Lost: 5. Staffel, 16. und 17. Folge

Paris, 21. Mai 2009, 22:03 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »The Incident (Parts 1 + 2)«
Episode Number: 5.16+17 (#101+#102)
First Aired: May 13, 2009 (Wednesday)
Deutscher Titel: »Der Vorfall (Teil 1 + 2)« (EA 23./30. 7. 2009)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Mit der finalen Doppelfolge der 5. Staffel von »Lost« hagelt es noch einmal Drastik vom Erzählhimmel. Und mit dem Auftauchen des bisher nur als Schatten und Idee existierenden Jacob (sprich: Dschäjkepp) kriegen wir eine neuerliche Macht- bzw. Machtverlust-Allegorie serviert – sowieso das thematisch interessanteste Kontinuum der Serie. Dass er am Anfang der Doppelfolge neben der noch intakten (endlich auch mal aus der Nähe zu sehenden!) vierzehigen Riesenstatue herum­lungert, dass der Kampf um die Inselherrschaft also schon seit ewigen Zeiten zu laufen scheint, gibt dem Ganzen eine nachgerade biblische Dimension.

Am Anfang brät sich Jacob ganz leger einen frischen Fisch, als sein noch nicht näher benannter Erzfeind aufkreuzt und ihm verklickert, dass er ihn so-so-so gern töten, ermorden, killen würde. Und das verstehe ich nur zu gut, denn der Jacob-Schauspieler hat in der ersten und am Anfang der zweiten »Dexter«-Staffel den nervigen Paul gespielt, und da hat Dex ja auch dafür gesorgt, dass er von der Bildfläche verschwin­det, so wie in dieser Folge Ben sein Messer in Jacobs Leib bohren wird, der danach zur Sicherheit auch noch achtlos vom Zombie-Locke ins Feuer getreten wird.

Bei der historischen Begegnung der beiden Widersacher segelt übrigens ein Schiff auf die Insel zu, möglicherweise die »Black Rock«, und Jacobs Erzfeind kommentiert die baldige Ankunft neuer Insulaner so:

»They come. They fight. They destroy. They corrupt. It always ends the same.«

Nachdem damit ganz grob auch ein generelles Menschheitsdilemma umrissen ist, wird klar, in welche allegorischen Höhen sich »Lost« hochschwingen will und wozu dieser ganze problematische Zeit­reisekomplex vielleicht nötig war. Und hier nähert sich »Lost« auch wieder den klassischen Robinsonaden an. Seit Defoes »Robinson Crusoe« (1719) werden in diesem Genre vor allem anthropologische Kontinua beschrieben, öfters weiteten sich die Varianten zu ganzen Staatsromanen aus. Auch bei »Lost« kamen von Anfang an Ontogenese und Phylogenese zusammen.

Jedenfalls endet das Gespräch der beiden uns hier ganz neu präsen­tierten Feinde recht schnell, die Jacob-Handlung wird aber qua Flashbacks noch etwas ausgebaut. Wir sehen Dschäjkepp in acht Einzelszenen in das Vor-Insel-Leben der Losties eingreifen – erinnert ein bisschen an den Tourist Guy, der am 11. September angeblich auf einem der Twin Towers noch ein schönes Foto von sich hat machen lassen, während hinter ihm das Flugzeug auf den Turm zurast. Von da an wurde der Tourist in alle möglichen anderen Pesudo-Urlaubs-Setups gephotoshoppt. Den Jacob-Typen hat man nun in folgende Schlüssel­szenarien der Vergangenheit gestellt:

1. Die kleine Kate will eine Lunchbox mitgehen lassen (ein New-Kids-on-the-Block-Fanartikel), wird vom Krämer erwischt und schließlich von Jacob gerettet.
2. Jacob trifft den kleinen Sawyer nach der Beerdigung seiner Eltern, als er gerade einen Brief an den Elternmörder verfasst.
3. Jacob sorgt dafür, dass Sayids Lebensmenschin Nadia von einem Auto überfahren wird.
4. Jacob bei Ilana im Krankenhaus, es wird kurz Russisch gesprochen. (Dabei ging mir endlich auch auf, woher ich die Ilana-Actress kenne, nämlich als die herrlich wollüstige Gaia aus der zweiten Staffel »Rome«.)
5. Jacob nach Lockes Fenstersturz, er weckt ihn mit einem Griff auf die Schulter auf.
6. Jacob auf der Hochzeit von Sun und Jin.
7. Jacob bei Jack und seinem Vater nach einer OP.
8. Nachdem Hurley aus dem Knast entlassen worden ist, trifft er im bereitstehenden Taxi auf Jacob, der ihm rät, den Ajira Flight 316 zu nehmen.

