Lost: 6. Staffel, 9. Folge

Berlin, 28. März 2010, 18:11 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »Ab Aeterno«
Episode Number: 6.09 (#111)
First Aired: March 23, 2010 (Tuesday)
Deutscher Titel: »Seit Anbeginn der Zeit« (EA 12. 5. 2010)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Die lange erwartete Richard-Folge! Richard Alpert – Seine Vorge­schichte, sein Teufelspakt und seine Dämlichkeit (»I want to live forever!«). Insgesamt ziemlich viel Höllentalk, und die allegorischen Mächte Gut und Böse rüsten sich weiter zum Endkampf. (Einen L.A.-Plot gibt es diesmal nicht.)

Exposition: Überleitung auf Richard

Rückblick, Jacob besucht Ilana an ihrem Krankenbett, es gibt ein bisschen untertiteltes Russisch zur Einstimmung, dann erteilt Jacob seinen Auftrag: Ilana, bitte beschütze sechs Leute, die remaining candidates. Nachdem sie diese Leute zum Tempel gebracht hat, soll sie ›Ricardus‹, also Eyeliner-Richard, fragen, was als nächstes zu tun sei.

Aber Richard will nicht. Er ist immer noch schwer enttäuscht von Jacob: »Everything he ever said is a lie«. Dann folgt DIE GROSSE AUFLÖSUNG der gesamten Serie, zumindest in der Richard-Version: Sie alle seien hier bereits mausetot, die Insel nur imaginierte Kulisse des eigent­lichen Aufenthaltsortes: der Hölle. Und Richieboy will jetzt jemand anderem gehorchen.

Übrigens, Chopper-Frank hängt da auch immer noch mit herum, mitsamt seinem abgerissenen Pilotenhemd. Er ist als Figur völlig unnötig und wird wahrscheinlich nur noch mitgeschleift, weil er irgendwann irgendein Fluggefährt steuern muss. Sein Einbezug in die Handlung ist ein schlimmer Tiefpunkt dieser Folge. Wir hören einen komplett unnatürlichen Informativdialog zwischen ihm und Ben, mit dem auf Richards Schicksal übergeleitet werden soll. Dieser Dialog ist so bescheuert, den muss man hier mal hinschreiben:

Ben: I’ve known him [d. i. Richard] since I was 12 years old, that should count for something.
Frank: So you guys met when you were kids, huh?
Ben: No, Frank, I was a kid. Richard looked just like he does today.
Frank: You’re saying this guy doesn’t age.
Ben: That’s exactly what I’m saying.
Frank: And how the hell do you think that happened?

Richards Werden und Nicht-Vergehen

Richard/Ricardo hoch zu Pferde, verwilderter Look und noch ohne Eyeliner. Denn wir befinden uns im Teneriffa des Jahres 1867, also knappe 70 Jahre, nachdem Humboldt dort den Teide bestiegen hat. Ricardo kommuniziert in feinem muttersprachlichen Spanisch mit seiner Frau Isabella. Das Ganze hat etwas von mexikanischer Teleonvela, wie Critik en séries schreibt, und die Frau liegt natürlich schicksalsgebeutelt krank darnieder und spuckt Blut. Durch regnerisches Inselland reitet Ricardo um Hilfe.

Es folgt eine Landarzt-Szene à la Kafka: Der gerade beim Essen gestörte Arzt will nicht im Regen irgendwohin reiten: Hippokratischer Eid my ass! Er verspricht Richard aber eine teure Wundermedizin, um das Leben von dessen Frau zu retten. Allerdings hat Richard nicht genügend Finanzen, es kommt zu einem kurzen Kampf, der Arzt fällt gegen die Tischkante, eine Blutlache entströmt seinem Hinterkopf, er ist tot. Richard macht sich mit der Medizin in der Hand von dannen.

Er kommt zu spät, Isabella ist schon dahin, auch das noch! Richie wird festgenommen und schön zum Tode verurteilt. Vor der Hinrichtung will ihm der Gefängnispfarrer nicht so richtig göttliche Gnade versprechen, »me temo que el diablo te espera en el infierno«. Aber ein Englishman checkt kurz vor der geplanten Hängung seine Zähne, seine Hände und sein Englisch und reklamiert Richard für seinen Käptn: »This man is now the property of Captain Magnus Hanso. Hope you don’t get seasick.«

Und so wird auch die Vorgeschichte der Black Rock erzählt, dieses mystischen Schiffswracks auf der Insel. In einem grausligen Gewittersturm kommt die Lost-Insel in Sicht, das Schiff zerschellt an der riesigen Taweret-Statue (die dabei auch zu Bruch geht).

