»Boris – La fuoriserie italiana«

Leipzig, 16. Januar 2009, 00:54 | von Paco

onde. Das italienische Kulturmagazin (Titelbild der Nr. 30, Wintersemester 2008/2009)Der unten stehende Artikel ist bereits im aktuellen Heft des italienischen Kulturmagazins »onde« erschienen (Nr. 30, S. 16-17). Textabgabe war Ende August. Mittlerweile wurde die Produktion einer 3. »Boris«-Staffel offiziell verkündet. Wer Fox Italia nicht empfängt: Bei YouTube gibt es u. a. eine längere Szene aus der Pilotfolge und die grandiose Aufforderung an einen verdienten Altschauspieler, bitte nicht so gut zu spielen: »Faccia (la scena) a cazzo di cane!«

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»Fallo un po‘ a cazzo di cane!«

»Boris«, die grandiose TV-Comedy von Fox Italia,
arbeitet sich an den Italo-Soaps ab

Wann hat man das schon mal, dass eine italienische Fernsehsen­dung nach einem deutschen Tennisstar benannt ist? Der »Boris« der gleichnamigen Serie von Fox Italia ist allerdings ein kleiner niedlicher Goldfisch, der Boris Becker lediglich seinen Namen verdankt. Er schwimmt friedlich in seiner Wasserkugel herum, die auf dem Kontrollmonitor des Regisseurs steht.

Die Serie in der Serie

Wir können dem Regisseur auch bei der Arbeit zusehen, denn bei »Boris« handelt es sich um eine Metafiktion: Wir lernen ein ganzes Produktionsteam kennen, das eine Serie in der Serie produziert, in diesem Fall die schreckliche italienische Kitschsoap »Gli occhi del cuore 2«.

Alle Beteiligten wissen, dass diese furchtbare Serie all’italiana der reinste Schrott ist. Wir betreten das Set in der Nähe von Ciampino zusammen mit dem neuen Praktikanten Alessandro und erleben beim gesamten Team den totalen Menefreghismo hinsichtlich der fehlenden Qualität, des fehlenden Anspruchs.

Schon die drei gelangweilten Autoren erzeugen ihre Skripte größten­teils mit einem simplen Druck auf F-Tasten, mit denen sie den Darstellern die immer gleichen Textschablonen zuschustern. Auch die Anweisungen des Regisseurs René Ferretti laufen im Prinzip immer auf dasselbe hinaus: »(La scena) è molto semplice: basito lui, basita lei, macchina da presa fissa, luce un po‘ smarmellata e daje tutti che abbiamo fatto.« Wenn gar nichts mehr weiterhilft, wird er deutlicher: »Fallo un po‘ a cazzo di cane!«

Drama, Baby, Drama!

Die Hauptdarsteller von »Gli occhi del cuore 2« agieren dementsprechend. Die vollkommen talentlose Darstellerin der Dottoressa Giulia schafft es nicht, das Wort »gioielliere« richtig zu betonen und hält damit stundenlang den gesamten Dreh auf. Der übereitle Stanis La Rochelle spielt den Chirurgen Giorgio so affektiert, dass es beim Zusehen schmerzt. Und die das Ensemble später ergänzende Cristina Avola Burkstaller schafft es tatsächlich, zu den seichten Dialogen immer wieder Verständnisfragen zu stellen.

Inhaltlich gibt es dann Herzschmerz der übelsten Sorte, unaushaltbare Geständnisszenen, sogar Mord und Totschlag, wenn irgendwelche Kanten im Drehbuch ausgebügelt werden müssen, und außerdem natürlich einen geheimnisvollen gräflichen Ring. Pling!

Die furchtbaren Schauspielleistungen bricht der Regisseur fast ausnahmslos mit den Rufen »Buona!« oder »Ottima!« ab, ähnlich wie der schlechteste Regisseur aller Zeiten, Ed Wood, nach nur einem Take immer zu sagen pflegte: »Cut! That’s a wrap!«

Wir alle kennen die so entstehenden Produkte, von denen auch im deutschen Fernsehen immer wieder neue anlaufen und die »Spiegel Online« neulich treffend als »Meisterwerke der Massenver­blödung« bezeichnet hat. Die fiktiven »Occhi del cuore« haben angeblich 7 Millionen feste Zuschauer.

Das Glück des Goldfischs

Die »Boris«-Schauspieler, die das Produktionsteam der Soap darstellen, haben sichtlich Spaß an ihren Rollen. Obwohl die beschriebenen Erscheinungen des italienischen Fernsehens gnadenlos aufgespießt werden, spielen sie ihre Figuren, ohne sie zu verraten. Die Leute am Set machen eben, was sie machen. Und schon auch freiwillig.

Für den Kameramann Duccio ist es das Paradies, er würde nirgendwo anders arbeiten wollen: »Ti chiedono di lavorare male e ti pagano bene.« Alle vom Team haben im richtigen Leben einen Traum oder ein Trauma, dazu brauchen sie im Prinzip keine Soap. Aber sie arbeiten nun mal an einer mit.

Formal steht »Boris« in einer aktuellen Tradition, die mit Mockumentarys à la »The Office« begonnen hat und mittlerweile mit ganz ähnlich gelagerten Metafiktionen wie der erfolgreichen US-Comedy »30 Rock« fortgesetzt wird. All diese Serien blicken mit einer Liebe fürs Details hinter die Kulissen althergebrachter Institutionen, und es ist eine Wonne, dabei zuzusehen.

Trotz der internationalen Vorbilder zelebriert »Boris« aber auch die eigene Italianità. Schon dadurch, dass die vor kurzem ausgestrahlte zweite Staffel als »Boris 2« an den Start ging, so wie die Staffelzahlen italienischer TV-Serien stets im Titel mitgeführt werden, damit dann niemand denkt, es handele sich um eine Wiederholung.

Mit »Boris – La fuoriserie italiana«, der ersten großen Eigen­produktion, ist Fox Italia ein großer Wurf gelungen. Auf eine gefeierte 1. Staffel im Jahr 2007 folgte eine ebenso grandiose Folgestaffel, die bis Ende Juli 2008 ausgestrahlt wurde. Die Produktion einer dritten Staffel gilt als sicher.

Stellt sich nur noch die Frage, warum die Serie den Namen eines eigentlich unbeteiligten Goldfischs trägt. Vielleicht repräsentiert der unbescholtene Aquariumsbewohner einfach nur die Alternative: das Glück, sich den Soapschrott gar nicht erst ansehen zu können.

Frank Fischer, Leipzig

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