Soweit die Jacob-Flashbacks, die ein bisschen wie billiger Hokuspokus wirken, um Jacob nachträglich besser in den ganzen Erzählentwurf zu integrieren. Ansonsten werden die anderen Erzählstränge der letzten Folgen fortgesetzt und teilweise überkreuzt, am Ende läuft alles auf zwei Showdowns zu, einer im Jahr 1977, einer in der Gegenwart. Beginnen wir mit letzterem:

Die Wanderung zu Jacob

Bei einer Rast fragt Sun, wer Jacob sei, Bens Antwort: »He’s in charge of this island.« Das ist doch mal präzise ausgedrückt. Ben wirkt ansonsten wie zuletzt äußerst blass und zurückhaltend, er hat nicht mal Richard etwas von Lockes vermessenen Killerplänen erzählt, da er den Anweisungen des Geistes seiner toten Tochter Folge leisten und Locke gehorchen wolle. Das wird ihm jetzt zum Verhängnis, denn Locke vermittelt ihm, dass er, Ben, jetzt auch noch Jacob um die Ecke bringen soll. Damit er das auch tut, hetzt ihn Locke gegen Jacob auf, und Ben scheinen die Argumente einzuleuchten.

Als die Hostiles an der riesenhaften ägyptischen Statue ankommen, begeben sich Locke und Ben in eine Kammer im Statuenfuß. Dort lungert der Jacob vom Anfang herum, es gibt ein Showdown-Gespräch. Ben wird von Jacob ein wenig indoktriniert: Er habe eine Wahl, bei dem, was er tue. Ben kotzt sich dann aber erst mal aus und heult Jacob die Ohren voll, beschwert sich über die jahrelange Missachtung usw. – und dann gibt es zwei Messerstiche ins Herz. Der Blut spuckende Jacob meint dann noch so: »They’re coming«, und das war’s für ihn. Denn Locke bugsiert ihn ins Feuer, und das Gesicht des neuen Machthabers leuchtet dann dämonisch hinter den Flammen hervor.

Während dieser Geschehnisse gelangen auch die restlichen Abgestürzten vom 316er Flug, allen voran Ilana, bei der Statue an. Vorher hatte die Powerfrau noch veranlasst, dass Jacobs Hütte abgebrannt werde, weil »he isn’t here«. Aus bestimmten Gründen führt der Trupp eine große Kiste mit, und überhaupt wird diesmal endlich klar (schon bei der Krankenhausszene zwischen Ilana und Jacob), dass diese Gruppierung auch von Anfang an eine Agenda hatte, dass das nicht nur zufällige Abstürzler sind.

Ilana stellt Richard die Frage, die bisher noch keiner beantwortet konnte: »What lies in the shadow of the statue?« Und Richard, der mit den anderen auf das Ergebnis des Machtkampfs im Inneren der Statue wartet, ergänzt den Code auf Lateinisch, denn wir wissen ja seit Folge 5.03, dass bei den Hostiles das große Latinum Aufnahmevoraus­setzung gewesen sein muss: »Ille qui nos omnes servabit.«

Und daraufhin wird die Truhe geöffnet und ausgekippt: Und der mausetote Locke kullert heraus. Oha! Das ist also der nächste große Twist, der an den Twist vom Ende der dritten Staffel aber nicht mal ansatzweise heranreicht. Wie auch immer, die Frage ist also, wer der Locke-Imitator ist, der gerade Ben dazu benutzt, um sich Jacobs zu entledigen? Offenbar der Widersacher aus dem historischen Rückblick, mit dem diese Doppelfolge begann. Jedenfalls passt das alles zu Richards Bemerkung gegenüber Jack, dass er bei all den Begegnungen mit Locke nie das Gefühl hatte, dass dieser ›special‹ sei.

Runter mit der Bombe! Weg mit dem Swan-Bohrloch!

Auch im Jahr 1977 überkreuzen sich die Handlungsstränge. Zunächst schafft es Kate, Sawyer und Juliet auf die Insel zurückzuholen, um Jacks Plan mit der Atombombe zu durchkreuzen. Das U-Boot wird zum Auftauchen gezwungen, sie paddeln sich dann in einem Schlauchboot zur Hauptinsel. Da taucht Vincent auf, Walts Hund, und mit ihm Rose und Bernard. Sie seien damals nicht mit Sawyer und den anderen zu den Dharmas gestoßen und führen jetzt ein bescheidenes Leben in trauter Zweisamkeit. Das ist ein schönes Intermezzo, ein waschechtes Gespräch über Glück in der Tradition der großen eudämonistischen Philosophien, mindestens.