Es gibt Überlebende, aber ein britischer Offizier begibt sich unter Deck und zermetzelt die mitgeführten hispanischen Sklaven mit gezielten Säbelstichen. Als Richard an der Reihe ist, kommt das Rauchmonster der Herzen und nimmt sich der britischen Offiziere an. Nur Richard bekommt lediglich die Rülpslaute des Monsters zu spüren, weiter nichts, er wird verschont. Er schraubt an seinen Ketten, im Delirium erscheint ihm Isabella, »estamos muertos los dos, estamos en el infierno, estoy aquí para salvarte antes de que regrese él«. (Ein grundschöner Subjuntivo, danke, Isabella!)

Irgendwann flieht die isabellinische Erscheinung, wir hören Schritte auf dem Schiffsholz, eine Hand berührt Ricardos Schulter. Es ist aber nicht Jacob, es ist dessen Antagonist, diesmal nicht in Locke-Gestalt, sondern in der Menschengestalt, in der wir ihn am Ende der fünften Staffel gesehen haben. »Here, water.« Und es wäre nicht »Lost«, wenn nicht folgender dialogischer Schlagabtausch stattfände:

Richard: Who are you?
Man in Black: A friend.

Es kommt zum Teufelspakt. Richard will alles tun, was der Typ verlangt, und schon werden die Ketten aufgeschlossen. Wie in Gestalt von Locke spricht der Mann in schwarz erneut vom Verlassen der Insel als oberstem Ziel. Er gibt sich nebenbei als Black Smoke zu erkennen und beauftragt Richard mit der Tötung des Erzfeindes, mit denselben Worten, mit denen Fake-Locke später Sayid dazu überreden will, er überreicht ihm auch denselben Dolch.

Das Gespräch über richtig und falsch erinnert stark an dieses eine Majakowski-Gedicht, »Что такое хорошо и что такое плохо«, was ist gut und was ist schlecht, kommt also eigentlich ganz okay cool. Ricardo wird auch das sogenannte Blaue vom sogenannten Himmel verspro­chen: Er könne seine Frau wiedersehen. (Das wäre sicher auch einigermaßen okayer als das bevorstehende Wiedersehen des koreanischen Langweilerpaars Sun und Jin, hehe.)

Rick macht sich also auf den Weg zum vierzehigen Statuenrest. Dort stellt ihn sein Zielobjekt Jacob jedoch kalt, nimmt ihm den Dolch ab und erzählt erst mal genau das Gegenteil dessen, was der Schwarzmann von sich gegeben hatte. Er überzeugt Richard auch davon, dass er nicht tot und dass die Erscheinung eben nicht seine Frau gewesen sei. Und dann wird formally introduced: »My name is Jacob. I’m the one who brought your ship to this island.« Er versucht sich ebenfalls an einem jesusartigen Gleichnis mit Hilfe von Wein (ein Hauch von Kana zieht über den Screen). Und dann gibt es Tacheles:

»That man who sent you to kill me believes that everyone is corruptable because it’s in their very nature to sin. I bring people here to prove him wrong. And when they get here, their past doesn’t matter.«

Aha. Jacob ist also der GROSSE OPTIMIST und AUFKLÄRER, er ist also eher Lutheraner, letztlich vielleicht sogar Kantianer, und nicht etwa, wie lange vermutet, Jakobiner. Richard kriegt einen neuen Job verpasst, er soll den Vermittler zwischen Jacob, der selber nicht eingreifen will, und den zukünftigen Neuankömmlingen auf der Insel spielen. Als Ausweis menschlicher Hybris verlangt Richard diese Gegenleistung: »I never want to die. I want to live forever.« Junge, mach dich nicht unglücklich! Der Schwarzmann ist dann leicht enttäuscht von Richard, zeigt aber Verständnis. Der Abtrünnige könne jederzeit auf seine Seite wechseln.

140 Jahre vergehen, wir sind zurück in der Gegenwartshandlung. Richard spricht ins Leere: »I’ve changed my mind. … Does the offer still stand?!« Niemand erhört ihn, bis Hurley angetapst kommt. Er vermittelt Richard eine Begegnung mit seiner Frau, es gibt ein bisschen Lovetalk, und dann, laut Hurley, besteht Isabella darauf, dass Richard den Man in Black töte, »’cause if you don’t, todos nos vamos al infierno«.

Am Ende der Folge treffen sich Jacob und sein Erzfeind wieder mal direkt und teasen sich die Taschen voll. Es gibt Beef und Gebattle, und der Schwarzmann zerschlägt dann zum Schluss die Weinflasche, so much for Gleichnis. Nun nun, die Hälfte der 6. Staffel ist vorbei, und es ist letztlich also nicht verwunderlich, dass diese Megaserie der ersten Dekade des dritten Jahrtausends, die sich anfangs sehr an Mikrodingen abgearbeitet hat, Einzelbiografien usw., sich letztlich doch am großen Ganzen versucht.

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