Marcel Reich-Ranicki: Frühwerk vs. Spätwerk

St. Moritz, 3. Januar 2010, 09:57 | von Marcuccio

Was für ein Après-Ski-Scherz! Wir natürlich weiter am Tagen, aber irgendein Fan (war es der Wirt der Alpina-Hütte selbst?) hat uns ein Kartenspiel gebastelt, und zwar aus lauter Calanda-Bierdeckeln, doppelseitig mit FAS-Artikeln beklebt: Auf der einen Seite jeweils das Logo der bekannten Randspalten-Rubrik »Fragen Sie Reich-Ranicki« (roter Schriftzug plus MRR-Briefmarkenfoto in s/w). Auf der anderen Seite jeweils die Leser-Frage und die Reich-Ranicki-Antwort.

Offenbar ein Memory, denn nach kurzer Durchsicht zeigt sich, dass das Kartenspiel aus lauter gleichen Fragen besteht: also Fragen, auf die MRR mindestens doppelt reagiert hat.

Vorläufiger Hüttenliebling ist Björn Schroth aus Ffm mit einer Frage, die MRR zweimal ganz unterschiedlich beantwortet hat, einmal auffällig willig (der Enthusiasmus des Frühwerks!), einmal typisch ungnädig (die Null-Bock-Phase des Spätwerks).

Hier die Antwort auf die Frage von 2005 (FAS vom 7.8.2005, auch online):

Welchen zeitgenössischen deutschsprachigen Literaturkritiker lesen Sie mit Gewinn?
Björn Schroth, Frankfurt/Main

Thomas Anz (Universität Marburg), Ulrich Greiner (»Die Zeit«), Volker Hage (»Der Spiegel«), Jochen Hieber (F.A.Z.), Frank Schirrmacher (F.A.Z.), Renate Schostack (F.A.Z.), Ulrich Weinzierl (»Die Welt«), Uwe Wittstock (»Die Welt«). Übrigens: Alle diese Kritiker kommen aus der von mir zwischen 1973 bis 1988 geleiteten Literaturredaktion der Frankfurter Allgemeinen. In aller Bescheidenheit: Meine pädagogischen Bemühungen waren nicht vergeblich. Überdies schätze ich ganz besonders: Joachim Kaiser (»Süddeutsche Zeitung«), Gerd Ueding (Universität Tübingen) und vor allem Peter von Matt. Reicht das?

Und hier die Antwort auf die (fast) gleiche Frage aus der FAS vom 20.12.2009:

Welche zeitgenössischen deutschen Kritiker lesen Sie mit Gewinn?
(Björn Schroth, Frankfurt)

Da könnte ich sechs oder acht Namen nennen, aber wozu sollte ich es tun? Einige würden das freundliche Urteil zufrieden zur Kenntnis nehmen, andere hingegen – bestimmt wäre es die Mehrheit – blieben natürlich verärgert. Wozu soll man sich damit beschäftigen? Es wäre mit Sicherheit besser und nützlicher, auf diese Fragen zu verzichten.

10 Reaktionen zu “Marcel Reich-Ranicki: Frühwerk vs. Spätwerk”

  1. criz

    Na das könnt ihr dem MRR nicht wirklich krumm nehmen, dass er hier zwei Verschiedene Antworten gibt. Die Frage wird ihm bestimmt einmal pro Tag gestellt.
    Vielleicht hat er von seinen verärgerten Kritiker-Kollegen gesagt bekommen, dass er sie nicht mehr nennen darf.

  2. Sebastian Salzgeber

    Das war ja reichlich unspektakulär zu lesen. Wieso 6vor9 das verlinkt hat, bleibt mir ein Rätsel.

  3. Jinsu

    Das klingt fast so, als hätte MRR 2005 erwartet, dass sich die Genannten sich über diese Bemerkung freuen und sich überschwenglich bei ihrem Mentor bedanken.
    2009 kam dann die Gewissheit, dass es dies wohl nicht passiert ist und die damals so hoch gelobten Kritiker nun in Ungnade gefallen sind.

  4. Jan

    Da hat MRR also eine Frage beim zweiten Mal stellen abstrakter beantwortet. Gähn!

  5. Dumbledore

    Also ich finde das alles andere als gähn, diese Sache erinnert sehr an den berühmten Fragebogen, „den der Schriftsteller Marcel Proust in seinem Leben gleich zweimal ausfüllte.“ (soweit ich weiß auch ganz unterschiedlich)

  6. Jeeves

    Na und?

  7. cha

    und hätte er zweimal die gleichen kollegen genannt (soweit noch in amt und würden, ich verfolg das jetzt nicht so), dann würden wir hier lesen: der nimmt textbausteine und lernt nix dazu!
    lose-lose-situation für mrr, win-win für die fraktion „ich brauch da noch content, haste mal was mit’nem namen den die leute kennen?

    hätte er jetzt zweimal unterschiedlich auf die frage „wie hieß ihr erstes haustier?“ geantwortet, dann hätte er die demenz am hals.

    et wär lustig, wenn es nicht so traurig wär.

  8. Dumbledore

    Menschenskind, Jeves und cha und wie ihr euch nennt, Jetzt seid nicht so verknöchert, die Story oben zeigt doch vorallem, dass dieser ReichRanicki-Textkasten in der F.A.S. eigentlich nur noch Zitat seiner selbst ist schon von der Fragestellung her ,egal was MRR antwortet. Und gerade deshalb, das ja das Erstuanliche, liest man das immer wieder so gern, ich jedenfalls. Also Win-Win.

  9. Gregor Keuschnig

    @Dumbledore
    Win-Win ist das für mich nicht. MRR hat schlichtweg keine Lust mehr immer die gleichen Fragen zu beantworten. Keine Ahnung, ob es da immer die gleichen Fragen gibt (vermutlich ja). Aber irgendwie will sich die FASZ mit der Kolumne schmücken. Nur hat der Geehrte kein Interesse mehr. Ich frage mich, warum man ihn nicht in Ruhe lässt. Richtig was zu sagen hat MRR seit sehr vielen Jahren nicht mehr. Er fehlt schon jetzt. Aber nur ein bisschen.

  10. J.

    Was an „Na und?“ ist verknöchert? frage ich genauso locker den, der sich „Dumbledore“ nennt.

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