Christian Kracht in Leipzig

Leipzig, 26. Oktober 2008, 10:19 | von Paco

Eigentlich hatte ich gestern Abend schon was vor, dann rief aber Millek an. Frage: Ob ich mit zu der Kracht-Lesung komme. Nun wusste jeder in Leipzig, dass es bei der diesjährigen Kracht-Tour keine Leipziger Lesung geben würde, weil irgendetwas nicht geklappt hatte.

Nun also doch. Auf der Homepage stand nichts davon: »24.10. Berlin, 26.10. Göttingen.« Und am 25.10.: kein Leipzig. Aber auf MySpace, sagte Millek. Er hatte tatsächlich Recht. »25.10. Leipzig, Galerie Bode & Rillert.« Ich hatte von dem Ort noch nie gehört, aber laut Millek handelte es sich dabei um einen spontan eingerichteten Lesungsraum, der sich in einem der verfallenden Häuser in der Langen Straße befinden sollte.

Wir warteten vor dem Haus noch eine Weile auf einige Leute. Der Eintritt war schönerweise frei. Als aber plötzlich jemand mit Barbourjacke aufkreuzte, baute sich sofort ein Connewitz-Punk vor der Türe auf und verlangte 8 Euro Eintritt. Als er merkte, dass die anstandslos bezahlt wurden, machte er weiter, kam so auf fast 50 Euro, übertrieb es aber schließlich. Als er einem Abiturienten 20 Euro abknöpfen wollte, schubste der ihn einfach beiseite und beschimpfte ihn.

Als dieser Spaß vorbei war, gingen wir ins Gebäude. Kracht musste schon dagewesen oder durch einen Hintereingang angelangt sein. Er las auch schon, hörte allerdings nach etwa 5 Minuten mitten im Satz wieder auf. Danach verging mindestens eine Viertelstunde, bis sich ein Moderator zu ihm gesellte, ein Literaturwissenschaftler namens Schubert, der aber gerade sein Studium abgebrochen hatte, wenn das richtig bei mir ankam.

Er habe das neue Kracht-Buch »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten« nach eigenen Angaben erst heute »angelesen«, das allerdings »in einem Rutsch«. Es sei wohl eher eine lange Erzählung, kein Roman. Aber natürlich trotzdem irgendwie gut, wenn es auch, wie immer bei Kracht, unfertig erscheine, »angekocht« (genau das hat er wirklich gesagt), aber nicht bis zum Ende durchgezogen.

Leichter Tumult im Publikum, aber eher fröhlich, in Erwartung irgendeines Folge-Ereignisses. Kracht lächelte und sagte auf charmante Weise: »Er hat ja Recht.« Ein Johlen setzte ein, und dann sagte der Literaturwissenschaftler Schubert noch ein paar Dinge, nicht viel, auch weniger über das Buch selber, wenigstens immer rückgekoppelt an Bemerkungen, die oft mit »in unserer heutigen Zeit« begannen.

Dann las Kracht den Anfang des Buches. Bei der Stelle, wo sich der Protagonist bis zur »militärischen Heeresleitung der 5. Armee« durchfragt (in der Originalausgabe auf S. 30), hielt Kracht kurz inne und schaute leicht irritiert auf uns.

Jemand begann zu klatschen, andere auch kurz, vielleicht weil dieser militärhistorische Benennungsbrei angesichts der jüngsten SS-Rang-Orgien von Jonathan Littell eine Wohltat war, je ne le sais pas, aber vielleicht wird mal ein pazifistischer Schlachtruf daraus.

Ich weiß die Stelle auch deshalb noch so genau, weil Kracht den Satz dann noch einmal las. Er und kein anderer ist also der Erfinder der Prosalesung mit da capo.

Nachdem Kracht das Buch zugeschlagen und sich bedankt hatte, sammelten sich draußen die ungefähr 30-40 Lesungsgäste und tauschten ihre MySpace-Adressen aus. Mir war die feuchte Luft in dem Gemäuer irgendwie nicht bekommen, ich strebte nach Hause, wo es mir dann schlagartig besser ging, etwas später kam Millek noch mal vorbei und wir sahen einen Visconti-Film bis zur Hälfte.

 
(Edit: Auch im gelblog und bei walloftime wird über die Lesung berichtet. Die Ankündigung ist noch mal hier.)

3 Reaktionen zu “Christian Kracht in Leipzig”

  1. kyle

    Christian Kracht ist ziemlich überschätzt. Passend dazu: Ein Freund aus den Berliner Kreisen hat mir mal erzählt, dass Kracht und Stuckrad-Barre total den Beef am Gehen haben, und ich fand Stuckrad immer den Cooleren der Beiden.

  2. Stefanie

    Stuckrad-Barre der Coolere´.
    Die sozialistische Revolution fand in der Schweit statt.
    And Communism never happened.

  3. DrNoThanks

    überschätzt oder nicht – mir scheint, es braucht ein gerüttelt mass innerer zerissenheit und genialität, um so unterhaltsam zu schreiben wie c. kracht. stuckrad-barre? who? :)

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