»The Happening«:
Der Absturz des M. Night Shyamalan

Hamburg, 17. August 2008, 08:00 | von San Andreas

M. Night Shyamalan hatte es niemals leicht mit den Kritikern. Nach »The Sixth Sense«, zweifelsohne ein großer Wurf, war er von der Beurteilerzunft besonders kritisch beäugt worden. »Unbreakable« begegnete man bereits mit milder Enttäuschung, so dass Shyamalan den Rest der Trilogie kippte. »Signs«, ein astreiner Spielberg-Hitchcock-Hybride, wurde größtenteils noch jovial durchgewunken, aber »The Village« fiel komplett durch. Des Regisseurs Hang zu überraschenden Schlusswendungen wurde ihm als Masche angekreidet, seine in Interviews zu Tage tretende Selbstbezogenheit als Arroganz übel genommen.

Als der Mann dann in »Lady in the Water« einen Filmkritiker auf grausame Weise umkommen ließ, verstanden die Damen und Herren des Feuilletons überhaupt keinen Spaß mehr. Das einstige Regie-Genie wurde restlos demontiert, der Film geriet zum Flop-Debakel schlechthin. Dabei ist diese filmgewordene Gute-Nacht-Geschichte durchaus liebevoll erzählt. Doch bei aller persönlichen Anteilnahme verlor Shyamalan anscheinend zwischendurch das Publikum aus den Augen.

Nun kommt das in den besten Familien vor. Aber Shyamalan fehlt der loyale Rückhalt bei den Kritikern, die ihm solche Egotrips durchgehen lassen würden (man vergleiche mit den Kritiken zu Coppolas »Youth Without Youth«). Handelte es sich um einen introvertierten Autorenfilmer, wäre das Beharren, sich bei seinen Produktionen partout nicht reinreden zu lassen, nur folgerichtig. Fehlt es allerdings an Instinktsicherheit, können die Allüren eines Control Freaks gerade bei Großproduktionen verheerende Folgen haben.

Die Maßstäbe der Unternehmung, der Ruf der Macher und die großen Investitionen exponieren einen solchen Film, erzeugen immensen Erfolgsdruck und stellen sein Schicksal dem Urteil einer gespannt wartenden Filmgemeinde anheim. Die kritische Auswertung entwickelt dann mitunter Dynamiken, die ein Dorado für jeden Psychologen wären, scheinen doch Polemik, Sympathie, Geltungssucht und Gruppenzwang hier ebenso bestimmende Einflussfaktoren zu sein wie Sachkenntnis und Urteilsvermögen.

Jedenfalls kann das Verdikt der Meinungsmacher einen Film ruckzuck vernichten. Eine sich nach dem Schneeball-Prinzip fortpflanzende Mundpropaganda (»hab gehört, der neue Shyamalan soll schlecht sein«) vergrätzt im Nu Scharen potenzieller Kinogänger, und das vermeintlich fundierte künstlerische Urteil führt zu einem vielleicht unverdienten Exitus an der Kinokasse.

So funktioniert der Laden nun mal, und Shyamalans »Lady« hat es kalt erwischt. Wohl nur zum Teil aus Trotz erklärte der Regisseur das Werk dennoch zu seinem persönlichen Favorit und ging zur Tagesordnung über. Für seinen neuen Film »The Happening« kam die Hälfte des Budgets aus Indien, denn bei den Hollywood-Studios gilt der Regisseur freilich längst nicht mehr als sichere Bank. Cineasten ist das gleich, unter ihnen regte sich Hoffnung. Würde Shyamalan zu seinem alten Gespür zurückfinden? Das spannende Poster zumindest gab Grund zur Zuversicht: verlassene Autos auf einer finsteren Landstraße, die in die dunkle Stadt am Horizont führt. Was ist da passiert? Egal was: Wir wollen es wissen. Zeig es uns, Shyamalan.

(Einen Kinobesuch später.)

