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Die menschliche Seite der Supply-Side Economics

Lyon, 21. Februar 2010, 15:26 | von Charlemagne

Mein Lieblingsbäcker hier in Lyon begrüßt mich immer als »Monsieur Charlemagne«, wegen Akzent und Brotwahl. Ab und zu legt er mir eine Handvoll Chouquettes mit in den Beutel und fragt so strahlend, wie nur Franzosen strahlen können, ob »tout va bien?«, und das passt dann gar nicht dazu, dass er mich an Nouriel Roubini erinnert.

In der Zwischenzeit hatte nämlich jenseits des Atlantiks eine bestimm­te Form der Berichterstattung, der Finanzkrisenjournalismus, eine vorreitende Rolle eingenommen. Im Unterschied zum klassischen Journalismus aus dem Wirtschaftsressort, geprägt durch so trockene wie besserwisserische Publikationen wie das »Wall Street Journal«, »Barron’s«, »Forbes« und uninspirierte Artikel, die zum zehnten Mal erklären, wie sich eine Handvoll Credit Default Swaps, kurz CDS, in eine Collateralized Debt Obligation, kurz CDO, verpacken lassen, spielt der Finanzkrisenjournalismus nun auch stets auf die, uargh, »menschliche Komponente« an.

Und lässt sich dabei nicht durch Fakten davon abhalten, wunderbarste Stücke am Rande der Fiktion zu schreiben, um das Thema doch irgend­wie interessant zu machen. Deutlich wurde das zum ersten Mal, als das »New York Times Magazine« ein Portrait über den Finanzkrisen­vorausseher Nouriel Roubini, ominös »Dr. Doom« betitelt, brachte und ihn wie folgt beschrieb:

»With a dour manner and an aura of gloom about him, Roubini gives the impression of being permanently pained, as if the burden of what he knows is almost too much for him to bear. He rarely smiles, and when he does, his face, topped by an unruly mop of brown hair, contorts into something more closely resembling a grimace.«

Nun wird als »Dr. Doom« eigentlich Marc Faber bezeichnet, der den »Gloom Boom & Doom Report« verfasst, ein großer Mahner und Warner auf dem Finanzgebiet, der seit ein paar Jahrzehnten vor allem dafür bekannt ist, immer schnell den Untergang des Amerikanischen Imperi­ums auszurufen und die Börse im Keller zu sehen, bevor die überhaupt weiß, wo sie hin will.

Faber ist ein bisschen der Cowboy unter den großen Investoren, früher gern mit Pferdeschwanz und heute immer noch mit heftigem Schweizer Akzent auf Bloomberg zu sehen. Was seine Vorhersagen angeht erin­nert er einen allerdings eher an »The Boy Who Cried Wolf«, und wer prinzipiell jedes Jahr einen Börsencrash voraussagt (siehe Roubini), hat halt irgendwann mal recht, lässt sich bestimmt auch mit Regres­sionsanalyse nachweisen, hehe.

Aber egal, die Beschreibung von Nouriel Roubini rechtfertigt ja sehr deutlich, dass auch seine Benennung als »Dr. Doom« in Ordnung geht. So sind also Ökonomen? The »dismal science« scheint ja wirklich aufs Gemüt zu schlagen. Überhaupt, nicht schlecht für jemanden der, so »Gawker«,

»(…) draws a cosmopolitan crowd to the frequent parties at his Tribeca loft – an apartment with walls indented with plaster vulvas, incidentally.«

Moment mal. Was hängt da an der Wand? Das Schöne am Finanzkri­senjournalismus ist ja, dass man von fast allen Akteuren, vor allem Wunderkind Andrew Ross Sorkin, immer sofort Antworten auf Anfragen erhält, das neue Berichterstattungsmodel arbeitet nämlich immer; Roubini also zur Klarstellung, via Facebook:

»I work very very hard and I also enjoy life. My home is also partially a cultural salon where I host book parties, debate and election night events, independent film screnings [sic!], live music nights, theater/performance acts, fashion shows, dinner parties and even plain old fashioned dance parties.

I have this professional Dr Doom nickname but I am quite a cheerful person with a few close friends and eclectic group of friends who, like most New Yorkers, are members of the creative class. The innovations of lawyers and bankers can be as creative as those of visual or performing artists, at times too creative you may say given the current financial meltdown. So I live life to its fullest. To paraphrase Seinfeld; anything wrong with that?« (zitiert nach Gawker)

Auch wenn mein Lyoner Bäcker mich an Roubini erinnert: Er hat braune Locken und keinen »mop«. Ob er »Seinfeld« kennt: keine Ahnung. Und was er an seiner Wand hängen hat, will ich wirklich nicht wissen.