»Schön!« — Mit Judith Hermann durch Berlin

Leipzig, 4. September 2008, 12:56 | von Paco

Die Leute von Literaturport.de haben einige bekanntere Berliner Autoren dazu gebracht, eine »Literatour« durch Berlin zu unternehmen und darüber zu texten. Auch Judith Hermann hat einen Text beigesteuert, und im Prinzip kann so etwas ja nur schiefgehen.

So wurde Ingo Schulze neulich im »Spiegel« dafür abgewatscht, dass er seinen Roman »Adam und Evelyn« offenbar als eine Art Auftragsarbeit für eine bestimmte geplante Reihe des Berlin Verlags unternommen hat, in der »große Mythenstoffe neu erzählt und gedeutet« werden. »Nicht von kreativem Drang, vielmehr von Marketing-Blabla beflügelt«, nannte das Urs Jenny (Nr. 33/2008, S. 142).

Der Titel des Hermann-Texts ist dann auch gleich in Maßen schrecklich: »Spazieren.Gehen.« – das wirkt etwas zu sehr gewollt experimentell poetisch. Der eigentliche Text dann gar nicht, es geht alles glatt, auch weil die Autorin es von Anfang an ablehnt, überhaupt ein Thema, einen Auftrag zu haben. So wandert sie themenlos einige Randgebiete des Prenzlauer Bergs entlang, die einzelnen Stellen sind auf der Webseite auch per eingebettetem Google Maps verortet.

Relativ schnell hat man dann wieder den Hermann-Sound im Ohr, vor allem, wenn man sich die Story gleich als MP3 von der Autorin vorlesen lässt.

Erst wundert man sich, dann nimmt man ihn hin, dann findet man ihn gut: einen wohlausgesuchten Manierismus, der sich schon nach 3 Absätzen festsetzt – die Erzählerin bezeichnet ihr Kind, das sie auf der Tour begleitet, stets als »mein Kind«:

»Wir nahmen, am Fuß des Berges angelangt, den asphaltierten Weg, ein Stückchen lang, und schlugen uns dann in die Büsche, die Abkürzung, ein Trampelpfad durch Dickicht und Sträucher, sehr steil aber kurz; wir gerieten außer Atem, worüber mein Kind froh war, weil es wusste, dass das zu einer Bergbesteigung dazu gehört.«

Eine ganz hervorragende Stelle, im Prinzip schon viel zu literarisch für den Approach des Literaturports, und ab hier beginnt »mein Kind« auch, zur literarischen Figur zu werden und der Text löst sich endgültig von seinem »Literatouren«-Kontext. Das gilt auch für den Fotografen, »eine Gestalt ganz nach meinen Wünschen, immer mit der Kamera vorm Auge und bereit zu sehen was ich sage«.

J. H. hat ihn also kurzerhand ins Figurenarsenal ihrer Geschichte reingenommen, und zwischen der Gelassenheit der Autorin und der Mentalität des motivsuchenden Fotografen gibt es ein interessantes Hin und Her:

»Schön, hatte der Fotograf gesagt. Ich hatte ihm am Telefon die Stationen des Spazierganges aufgezählt: Volkspark Prenzlauer Berg, den kannte er vom Hörensagen, Kleingarten Kolonie ›Grönland‹, dazu wollte er sich nicht äußern, Jüdischer Friedhof Weißensee, da sagte er: Schön!«

Das ist judith-hermann-haft knapp gefasst, gerahmt von diesem zweimaligen einverstandenen »Schön!«, ein schwer vertextbares Detail des Gesprächs sehr gut eingefangen, ohne weitere Worte ist alles klar, später wird das im Text noch mal aufgenommen:

»Der Fotograf hat mich nicht gefragt, warum gerade der Jüdische Friedhof Weißensee mit hinein soll in diesen Spaziergang, er hat Schön! gesagt und ich weiß, was er meint.«

Der Auftrag des Fotografen sah auch vor, ein Autorenfoto zu schießen:

»Es soll ja, sagt der Fotograf am Telefon, auch ein Foto gemacht werden. Das musste dir dann irgendwie aussuchen, das Foto, da sollst du drauf sein, wo willst du das machen.«

Man kann von J. H. nicht einfach so und ohne Umstände ein neues Autorenfoto machen! Das ist unmöglich: »ich stelle mich nicht auf den Berg vor die Aussicht nach Osten«. Im letzten Absatz geht es dann um dieses Paratext-Bewusstsein der Erzählerin, der Autorin, das ist ein sehr guter Schluss dieser Auftragsarbeit. Im Café Surprise soll es dann sein: »Ich setze mich ganz gerade hin und schaue mal am besten links aus dem Fenster.« Klick!

2 Reaktionen zu “»Schön!« — Mit Judith Hermann durch Berlin”

  1. S. Fischer

    Und ihr Portrait, wie stehen Sie jetzt zu der Frage des Abdrucks in den Weihnachtsprospecten?

    (im September 1907, zitiert nach: Samuel Fischer u. Hedwig Fischer: Briefwechsel mit Autoren. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1989, S. 627)

  2. Hermann Hesse

    Mit dem Portrait bin ich noch der alten Ansicht, dass mein Gesicht den Leser nichts angeht. Das Publikum ist ohnehin so anspruchsvoll gegen seine ‚Lieblinge‘ und sucht sie so zu tyrannisieren, dass man nichts unnötig preisgeben sollte, auch nicht seine Visage.

    (im September 1907, zitiert nach: Roland Stark: Bild und Abbild. Hermann Hesse in Freundschaft mit Fritz und Gret Widmann (Ausstellungkatalog). Beiträge des Hermann-Hesse-Höri Museums. Hrsg. von Ute Hübner. Gaienhofen: Hermann-Hesse-Höri Museum 2008, S. 45)

Einen Kommentar schreiben