Jetzt wissen wir’s. Aber sind wir glücklich? Ist es ein guter Film? Die Antwort ist: nein. Und es ist ein resolutes Nein, ohne Furcht vor Widerspruch. Keine Kritiker-Launen rühren an der Objektivität des Urteils, auch nicht der dem gemeinen Rezensent angeborene Argwohn gegenüber Gruselstoffen: »The Happening« ist offiziell ein schlechter Film.

Kaum glaublich, dass das niemandem bei der Produktion aufgefallen ist, aber wahrscheinlich hat des Meisters strenge Ägide konstruktive Kritik unterbunden. Schlimm muss es für das Talent Wahlberg gewesen sein, Shyamalans hochnotpeinliche Dialoge zu sprechen. Das Schauspiel hölzert ambitionslos vor sich hin. Besonders Zooey Deschanel, Wahlbergs Filmfrau, ist eine einzige, wahrlich unangenehme Irritation. Die Beziehung zwischen den beiden bleibt eine Behauptung.

Auch in punkto Dramaturgie und Spannung lässt sich an dem Film kein gutes Haar finden. Zu Beginn bringen wohl einige Einstellungen einen Anflug von Gänsehaut, doch diese legt sich, sobald sich die Geschichte aus dem Chaos der Stadt ins pastorale, komplett unbedrohliche pennsylvanische Land bewegt. Hier wird einem das Bild einer sich im Wind wiegenden Weide als schreckliche Gefahr verkauft, und die Gruppe verfährt aufgrund von Erwägungen, die selbst den leichtgläubigsten Zuschauer nicht überzeugen.

Eingestreute Schockmomente bemühen sich um provokante Lapidarität, verpuffen aber mangels emphatischer Basis. Die Klaviatur filmischer Mittel bleibt ungenutzt, und die gerade in dieser Filmsparte so wichtige Qualität des »suspension of disbelief« könnte erbärmlicher nicht ausfallen. Die »Natur schlägt zurück«-Idee der Geschichte mag ihren Reiz haben und über sie hinausweisen, doch versäumt es der Film sträflich, irgendeinen höheren Anspruch einzulösen – anstatt die Apokalypse weiterzuspinnen, starrt der Zuschauer fassungslos auf den Unsinn, der ihm da geboten wird.

Es misslingt dem Publikum auch, sich den Film so schlecht zu kucken, dass er schon wieder gut wäre. Wir erinnern uns an charmante B-Movies, die das schafften, aber »The Happening« trifft einfach nicht den Ton, ist zudem bar jeden Humors, jeder Ironie. Da gibt es keine Momente memorablen Kinos, die die Distanz zum Zuschauer zu überbrücken vermögen. Die Anhäufung dilettantischer Szenen wächst sich aus zur Beleidigung unserer Intelligenz, und dies unterscheidet das Werk von allen anderen Shyamalan-Filmen – keinem anderen dringt der Eindruck künstlerischer Inkompetenz derart aus allen Poren. Und hierin sind sich offenbar die allermeisten Rezensenten einig.

Die schlimme, ja fast feindliche Resonanz bei der Kritik sollte dennoch Zweifel wecken; schließlich ist es schwer vorstellbar, dass sich ein Regisseur die Vorgabe gemacht hätte, mal einen richtig schlechten Film zu drehen. Gründet das Urteil vielleicht doch eher auf einer lang gehegten Animosität als auf einer quasi-neutralen Einschätzung? Selbst die Einhelligkeit der Verrisse bietet keine Garantie: Wie oft schaukeln sich regelrechte Verrisswellen hoch, während der Film außerhalb des Feuilletons auf Begeisterung stößt und mitunter späte Rehabilitierung erfährt.

Es lohnt sich diesbezüglich, die Shyamalan-Rezensionen über die Jahre zu durchleuchten. Hier kommen eher Dimensionen subjektiver Erfahrung zum Tragen als anderswo, Kritiker scheinen Shyamalans Filme gern persönlich zu nehmen, vielleicht nicht zuletzt, weil der Regisseur in seinen Filmen selbst in Erscheinung tritt. Ein selbstverliebter Schablonenfilmer, ein talentierter Scharlatan, heißt es dann in Revision der Wunderkind-Elogen von 1999, aber immer im Brustton eines kollektiven Anspruchs auf Deutungshoheit, der niemals ganz gerechtfertigt scheint.

