Die sieben Werke der Barmherzigkeit
Neapel, 1. Oktober 2009, 10:22 | von DiqueGerade in Neapel angekommen und trotz Sonnenscheins wirkt die Altstadt so dunkel wie die neapolitanische Malerei des 17. Jahrhunderts. Caravaggio hielt sich nur ca. zehn Monate in der Stadt auf, nachdem er in Rom zum Mörder geworden war, hinterließ aber in dieser kurzen Zeit einen ungeheuren Eindruck auf die Malerschaft der Stadt. Am auffälligsten ist sein Einfluss bei Ribera, dem kleinen untersetzten Spanier, lo Spagnoletto.
Denkt man heute an Neapel, denkt man vielleicht nicht gleich an Caravaggio, Ribera und die Caravaggisti, sondern mit Medienbias an die so genannte Müllmafia. Zur Zeit der neapolitanischen Caravaggisti war das sicher ganz anders, allerdings gab es eine Art Malermafia, denn Jusepe de Ribera, Battistello Caracciolo und Belisario Corinzio formten eine tyrannische Verschwörung.
Zog ein auswärtiger Maler einen lukrativen Auftrag in Neapel an Land und war mutig genug, diesen anzunehmen, konnte er sicher sein, dass er von Ribera und seinen Schergen bedroht würde. Ein Assistent von Guido Reni verließ die Stadt schleunigst, nachdem er, wahrscheinlich von Corinzio persönlich, an der Schulter verletzt wurde. Als später Domenichino in die Stadt kam, um einen Freskoauftrag zu übernehmen, erhielt er sofort Drohbriefe von der Ribera-Gang.
Der arme Domenichino traute sich kaum auf die Straße, maximal um sich auf den Weg zur Arbeit zu machen. Die Nahrungsaufnahme ward ihm zur Qual, weil er unter der ständigen Angst lebte, sein Essen könne vergiftet sein. Und nun werde auch ich gerade in Neapel fast vergiftet:
Ich habe in Berlin-Schönefeld dem Hunger widerstanden, weil ich mich schon auf das Essen in Neapel freute. Es ist dann 16 Uhr, als ich die Via Tribunali betrete, also keine klassische Essenszeit, und ich will mir nur einen kleinen Snack genehmigen. Ich gehe in die schlimmste Snackbar von ganz Neapel und der Welt überhaupt, La Taverna Di Totò.
Ich esse eine gefüllte Teigtasche und eine Krokette, beide sind so trocken, so alt, dass ich mir gut vorstellen könnte, dass sie noch von Ribera persönlich vergiftet wurden. Am nächsten Tag, zwischendurch habe ich dann tatsächlich schon mal gut zu Abend gegessen und gefrühstückt, würde ich noch mal bei dieser snack bar from hell vorbeikommen und nicht begreifen können, wieso ich heute dort hineingehen musste.
Jetzt ist es aber immer noch heute und ich habe noch diesen furchtbar trockenen Geschmack im Mund und laufe angeschlagen die Via Tribunali hinunter. Nach ein paar Metern drehe ich mich beinah zufällig nach rechts, einfach so, als sei nichts gewesen, und sehe in der Ferne ein monströses Altarbild.
Unter den baufälligen Arkaden tut sich ein Kircheneingangsportal auf. Obwohl ich in der Stadt noch keine Orientierung besitze, weiß ich, dass diese Kirche die Pio Monte della Misericordia ist, denn über dem Altar in der Ferne sind »Die sieben Werke der Barmherzigkeit« zu sehen, von Michelangelo Merisi genannt Caravaggio.
Was für ein Moment, ich habe diesen furchtbaren Geschmack im Mund und rieche nach schlechtem Weichspüler, weil ich kurz unter frisch aufgehängter Wäsche gestanden habe, die mich duschte, als ich den Rest der fürchterlichen Krokette entsorgte. Einen Laden weiter gibt es Schuhe für 3 Euro, gleich daneben frischen Fisch, und da hinten in der Kirche hängt dieses herrliche Bild.
Ich kann aber nicht in die Kirche, weil gerade irgendwelche Dreharbeiten stattfinden und mir der Eintritt verwehrt wird. Nach einer Weile gehe ich einfach weiter und erinnere mich an ein paar Worte von Robert Hughes zu diesem Bild. »Once again, Caravaggio’s eye, the gesture and expression working through the dark has made its rhetorical point. It’s almost, if not quite, the first masterpiece of social realism.«