Nachdem die Explosionsbefürworter in der letzten Folge die Jughead-Bombe aufgespürt haben, geht es nun darum, den Bombenkern ans Tageslicht und zur Swan-Station zu befördern. Richard überlässt den Abtransport den beiden anderen Jungs, Jack und Sayid, und Eloise hat er zwischenzeitlich ausgeknockt. Durch den Keller eines Dharma-Hauses finden Jack, Sayid und der Bombenrucksack ihren Weg nach droben. Die beiden ziehen sich ein Dharmakostüm über und wollen sich volles Risiko durch das immer noch in Aufruhr befindliche Dharmadorf schlagen.

Dabei wird der bombentragende Sayid von Bens Vater, dem alten Zausel, in den Bauch geschossen – doch dann kommen glücklicher- wie zufälligerweise Hurley, Miles und Jin mit einem Dharma-Kleinbus ange­fahren, um ihre Schicksalsgenossen rauszuhauen. Während der Fahrt darf Jack dann endlich mal wieder jemanden verarzten und beißt dabei mit den Zähnen effektvoll eine Binde zurecht.

Es folgt ein ganz hervorragender »Lost«-Moment, die Konfrontation zweier sich gerade formiert habender Lager: Der Bus mit der Bombe wird von Sawyer, Juliet, Kate mit Gewehren in der Hand gestoppt – wie nie zuvor stehen sich einige Ur-Losties auf Gedeih und Verderb gegen­über. Und dann gibt es auch einen blutigen Dogfight zwischen Sawyer und Jack, YEEEEEEEEAAAAHH!

Ich war übrigens als einer der wenigen auf Jacks Seite, weil mir Sawyer als LaFleur in letzter Zeit einfach ziemlich auf die Ketten ging. Aber die meisten hat Jacks blutige Nase sehr erfreut, etwa Tao von Critik en séries, dem der Fight nicht weit genug ging, hehe:

« Ça m’a fait un bien fou de voir Jack se faire défoncer. J’ai même cru que Sawyer allait carrément le tuer. Ça aurait vraiment osé et j’aurai adoré. Dommage, Juliette pas encore morte l’en empêche. »

Dann kreuzt Juliet auf, und schon schimmern die von uns schon häufiger zitierten Goethe’schen »Wahlverwandtschaften« wieder am Horizont, denn die Viererbeziehung Jack-Kate-Sawyer-Juliet gruppiert sich neu – Juliet wechselt auf Jacks Seite (weil sie Sawyers vermeintlich sehnsüchtigen Blick auf Kate erhascht habe). Und Jack hat plötzlich die Oberhand, nach letzten Anweisungen von Sayid zieht er an Sawyer vorbei: »See you in Los Angeles!«

Obwohl Jack von den erzürnten Dharmas um Radzinsky daran gehindert werden soll, sich der Swan-Station zu nähern, gelingt es dem Doc nach einem Blickekonzert, den Bombenkern in das Bohrloch fallen zu lassen. Doch vorerst passiert nichts. Es macht sich dann aber plötzlich purer Magnetismus breit, hehe, Metalle werden umhergewir­belt – großes Drama überall, und am Ende wird das Juliet zum Verhängnis, sie wird von der Eisenkette, die sich um ihren Körper geschlungen hat, in die ungewisse Tiefe gezogen. Sawyer hält sie leidlich fest, eine hochemotionale Szene, doch seine Kraft reicht irgendwann nicht mehr, Juliet fääääällt.

Für sablog scheint das die Kriterien für »die ergreifendste Szene der bisherigen Serie« zu erfüllen, aber im Prinzip ist jede in diesem Moment erzeugte Emphase überflüssig, denn mit der Explosion der Bombe wird es sowieso auch alle anderen gleich mit erwischen. Denn Juliet schlägt auf dem Grund des Bohrlochs überraschenderweise noch mal die Augen auf und sieht neben sich den Atombombenkern liegen, der frecherweise noch nicht seine Arbeit getan hat. Sie nimmt einen Wackerstein und haut damit ein paar mal auf das Bombending, und irgendwann klappt es, der Screen wird weiß aufgeblendet, und Ende.

