Im Schlitten Gustav Mahlers

Chemnitz, 14. Januar 2010, 19:50 | von Austin

KüchwaldAus gegebenem Anlass Winterspaziergang im Küchwald, in der einsetzenden Dunkelheit, und einen Tag später im sonnigen Schnee.

Auf dem iPod: Gustav Mahlers 10. Sinfonie. In der Aufnahme mit dem RSO Berlin und Riccardo Chailly. 20 Jahre alt. Ein schöner Vergleich zum sensationellen Konzert letzten September zu Saisonbeginn mit dem Gewandhausorchester – unser Konzert des Jahres 2009 (gemeinsam mit Mahlers 1. Sinfonie fünf Wochen später).

Man glaubt dann, mit dem Beginn des 1. Satzes im Ohr, man könnte jetzt immer weiter hineingehen in den Wald, zauberbergmäßig, bis dann nur noch Schnee ist.

Dann denkt man, diese Musik könnte aber auch ein prima Soundtrack sein zu einem Film von Tim Burton, vielleicht war es das ja auch schon.

Und dann fällt auf, dass das Leipziger Konzert entschieden härter dirigiert war, schärfer. Elementarer. Der Wahnsinns-Trommelknall auf dem Übergang vom 4. Satz zum Finale, dieser großartige Moment des Übergangs, der schon auch ein Ende ist, war im Gewandhaus ein Schlag aus dem Nichts, herzschlagaussetzend; vor 20 Jahren ist es noch auch Schönklang, abgefedert.

Am nächsten Tag, im Sonnenschein, ein leicht anderer Charakter. Alles beschwingter, liegt wohl am Wetter. Der Weg führt an einer Wildfutterstelle vorbei und an einer Bank steil über einem gefrorenen Bächlein, und Walter Kappachers »Fliegenpalast« fällt einem da wieder ein, ein seltsames Buch, trotz Büchner-Preis. Ein Sommerbuch, das doch viel mehr ein Winterbuch ist. Glaube im Nachhinein auch immer, das Buch habe von Richard Strauss erzählt und nicht von Hofmannsthal. Muss mich da immer mühsam dran erinnern und korrigieren.

Trotzdem denke ich, jetzt fahren gleich Strauss und Hofmannsthal in einem offenen Schlitten mit lauter klingelnden Glöckchen vorbei, freundlich winkend seltsamerweise, ganz anders als bei Kappacher. Aber da ist natürlich nur der blinkende Schnee in der Sonne.

Dann ist Chailly bei diesem unglaublichen Finale angekommen. Doch Musik vom Tode. Wenn die Flöte einsetzt, 2:13ff – der Wahnsinn, diese Passage.

Andere Top-Stellen, als Softskills für den Smalltalk zum Neujahrs-Stehempfang: Die Streicherlinien zum Beginn des 1. Satzes, insbes. 2:26ff. Der Schluss des 4. Satzes mit einem super Paukensatz ab 10:41. Das gesamte lange Verglimmen des Finales, ab 19:38.

Dann ist die Sinfonie durch, es ist Stille, und ich gehe ins »Kellerhaus«, diese leckere Pilzrahmsuppe bestellen, wie zuletzt mit Marcuccio und Paco, als sich die Beiden unmittelbar vor dem Dessert heftigst über diesen Wolfgang-Büscher-Artikel zerstritten.

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