Der Spiegel 23/2008 (2. 6. 2008):
Erlebte Rede und T-saster

Rom, 6. Juni 2008, 11:42 | von Paco

Das Schöne auf Reisen ist ja, dass man mal wieder Quality-Time mit dem »Spiegel« verbringen kann. Damit wir die Ausgabe nicht wieder zerreißen mussten (wie neulich), haben wir am Montag gleich 3 Exemplare gekauft. Das Gesine-Schwan-Interview hat Dique ja schon erwähnt. Was sonst noch geschah:

Es handelt sich um eine Oliver-Gehrs-Gedächtnis-Ausgabe, denn mit der Berichterstattung zur »Telekom-Bespitzelungsaffäre« (vgl. Wikipedia) ist dem »Spiegel« wieder ein echter »Spiegel«-Scoop gelungen, scheint’s. Und so eine Superstory hat ja Gehrs immer eingefordert, bevor er sich dann lieber dem Medien-Gemüsegarten widmete.

Die Story zum Heftthema »Big Bro·T·her – Der unheimliche Staatskonzern« befindet sich auf S. 20-33 (Überschrift: »Codename ›Phylax‹«). Gut zu lesen usw., wobei 2 Stellen herausstechen, die erste auf S. 23. Dem Überwachungswahn auf Seiten der Wirtschaft entsprächen auf Seiten der Politik

»Hardliner, die angesichts islamistischen Terrors am liebsten schon die Grundrechte einschränken würden, wenn es denn dem Schutz der Gesellschaft diente – und der Demokratie. Nur die wäre ihren Namen dann kaum noch wert, weil man sich auch zu Tode schützen kann.«

Ok, die wohlfeile Bemerkung, dass »man sich auch zu Tode schützen kann«, könnte man schon durchgehen lassen: am Stammtisch, in der Schülerzeitung, als Tagline von »Stasi 2.0«-Kritik, im Deutsch-Aufsatz usw., nur eben nicht im »Spiegel«. Denn wer spricht hier? Wer jubelt uns da seine Meinung unter? Ich dachte immer, dass die legendäre Schlussredaktion stets darauf achtet, dass die Form der erlebten Rede auf jeden Fall »Spiegel«-ironisch daherkommt und nicht so völlig ernstgemeint wie in dieser Passage.

Aber gut. Am Ende des Textes, für den 9 Autoren verantwortlich zeichnen, wird noch einmal rekapituliert, wie die Affäre Ende Mai eigentlich genau begann. Der Vorabend des Scoops wird so zusammengefasst: »Das T-saster beginnt.« In der S-Zeitung müsste so eine lustige Wortbildung als Überschrift herhalten, beim »Spiegel« steht sie im Text, und warum auch nicht.

Ansonsten …

… hat Juan Moreno eine sehr gut recherchierte und schön formulierte Reportage über die Poker-Szene geschrieben (»Auf der Jagd nach Boris«, S. 76-81).

Und Matthias Matussek taucht überraschenderweise im »Deutschland«-Ressort auf, mit einer Story über Gregor Gysi, über dessen Touren anlässlich der Kommunalwahl in Kiel und die perennierenden Stasi-Vorwürfe gegen ihn (S. 48-50). »Gregor Gysi ist Paris Hilton ohne Hündchen«, steht da unter anderem, und auch der Resttext ist literarisch in Hochform.

Auffällig ist außerdem, dass Matussek selber ein Foto von Gysi geschossen hat, das auch im Heft abgedruckt wurde (Gysi vor einer Reproduktion von Edward Hoppers »Nighthawks«, S. 50). Hat er dafür einfach seine Ixus genommen? Mit der Superfein-Einstellung? Wenn man genau hinsieht, kann man an den Objekträndern JPEG-Artefakte erkennen, aber vielleicht ist das auch nur Einbildung.

Wie auch immer, das Matussek-Foto ist nur ein weiteres Beispiel dafür, dass Textjournalisten immer öfter selber draufhalten, der Umblätterer hat das ja immer mal wieder festgestellt (vgl. hier und passim).

So, »Spiegel« ist ausgelesen, es wird Zeit, dass die FAS kommt, hehe.

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