Die allerwichtigste Frage, die auch den weiteren Weg der Serie, die ab Anfang 2010 ausgestrahlte Finalstaffel, bestimmen könnte, stellt übrigens zwischendurch Miles, während Jack schon zur Tat schreitet:

»Has it occurred to any of you that your buddy is actually gonna cause the thing he says he’s trying to prevent? Perhaps that little nuke is the incident. So maybe the best thing to do is, nothing. (Alle schauen betroffen, keiner reagiert.) I’m glad you all thought this through.«

So scheint also alles auf eine astreine Rekursion hinauszulaufen, als Stilmittel vielleicht nicht das schlechteste. Und jeder Programmierer weiß, dass rekursive Programmteile manchmal schwer nachzuvoll­ziehen sind, und das wäre sicher auch für die »Lost«-Autoren die Rettung bei all den Plausibilitäten, die sie jetzt in der allerletzten Staffel noch in Gang setzen müssen.

8 Reaktionen zu “Lost: 5. Staffel, 16. und 17. Folge”

  1. Thomas H.

    Ich glaube, dass Jacob nicht Sayids Girl ermorden wollte, sondern einfach Sayid gerettet hat?

  2. Paco

    Ist erst mal noch Interpretationssache, ich glaube eher, dass Jacob die Nadya ins offene Messer bzw. ins rasende Auto hat rennen lassen, damit Sayid danach tut, was er tut, nämlich diese diversen Auftragsmorde durchzuführen.

    Übrigens lustig selbstreferenziell, dass Jacob, als er Sayid nach dem Weg fragt, sagt: »I’m sorry, I think I’m lost

    Usw.

  3. Marok

    Am anfang ist zu sehen das jacob dort liegt mit weißen hemd und der andere dann näher tritt und sich zu ihm gesellt, im schwarzen top. schwarz: böse, weiß: gut ^^
    und als er sagt: du hast das schiff geholt…balabla die werden wieder kämpfen und plündern verderben und das es immer wieder gleich enden wird. blabla…darauf sagt jacob das es nur einmal enden wird und das es nur eine entwicklung ist.darauf sagt der schwarze:
    …wie gerne ich ich dich töten will
    ich denke das die beiden eine aufgabe haben, leute auf die insel zu holen, die sie sich vorher ausdgesucht haben wie man in der finalen serie staffel 5 sehen konnte, sie haben undendliches leben und der weiße will dem schwarzen beweisen das es auch menschen gibt die friedlich zusammen leben können damit jacob befreit wird vom ???? kp

    und ich glaubve nicht das jacob tot ist ^^ wäre ja auch scheiße in der ersten serie wo man ihn sieht ihn gleich zu töten und verbrennen… das wär nicht cool…

    und der zombie-john locke ist der schwarze der sich in allen figuren verwandeln kann,, wenn nicht er dann ein anderer,,, in der folge wo ben john den massengrab zeigt und ihn anschießt kommt dann aufeinmal walt vorbei und sagt du musst es schaffen.. blabla ,,, das ist dieser typ der sich in alles verwandeln kann,— und somit sein ziel verfolgt jacob zu töten was auch gelungen ist.

    ja das war mal meine vermuten zu der geilsten serie der welt ,.,.,LOST

  4. Paco

    @Marok: Nicht schlecht als Gesamttheorie, Jacob und sein Erzfeind sind sicherlich allegorische Figuren. Aber allein die noch ausstehende Aufklärung der Gestaltwandlungs-Komponente lässt Schlimmes vermuten. Werden sehen.

  5. capo

    Ich würde gerne eine These zu Jacob und der uns noch namentlich unbekannten Person in Schwarz aufstellen.
    Wäre es denkbar das diese Person Jacobs Bruder ist ?

    Darauf gekommen bin ich, als ich den Namen Jacob mit „Jakob“ aus dem alten Testament und hier finden sich durchaus Überschneidungen.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_(Patriarch)

    Über eine Hinweis im o.g. Link, landete ich dann hier

    http://de.wikipedia.org/wiki/Zwei-Br%C3%BCder-Motiv

    Und auch hier könnten wir Lost Verrückten durchaus etwas ableiten.

    Wenn Frau und Job es zeitlich zulassen werde ich noch ein wenig in der Ägyptischen Mythologie nach weiteren Hinweisen suchen, welche die Autoren inspiriert haben könnten.
    Ägypten kommt für mich aufgrund der Statue in Frage.

  6. yohnny

    ist jez wircklich serie 16/17 das ende von lost???
    also ich finde das ende richtig blöd….ich mein es kann doch nicht damit enden, dass alle sterben o.O…..weiß vielleicht einer ob LOST weiter geht (also ob neue serien erscheinen werden sprich vielleicht staffel 6) oder ist das das ende??

    lg

  7. Marok

    es kommt noch die 6te staffel aber es wird nicht alles aufgelöst

  8. Stefan

    Worauf bezieht du die Informationen, dass nicht alles aufgelöst wird?

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