Die Raupe Bundesrepublik

Konstanz, 17. März 2009, 19:37 | von Marcuccio

Haben Kinderbuch-Exegesen gerade Konjunktur? Erst Maula und der Mondvogel: die Parabel auf das Feuilleton und seinen größten Fan, den UMBL. Und jetzt die »Kleine Raupe Nimmersatt« als Gleichnis auf die Geschichte der BRD. Diese Lesart liefert Florian Illies im Feuilleton-Aufmacher der aktuellen »Zeit« (»Jahrgang 1929«, Nr. 12/2009, S. 45). Für Illies erzählt die Kleine Raupe Nimmersatt von Eric Carle

»im Kern nicht weniger als die Geschichte der Bundesrepublik. Sie beginnt in kalter Mondnacht, auf einem kahlen Blatt – die Bilder­buchversion der Stunde null. Dann frisst sich die nimmersatte Raupe durch die Torten und Würste des Wirtschaftswunders, vor Selbsthass und Völlegefühl rettet sie dann die Öko-Bewegung. Mit den grünen Blättern im Bauch kann sie sich selbstvergessen ver­puppen (späte achtziger Jahre), um dann, Wiedervereinigung, als schöner Schmetterling neugeboren zu werden. ›In dem Buch‹, so sagte Carle einmal, ›steckt die Hoffnungsbotschaft: Ich kann auch groß werden.‹ Man könnte auch sagen: Die Raupe Nimmersatt – oder ›Du bist Deutschland‹.«

Carle ist übrigens Jahrgang 1929, Illies‘ ganzer Artikel geht über den Jahrgang 1929 und die Frage, wie er »das geistige und kulturelle Nachkriegsdeutschland auf einzigartige Weise geprägt hat«. Als Raupe geprägt hat. Illies stützt diese These auch durch »James Last, Jahrgang 1929, der tatkäftig mithalf, die Raupe Bundes­republik in einen sanften Klangteppich wie in einen Kokon einzu­wickeln«. So wurde die alte BRD auf »wundersame Weise impräg­niert gegen jede Unbill der Wirklichkeit«.

Mehr Raupenhermeneutik ist leider nicht – wann spinnt Illies seine herrlichen entwicklungsbiologischen Erkenntnisse zum Adultsta­dium der BRD weiter, wann verpuppt er diesen »Zeit«-Artikel zu einem Buch? »Generation Raupe« könnte der nächste Bestseller sein.

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