offenbahrung!