Die Filme von Shyamalan (Grafik)

Frappant ist der Abfall in der Kritiker-Akzeptanz im Laufe der Zeit. Mit Ausnahme von »Signs« wurde jeder Film schlechter bewertet als der vorhergehende, doch scheinen die Werke nie wirklich so furchtbar zu sein, wie die Rezensenten es gerne hätten. Bei Lichte betrachtet verbucht ein ruhiger runder Streifen wie »The Village« doch viel mehr auf der Habenseite als ein übellauniger Kritiker ihm zugestehen will – die Akzeptanz und Resonanz beim Publikum jedenfalls legen dies nahe. Dann und wann versagt der Rezensent eben in seiner Rolle als unabhängiger Mittler zwischen Macher und Zuschauer, seine Maßstäbe verabschieden sich in unwägbar subjektive Gefilde (wie der Filmproduzent Günter Rohrbach letztes Jahr in einem bestechenden Artikel im »Spiegel« beklagte).

Im Falle von »The Happening« nun aber scheint sich die Prophezeiung von Shyamalans künstlerischem Zusammenbruch doch noch zu erfüllen. Gebeutelt und gehasst, überschüttet mit Spott und seiner Selbstsicherheit beraubt, war er offenbar nur mehr im Stande, eine peinliche Nullnummer zu produzieren, und die Inaugenscheinnahme des Films bestätigt zum ersten Mal jede einzelne schlechte Kritik. Das ist umso betrüblicher, als dass mit Shyamalan eine große Kinohoffnung ihren Niedergang findet. Sein Kredit war mit »Lady« aufgebraucht, nach »Happening« steckt er tief im Minus, denn ein Film, der dermaßen am Publikum vorbeirauscht, dass man sich wünscht, man hätte es beim Betrachten des Posters belassen, wiegt schwer – gerade bei einer nachtragenden Spezies wie dem Kritiker.

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Münzstapel in der Grafik: oldskoolman.de
Einspielergebnisse: Box Office Mojo
Kritikerwertungen: Rotten Tomatoes
Userwertungen: IMDb

4 Reaktionen zu “»The Happening«:
Der Absturz des M. Night Shyamalan”

  1. Stefan

    „The Happening“ hatte ich aus Versehen im Kino gesehen und da ich vorher nichts davon gehört hatte, und ich Wahlberg als experimentierfreudigen Typen in Erinnerung hatte war ich mir die ganze Zeit sicher, ich sitze hier in einem low- oder sogar fast no-budget-Film.
    Unter diesen Umständen fand ich den Film sogar ziemlich beachtlich und dachte mir: Schön – Wahlberg macht mal was mit einem unerfahrenen Regisseur zusammen. Tss.

  2. slow

    Dass sich die Wahlberg-Figur an den Helden alter B-Movie-Katastrophenfilme orientiert wie z.B. dem originalen „Inavsion of the Body Snatchers“, ist keinem der Kritiker aufgefallen? Ja, so ganz wurde der Ton nicht getroffen, wenn Wahlberg die Plastikpflanze anspricht, aber der Film ist weit entfernt davon, das Desaster zu sein, zu dem ihn die Kritiker runterreden wollen. Ohne Zweifel verfehlen sich Shyamalan und Publikum/Kritik bereits seit mehreren Filmen. Doch daran, dass „Village“, „Lady“ und „Happening“ sich im Laufe der Jahre rehabilitieren werden, daran habe ich keinen Zweifel.

  3. San Andreas

    Mag sein. Mit „Village“ und „Lady“ habe ich persönlich längst meinen Frieden gemacht. „Happening“ war schon eine neue Dimension von übel. Und dass Wahlberg wie einst McCarthy durch die Apokalypse hetzt, macht die Sache nicht besser. Aber gut, mal sehen, was die Zeit bringt.

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